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Seit Monaten bekommt ihr nur noch wenig Schlaf. Euer Baby braucht ewig, bis es im Reich der Träume ankommt und wenn es nachts aufwacht, geht die Prozedur wieder von vorne los. Mütter oder Väter, die in dieser Situation Bücher zum Thema Babyschlaf googeln, stoßen unweigerlich auf den Klassiker „Jedes Kind kann schlafen lernen“. So verheißungsvoll der Titel klingt, der Inhalt wird seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert. Denn die Autoren empfehlen darin das sogenannte Ferbern. Ihr sollt euer Baby allein einschlafen lassen. Wenn es weint, dürft ihr laut Programm nur in bestimmten Abständen kurz trösten und dann wieder rausgehen. Hört sich herzlos an? Ist es auch. Wir erklären, wie das Programm genau funktioniert, was Kritiker, Wissenschaftler und der Erfinder sagen und zeigen euch Alternativen auf.
Was ist Ferbern?
Mit dem Begriff Ferbern ist die Anwendung eines Schlaflernprogramm gemeint, das der US-amerikanische Kinderarzt, Neurologe und Harvard-Professor Richard Ferber entwickelt hat. Veröffentlicht hat der Schlafforscher das Training 1985 in seinem Buch „Solve Your Child’s Sleep Problems“ (auf Deutsch publiziert: „Schlaf, Kindlein, schlaf. Schlafprobleme bei Kindern“). Auch der deutsche Schlaflern-Bestseller „Jedes Kind kann schlafen lernen“ von Annette Kast-Zahn und Hartmut Morgenroth basiert auf der Ferber-Methode. Ferbern bedeutet, seinem Kind anzutrainieren, sich selbst zu beruhigen und alleine einschlafen zu können. Das Schlaflernprogramm ist unter vielen Eltern, Therapeuten und Experten schon seit Jahren heftig umstritten. Kritiker sind überzeugt, dass es den Bindungsaufbau massiv schädigt.
Wie funktioniert Ferbern konkret?
Nach der Ferber-Methode soll euer Baby mit einem liebevollen Gute-Nacht-Ritual auf das Einschlafen vorbereitet werden. Wichtig ist, dass ihr es noch wach in sein Bettchen legt. Dann löscht ihr das Licht und geht leise aus dem Zimmer. Beginnt euer Baby zu weinen oder zu schreien, sollt ihr zwar wieder hineingehen, es aber nur kurz mit Worten oder einem Streicheln trösten und dann wieder aus dem Zimmer gehen. Aus dem Bett nehmen, tragen, singen und schaukeln sind tabu.
Hält man sich an das Programm, vergrößern sich die Zeitintervalle nach jeder Weinphase stetig. Geht ihr zu Beginn nach drei Minuten wieder zu eurem Kind, wartet ihr beim nächsten und übernächsten Weinen länger, bevor ihr es tröstet. 10 Minuten weinen lassen sind nach Ferber das Maximum. Wacht es nachts wieder auf, beginnt ihr wieder mit dem kürzesten Intervall.
Ferber verspricht übermüdeten Eltern, dass die meisten Kleinkinder sich schon nach drei Tagen, aber spätestens nach zwei Wochen, schneller selbst beruhigen und alleine einschlafen können. Die Ziele der Methode sind:
- Das Kind soll abends schneller einschlafen.
- Es soll auch nachts selbst schnell wieder einschlafen können, wenn es aufwacht.
- Es soll die Nacht durchschlafen.
- Es soll auch beim Mittagschlaf problemlos einschlafen.
Ferber gibt eine verhaltenstherapeutisch basierte Anleitung, wie Eltern ihrem Kind für sie ungünstige Schlafrituale wieder abtrainieren können. Hat sich euer Baby zum Beispiel daran gewöhnt, dass ihr es schaukelt und herumtragt, bis es eingeschlafen ist, braucht es die körperliche Nähe und die Bewegung auch dann wieder, wenn es nachts aufwacht. So schläft zwar euer Schatz ruhig ein, aber euer Leidensdruck wird immer größer.
