Schon kleine Babys sortieren die Welt
Amelie brabbelt vor sich hin und dreht ziellos ihr Köpfchen nach links und rechts. Die rötlich-gelben runden Blumenmuster, die über einen kleinen Monitor flimmern, interessieren sie nicht mehr. Sie langweilt sich. Als ein eckiges blaues Blumenmuster auftaucht, schaut sie kurz irritiert und dann sehr interessiert. "Was ist denn das?", scheinen ihre Augen zu fragen. Jetzt schaut sie wieder aufmerksam auf den Monitor. Die Heidelberger Babyforscher sind begeistert. Amelie hat reagiert, wie sie es sich vorgestellt haben: erst aufmerksam für die bunten Figuren, dann - nachdem sich die gezeigten Bilder alle ähnelten - hat ihr Interesse nachgelassen. Als aber eine Figur mit neuer Form und Farbe auftauchte, war sie wieder voll konzentriert. Amelie, das sieben Monate alte Baby, zeigt durch ihr Verhalten, dass sie jetzt schon lernt, zwischen rötlichen runden und blauen eckigen Mustern zu unterscheiden. Für die Wissenschaftler heißt das: Schon mit sieben Monaten sortieren Babys ihre Welt.
Babys sprechen mit den Augen
Am Anfang unterteilen sie nur in grobe Einheiten. Nach Farben und Formen, oder nach Lebewesen und unbelebten Dingen. Mit zunehmendem Alter unterscheiden sie nach feineren Kriterien. Das beweist gerade der elf Monate alte Dennis. Er sitzt im Labor nebenan und löst eine wesentlich schwierigere Aufgabe: Er soll Hunde von Katzen unterscheiden. Der Versuch läuft nach einem ähnlichen Muster: Dennis bekommt verschiedene kleine Kunststoffhunde gezeigt, mit denen er jeweils 20 Sekunden spielen darf. Als sein Interesse nachlässt, bietet ihm die Versuchsleiterin eine Kunststoffkatze an. Und schlagartig ist Dennis wieder voll dabei.
Solche und ähnliche Versuche finden täglich im Psychologischen Institut der Heidelberger Universitätsklinik statt. Durch sie wollen die Babyforscher verstehen lernen, wie Babys denken. Da die Kleinen noch nicht sprechen, müssen die Wissenschaftler das Verhalten der kleinen Testpersonen deuten und Schlüsse daraus ziehen.
Eine zentrale Erkenntnis: Babys finden Dinge faszinierend, die ihnen neu und überraschend erscheinen. Sobald sie etwas gut kennen, verlieren sie das Interesse.
Bei ihren Versuchen filmen die Forscher die Kinder. Zwei Mitarbeiter werten getrennt die Aufnahmen aus. Mit einer Stoppuhr halten sie fest, wie lange sich das Baby bei einem Versuch konzentriert, wann seine Aufmerksamkeit nachgelassen hat und wann es überrascht wirkt.
Therapien für entwicklungsverzögerte Kinder
Neuerdings messen die Babyexperten sogar mit entsprechenden Geräten die Herztöne (EKG) und die Hirnströme (EEG) der kleinen Probanden. Durch diese Messungen können sie feststellen, dass die Kinder sehr unterschiedlich reagieren: "Manche Babys gewöhnen sich schnell an ein unbekanntes Bild oder Spielzeug und an eine neue Situation. Andere brauchen deutlich länger", erklärt Sabina Pauen. Langfristig sollen diese Messungen neue Therapien für entwicklungsverzögerte Kinder ermöglichen: "Man kann die geistige Leistungsfähigkeit der Kinder mit den neuen Messungen präziser bestimmen und die Kinder früher fördern", sagt Institutsleiterin Professor Sabina Pauen.
Babys lieben alles, was sich bewegt
Seit zwölf Jahren forscht sie im Bereich der Babyentwicklung. Manchmal tüftelt sie wenige Tage, manchmal aber auch Monate, bis ein Test funktioniert. Denn der Versuchsablauf muss für Babys spannend sein.
Besonders faszinierend scheinen die Testbabys den Tier-Ball-Versuch zu finden. Es gibt zwei Versuchsanordnungen: Zuerst sieht das Baby einen Ball, an dem ein Stofftier befestigt ist. Tier und Ball bewegen sich gemeinsam, weil der Ball von einem unsichtbaren Motor angetrieben wird. Dann werden Ball und Tier getrennt, das Kind sieht in der nächsten Runde beide Dinge still nebeneinander liegen. Die Wissenschaftler interessiert nun: Zu welchem Objekt schaut das Baby jetzt? Zum Stofftier? Oder zum Ball? Sie vermuten, dass es seinen Blick dorthin richten wird, wo es Bewegung erwartet.
Auch Amelie macht diesen Test. Und starrt - wie andere kleine Testteilnehmer vor ihr auch - auf die Tierfigur. Schlau, wie Babys mit sieben Monaten nun mal sind, weiß sie, dass ein Tier sich von allein bewegt - ein Ball aber nicht. Dass es sich dabei nur um ein Stofftier handelt, das versteht sie allerdings noch nicht.