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Vererbung Was hat mein Kind von mir?

Vererbung: Was hat mein Kind von mir?
Vererbung: Was hat mein Kind von mir?
© Thinkstock / iStock
Die Augen wie von Onkel Willi, den Körperbau ähnlich wie der Vater: Bilden wir uns solche Ähnlichkeiten nur ein, oder kann man wirklich sehen, aus welcher Familie man stammt? Wir haben einige interessante Fakten zum Thema Vererbung zusammengestellt.

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Die Segelohren von Papa?

Zugegeben, auf dem Ultraschallbild kann man das alles noch nicht erkennen. Aber ertappen sich nicht alle werdenden Mütter und Väter dabei, wie sie ihr Profil mit dem grauschattigen Umriss des ungeborenen Kindes vergleichen? Kann man nicht vielleicht doch schon sehen, dass die Nase vom Papa ist und die hohe Stirn von der Mama?

Die Spekulationen gehen weiter: Was für ein Temperament wird das Kind haben? Wird es ein intelligentes, musikalisches, kreatives Kind?
Wir projizieren eine Menge Wünsche auf dieses ungeborene Leben und hoffen, dass es möglichst viel Gutes von uns erbt. Das Gemeine: Wir haben keinen Einfluss darauf. So viel wir auch spekulieren mögen, kein Mensch kann vorhersehen, wie ein Kind später aussehen oder sein wird.

Das Aussehen ist nicht planbar

Eigentlich hört sich alles recht simpel an: Ein Ei und ein Spermium vereinen sich, die Zellen teilen sich - und schon entsteht daraus ein kleiner Mensch. Und doch schafft dieser Akt der Fortpflanzung unendlich viele Kombinationsmöglichkeiten der Gene. Ob ein Kind die blauen Augen der Mutter oder die braunen des Vaters erbt oder den Hang zur Dickleibigkeit mitbekommt, hängt nicht allein von einem Gen ab, sondern von der Kombination vieler Genabschnitte.

Dazu kommt: Bei jeder Verschmelzung von Ei und Samenzelle vermischen sich die Gene immer wieder anders, immer nach dem Zufallsprinzip. So können zu keinem Zeitpunkt zwei genetisch identische Menschen entstehen, es sei denn, es sind eineiige Zwillinge. Als sicher gilt, dass es Erbanlagen gibt, die "dominant" sind. Mit anderen Worten: Trifft bei zwei Menschen zum Beispiel die Anlage für braune Augen mit der für blaue Augen zusammen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Augen des Kindes braun werden. Denn die Anlage für Braun ist dominant.

Video: Warum sehen Neugeborene aus wie der Papa?

Eltern Fallbackbild

Ähneln sich alle Babys?

Heute weiß man, dass die Vererbung nicht streng nach den Gesetzen abläuft, die Gregor Mendel 1865 aufgestellt hat. Entgegen früheren Annahmen ist nämlich nicht nur ein Gen an der Vererbung eines Merkmals beteiligt, sondern mehrere Genabschnitte. So kann es auch zu Ausnahmen von den Mendelschen Gesetzen kommen. Es kann also durchaus sein, dass manche Merkmale, wie z.B. Segelohren, über mehrere Generationen übersprungen werden. Ist das Baby endlich auf der Welt, wird es konkreter: Die Eltern und sämtliche Verwandten stecken ihre Köpfe in die Wiege und erkennen sofort alle möglichen Ähnlichkeiten: "Das Grübchen am Kinn, das hat er von seiner Mutter!", "Dieser Augenaufschlag – ganz der Papa!"

Skeptiker werden jetzt sagen: So ein Unsinn! Babys sehen doch alle ziemlich gleich aus! Und einige Wissenschaftler geben ihnen Recht: Die Behauptung, die meisten Kinder seien Mutter oder Vater wie aus dem Gesicht geschnitten, ist nicht zu halten, fanden Psychologen der Universität von Kalifornien in San Diego heraus.
Mehr als 100 Versuchspersonen hatte man Bilder von Kindern verschiedener Altersstufen vorgelegt, dazu drei mögliche Mütter oder Väter, die den Kindern zugeordnet werden sollten. Das Ergebnis: Nur bei einem Teil der Einjährigen konnten die Betrachter eindeutige Ähnlichkeiten feststellen – und zwar mit dem Vater!

Ganz der Papa!

Möglicherweise hat das evolutionäre Gründe, spekulieren die US-Forscher: Denn während die Mutter weiß, dass ihr Baby auch wirklich ihres ist, kann sich der Vater nicht immer sicher sein. Erkennt er jedoch im Nachwuchs sich selber wieder, könnte ihn das zu mehr väterlichem Engagement bewegen.
Ansonsten: Fehlanzeige. Ein Mensch sieht seinen Eltern nicht ähnlicher als irgendwelchen Zufallseltern, so die Erkenntnis aus der kalifornischen Studie. Vielleicht ist sie weniger überraschend, wenn man bedenkt, dass sich im Erbgut des Kindes nicht nur die Eltern, sondern die ganze Ahnenreihe spiegelt, deren Chromosomen über Jahrhunderte immer wieder neu gemischt wurden.

Der Charakter: vererbt oder angeeignet?