In den Schlaf geschaukelt (696)
Das sagen Kritiker zum Ferbern
Ein Baby ist körperlich und emotional komplett von seinen Eltern oder Betreuungspersonen abhängig. Ohne sie kann es nicht überleben. Von ihnen bekommt es Wärme, Nahrung und Geborgenheit. Fühlt es sich satt, körperlich wohl und beschützt, sind das die besten Voraussetzungen, dass es beruhigt schlafen kann. Kritiker werfen der Ferber-Methode vor, dass sie dem kleinen Kind bewusst die Geborgenheit und den Schutz der Eltern nimmt. Das Baby habe noch nicht häufig genug die Erfahrung gemacht, dass Mama und Papa auch wieder zurückkommen, wenn sie das Zimmer verlassen. Sein steinzeitlich geprägtes Gehirn wittert Gefahr und weiß noch nicht, dass es in einer sicheren Wohnung liegt und die Eltern nur im Nebenzimmer sitzen. Es weint, weil es die Nähe vermisst und Angst hat, denn Weinen ist sein wichtigstes Kommunikationsmittel.
Der Kinderarzt Herbert Renz-Polster und der Entwicklungspsychologe Gerald Hüther kritisieren, dass das Schlafprogramm so langfristig den Bindungsaufbau und das Vertrauen des Kindes in seine Eltern stört. Die Folgen können zum Beispiel Trennungsangst, Essstörungen, Apathie oder aggressives Verhalten sein.
Sie bestätigen damit, was viele Eltern, die das Programm ausprobiert haben, selbst erfahren haben oder schon ahnen, wenn sie nur davon lesen. Sein Kind in seinem Bettchen schreien zu lassen und es in seinem Zimmer alleinzulassen, ist gegen jeden elterlichen Instinkt. Das Programm konsequent durchzuhalten ist nicht nur eine Tortur für die Kinder, auch die Eltern bringt die Forderung, immer wieder gegen ihr Schutzbedürfnis zu handeln, an ihre Grenzen. Wenn ihr schon mit dem Training begonnen habt und es sich für euch nicht richtig anfühlt, hört auf euren Bauch und sucht lieber nach einem sanfteren Weg, euren Schatz in den Schlaf zu begleiten.
Verfechter des Ferber-Konzepts gehen im Übrigen ganz selbstverständlich davon aus, dass es das Ziel aller Eltern ist, dass das Kind möglichst früh alleine in seinem Zimmer schläft. Kritiker sehen schon hier den Denkfehler. Denn separate Kinderzimmer entwickelten sich erst im 18. Jahrhundert. Vorher war es auch in westlichen Industrieländern ganz normal, dass kleine Kinder bei ihrer Mutter schliefen. Der Trend zurück zum Familienbett (Co-Sleeping) oder dem Kinderbettchen im Schlafzimmer trägt dem heute wieder Rechnung. Seinem Baby Nähe und Geborgenheit zu schenken und damit seine Grundbedürfnisse zu befriedigen, habe außerdem nichts mit Verwöhnen zu tun, entgegnen die Ferber-Kritiker einer immer wieder geäußerten Befürchtung.
Warum scheint das Ferbern dann zu funktionieren?
Ja, viele Kinder schlafen nach dem Ferber-Schlaftraining nach einigen Tagen oder Wochen allein ein. Doch der Preis ist hoch. Denn was ist passiert? Die Kinder schreien nach Nähe und die Eltern antworten nur mit immer größer werdender Zeitverzögerung. Drei bis zehn Minuten können für ein Baby oder ein Kleinkind eine Ewigkeit sein. Eine lange Zeit, in der sie sich in ihre Angst, verlassen und schutzlos zu sein, immer weiter hineinsteigern. Die Kinder machen die Erfahrung, dass es gleichgültig ist, wie laut sie schreien, ihr Bedürfnis wird nicht befriedigt. Wenn sie dann nach langen Wein- und Schreiphasen irgendwann einschlafen, geschieht das nicht, weil sie gelernt haben, sich selbst zu beruhigen, so die Kritiker. Vielmehr sind sie völlig erschöpft oder ihr Gehirn ist in der für sie als lebensbedrohlich empfundenen Situation einfach überfordert und entzieht sich dem Bewusstsein. Am Ende haben die Kinder nur gelernt, dass Weinen als ihr wichtigstes Kommunikationsmittel nicht funktioniert und sie sich in einer Notlage nicht auf ihre Eltern verlassen können. Der scheinbare Erfolg einer Methode rechtfertigt also nicht immer den Weg.
