Seit ein paar Tagen habe ich Alpträume: Ich stehe mitten in einem Fußballstadion, die Zuschauer brüllen "Rabenmutter". Der Schiedsrichter zeigt mir die rote Karte, dann überrollt mich ein riesiger Fußball. Der Grund für meine schlaflosen Nächte: Tickets für ein Fußballspiel. Die schenkte uns meine Mutter kurz vor Lottas Geburt: "Damit das Leben auch mit Kind weitergeht." EM-Qualifikation? Babysitten inklusive? "Klar gehen wir", jubelte ich. Was ich vor sechs Wochen nicht wusste: Lotta macht süchtig.
Stundenlang schaue ihr beim Schlafen zu. Schon ein winziges Lächeln von Lotta zaubert ein idiotisches Grinsen auf mein Gesicht. Gehe ich alleine zum Supermarkt, macht sich sofort ein dicker Kloß im Hals breit. Hilfe! Wie soll ich da 90 Lotta-lose Minuten überstehen? "Mit den Alpträumen verarbeitest Du die neue Situation", diagnostiziert meine Hebamme. "Ihr könnt Lotta ruhig für ein paar Stunden mit jemandem alleine lassen, den sie gut kennt."
Einfach mal weg? Das braucht tagelange Vorbereitung
Unsere Taktik für das große Spiel: Ich perfektioniere meine Milch-Abpump-Technik, Lotta und Papa Mikko üben Aus-der-Flasche-Trinken, meine Mutter feilt an ihrem Kinderlieder-Repertoire. Am Samstag um sechs ist Anpfiff. Da befinden wir uns noch in der Aufwärmphase: Joggen zur U-Bahn, weil ich unbedingt noch einmal das Babyfon checken musste.
20. Spielminute: Wir sind endlich im Stadion, meine Gedanken immer noch bei Lotta: Hoffentlich weint sie nicht. Schafft meine Mutter das? 35. Spielminute: Elfmeter! Total verpasst, weil ich verzweifelt auf mein Handy starre: Kein Empfang! In der Halbzeit bekommt Mikko die Entwarnung per SMS: "Flasche leer. Lotta schläft." Puh! Langsam schalte ich um, von Superglucke auf Fußballfan. Ich fluche und juble mit wie früher. Der Endstand: 0:0.
Genauso fühle ich mich auch, als ich Lotta endlich wieder im Arm halte: Unentschieden. Der Ausflug in mein altes Leben hat Spaß gemacht. Aber: 90 Minuten haben sich noch nie so lange angefühlt. Und Lotta? Die hat unseren Ausflug ins Stadion einfach total verpennt.
Die Babysitter-Suche
Als Lotta sechs Monate alt ist, träume ich wieder: Von Konzerten statt Kinderliedern. Von Mojitos statt Stilltee. Von Kneipen-Nächten statt Fernseh-Abenden. Und von Zeit zu Zweit. Denn seit Lotta da ist, ist bei Mikko und mir die Romantik weg. Unser Abendprogramm: Abspülen, Aufräumen und angeregte Diskussionen über Windelinhalte und Schlafprobleme.
Wir verordnen uns einen Babysitter. Aber: "Ein gutes Exemplar ist seltener als ein Lottogewinn", finden die Mädels aus der Krabbelgruppe. Nicole zum Beispiel, rekrutierte die Nachbarstochter zum Sophia-Hüten, weil sie endlich mal wieder zum Friseur wollte. Die Begrüßung bei ihrer Rückkehr: großes Geheul. Sophia weinte vor Hunger, die Babysitterin, weil sie den Flaschenwärmer nicht ankriegte. Und die Nobel-Nanny mit Doppel-Diplom kassierte bei Anna nicht nur fünfzehn Euro die Stunde sondern auch den neuen I-Pod ein. Ich wage es trotzdem: Ich setze eine Anzeige in ein Baby-Forum im Internet.

Wiederentdeckt: meinen Mann
Fünf Kandidaten sind beim Nanny-Casting dabei. Unsere Favoritin: Maria, 20, Kunst-Studentin. Bei Lotta punktet sie mit Hoppe-Hoppe-Reiter in Endlosschleife, bei mir mit Geduld und Babysitter-Diplom. Unser Deal? Zwei Abende im Monat, sechs Euro die Stunde, dreimal Probesitten.
Während Lotta und Maria Bechertürme bauen, pflastere ich die Wohnung mit Post-it-Zetteln: Lottas Schlafenszeiten, ihr Ins-Bett-Geh-Ritual, das Rezept für den Abendbrei, Notfallnummern. Und: Ich buche einen Tisch bei unserem Lieblingsitaliener. Alles bereit für die Lotta-freie Zeit!
Bis ich Lotta einen Abschiedskuss auf die Stirn drücke. Da fangen die Entzugserscheinungen an: In der U-Bahn schiebe ich einen unsichtbaren Kinderwagen vor und zurück, im Lokal summe ich gedankenverloren "Schlaf, Kindlein, schlaf". Das beste Gegenmittel: Mojitos. Nach 15 alkoholfreien Monaten garantiert mit Sofortwirkung. Plötzlich habe ich Schmetterlinge im Bauch. Weil ich vergessen hatte, wie witzig Mikko ist. Weil ich mich so entspannt und frei fühle. Und ein ganz kleines bisschen, weil ich an Lotta denke.
Fazit: Lotta hat den elternlosen Abend gut überstanden - zwar nicht im Schlaf, dafür aber mit abwechslungsreicher Abendshow: Mobile-Gucken, Gymnastikball-Hopsen und Disco-Dancing. Bei uns werden die Symptome des Lotta-Entzugs mit jedem Mal Ausgehen weniger, die Gefühle füreinander dafür wieder mehr. Wir haben das große Babysitter-Los gezogen! Andere Eltern leider auch. Maria hat immer viel zu tun, Mikko und ich wenig Gelegenheit zum Ausgehen. Die Lösung: Zum Geburtstag wünsche ich mir Gutscheine fürs Lotta-Sitten. Ein paar davon hebe ich mir für den Sommer auf. Warum? Mikko und ich fahren zur EM nach Österreich. Denn Fußball-Alpträume habe ich bis jetzt noch nicht wieder gehabt.