Mindestens genausosehr, wie für die Äußerlichkeiten interessiert sich Eltern dafür, welche "inneren Werte" sie ihren Kindern möglicherweise mitgegeben haben: ihre Intelligenz, ihre Persönlichkeit, ihre Fähigkeiten. Seit mehr als 150 Jahren sind Humangenetiker und, Biologen, Psychologen und Verhaltensgenetiker damit beschäftigt, diese Frage zu beantworten. Immer mehr Gene werden lokalisiert und ihre Funktion identifiziert. Immer mehr Studien mit eineiigen und zweieiigen Zwillingen sowie mit Adoptivfamilien bringen langsam Licht ins Dunkel. Eine klare Aussage läßt sich aber noch nicht treffen. Zu sehr widersprechen sich die einzelnen Erkenntnisse. Seit Beginn der Vererbungsforschung schwanken die Meinungen zwischen Extremen hin und her. Einmal heißt es: "Allein die Umwelt prägt den Menschen", dann wieder: "Alles wird vererbt."
Heute haben sich die meisten seriösen Wissenschaftler auf eine Fünfzig-Fünfzig-Regel geeinigt. Die jüngsten Studien weisen darauf hin, dass die Intelligenz eines Menschen etwa zu 40 Prozent genetisch bedingt ist. Der größere Teil aber wird von der Umwelt (also von Spielkameraden, Geschwistern, prägenden Ereignissen) bestimmt. Ein Mensch kommt also nicht als fertiges, unveränderbares Wesen auf die Welt, sondern hat ein hohes Entwicklungspotenzial.

Begabung ist nicht alles

Das betrifft jeden Lebensbereich: Ein Kind, das von seinen Eltern die Anlage zur Lese-Rechtschreibschwäche mitbekommen hat, kann sich trotzdem zur Leseratte entwickeln, wenn ihm zum Beispiel seine Erzieherin durch häufiges Vorlesen vermittelt, dass Lesen richtig Spaß macht. Allerdings ist nicht alles möglich: Ein Kind, das ohne jegliches musikalisches Talent auf die Welt kommt, wird sich wahrscheinlich niemals zu einem zweiten Mozart oder Beethoven entwickeln. Umgekehrt nützt auch die größte (musikalische) Begabung nur dann etwas, wenn sie frühzeitig erkannt und ausgelebt wird.

Ist Übergewicht erblich?

Was die Erblichkeit von Übergewicht angeht, ist sich die Forschung nicht ganz einig. Zwar bezweifelt niemand, dass es eine erbliche Komponente gibt, aber ob das Risiko, dick zu werden, bei 30, 50 oder 70 Prozent liegt, ist ungeklärt.
Für einen starken gesellschaftlichen Einfluss spricht, dass die Zahl der Dicken nicht langsam und gleichmäßig über viele Jahrzehnte angestiegen ist, sondern ganz massiv in den letzten zehn bis 20 Jahren. Kinder essen zu viel, sitzen zu lange vor dem Fernseher oder dem Computer, bewegen sich nicht. Das hat nichts mit den Genen zu tun. Und selbst wenn jemand eine Veranlagung zur Dickleibigkeit hat, ist er ihr nicht automatisch ausgeliefert – wenn er viel Obst und Gemüse isst, sich den Gang zu McDonald’s spart und sich außerdem viel bewegt.

Die Gene und die Umwelt

Gene und Umwelt spielen in bestimmten Lebensphasen eine unterschiedlich große Rolle.
Wissenschaftler um den Londoner Verhaltensgenetiker Robert Plomin haben herausgefunden, dass Familien in den ersten zwei bis drei Lebensjahren ihres Kindes besonders starken Einfluss auf dessen geistige Entwicklung haben. Erreichen die Kinder das Schulalter gewinnen die Gene wieder die Oberhand.
Der Grund: Im Alter von fünf bis sechs Jahren sind Kinder so selbständig, dass sie sich eine Umwelt aussuchen, die gut zu ihren Anlagen passt. Ein sportliches Kind zum Beispiel wird im Sportunterricht feststellen, wie gut es werfen und wie weit es springen kann. Je älter es wird, desto mehr kann es seine Freunde und seine Freizeitaktivitäten so wählen, dass es seine Talente ausleben kann. Immer vorausgesetzt, die Eltern stehen den Neigungen nicht im Weg.

Jeder Mensch ist einzigartig

Auch in Sachen Persönlichkeit suchen die Forscher nach den Genen, die für bestimmte Charakterzüge verantwortlich sein sollen. Selbstbewusstsein, Geselligkeit, Gewissenhaftigkeit – bekommen Kinder diese und andere Eigenschaften von ihren Eltern mit?
Bis zu 60 Prozent, sagen die Forscher. Und zwar unabhängig davon, um welche Merkmale es sich handelt. Bei allen ist die Wahrscheinlichkeit, vererbt zu werden, gleich. Alle Studien und wissenschaftlichen Erkenntnisse können aber an einem nichts ändern: Jeder Mensch ist einzigartig. Obwohl das menschliche Genom schon vollständig entschlüsselt wurde, wird man keinen wirklichen Einfluss auf die Entwicklung eines Menschen bekommen; allenfalls wird man sie besser verstehen.
Deshalb werden futuristische Horrorszenarien, nach denen man sich sein Wunschkind bald selbst zusammenbasteln und mit den Eigenschaften ausstatten kann, die man sich wünscht, auch in Zukunft reine Fiktion bleiben.

Fachliche Beratung:
Dr. Heike Wolf
, Diplompsychologin und Verhaltensgenetikerin am Lehrstuhl für Differentielle Psychologie an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken;
Dr. Babette Heye, Fachärztin für Humangenetik, Klinikum Rechts der Isar der Technischen Universität München, Institut für Humangenetik

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