So verteidigt sich der Autor
Der Erfinder Richard Ferber hat mehrfach kritisiert, dass die nach ihm benannte Methode nur als „Baby schreien lassen“ bekannt wurde. 2011 stellte der ehemalige Leiter des Zentrums für Schlafstörungen im Kinderkrankenhaus Boston zum Beispiel in einem Interview klar, dass es sich bei dem Training um ein Notfallprogramm für Kinder handelt, die extreme Einschlafprobleme haben oder deren Eltern an der Grenze der Belastbarkeit sind. Zunächst sei es aber viel wichtiger, dass die Eltern von Kindern mit Einschlafschwierigkeiten die Schlafsituation des Kindes genau ansehen müssten. Außerdem sei die Methode nur für Kinder gedacht, die nachts nicht mehr gefüttert oder gestillt werden müssten.
Keinesfalls plädiere er dafür, Kinder dauerhaft alleine schreien zu lassen. Die Eltern sollten sich an die Minutenvorgaben des Programms halten oder diese an ihre Situation anpassen. Da die Eltern immer wieder hereinkommen, fühlten sich die Babys, so Ferber, auch nicht alleingelassen. Er selbst habe nicht damit gerechnet, dass aus seiner Ferber-Methode ein weltweit bekanntes Schlafprogramm wurde.
Das sagt die Wissenschaft zum Ferbern

Bisher gibt es keine wissenschaftlichen Studien, die die Folgen der Ferber-Methode überzeugend nachweisen konnten. Es ist weder eindeutig belegt, dass Ferbern ungefährlich ist, noch, dass es schädlich ist. Eine australische Studie maß 2016 die Konzentration von Stresshormonen bei Babys, die mit der Ferber-Methode zum Einschlafen gebracht wurden. Der Stresslevel war im Vergleich zu einer Gruppe, bei der ein anderes Schlafprogramm angewandt wurde, nicht erhöht. Allerdings wiesen die Forscher nach, dass die Mütter, die das Training durchführten, angespannter waren. Die Studie wurde mehrfach kritisiert. Kinderarzt Herbert Renz-Polster merkte zum Beispiel an, dass insgesamt nur 42 Kinder teilgenommen haben, und dass die Messungen zum Teil ungenau sind.
Letztlich sei es aus ethischen Gründen auch nicht möglich, eine fundierte wissenschaftliche Studie durchzuführen, um die Auswirkungen des Ferberns zu definieren, so die Experten des Beratungsnetzwerks 1001-Kindernacht aus der Schweiz. Die Erkenntnisse der Bindungs- und Hirnforschung geben aber in ihren Augen genug Hinweise, um zu der Einschätzung zu kommen, dass dieses Schlaftraining den Kindern ernsthaft schadet. Um Eltern gute Argumente gegen das Ferbern an die Hand zu geben, haben sie die Broschüre „Kinder brauchen uns auch nachts - Warum Schlaftrainings nicht empfehlenswert sind“, herausgegeben. Die dort aufgeführten Thesen werden von einer Reihe von bekannten Experten unterstützt.
Im Notfall besser Hilfe suchen
Es ist leicht, Methoden zu kritisieren, die man selbst vielleicht nie anwenden musste. Es gibt sie ja, diese Kinder, die angeblich von Anfang an durchschlafen. Eltern, die nie erleben mussten, was konstanter Schlafmangel bewirken kann, können kaum nachvollziehen, wie man dann plötzlich über Schlafverhaltenstrainings als letzten Ausweg nachdenkt. Kein Wunder, dass es ein Buch mit dem – aus Marketinggesichtspunkten – schlau gewählten Titel „Jedes Kind kann schlafen lernen“, schnell auf die Bestsellerliste schaffte.
Überlegt euch dennoch gut, ob ein solches Programm die Lösung für euch ist. Wendet euch lieber zuerst an eine Schlafberatung oder eine Schrei- oder Schlafambulanz in eurer Nähe. Manchmal hilft es auch, wenn ihr das Problem ganz offen mit anderen Eltern besprecht. Oft hören sich die Erfolgsgeschichten dann nicht mehr ganz so rosarot an und die anderen Mamis und Papis können euch gute Tipps in Sachen Schlafrituale geben. Auch euer Kinderarzt hat sicher Ideen, wie ihr das Thema Schlafen für euch angehen könnt. Er kann auch eine körperliche Ursache für die Schlafprobleme eures Babys ausschließen.
Macht euch vor allem klar, dass Durchschlafen eine Frage der Hirnreife und der körperlichen Entwicklung ist. Es ist völlig normal, wenn Babys nachts aufwachen. Sie bekommen Hunger und wollen sich vergewissern, dass ihre Eltern noch in der Nähe sind. Seid ihr im ersten Lebensjahr auch in der Nacht verlässliche Beschützer, die körperliche Nähe und Sicherheit schenken, kann die Distanz bei einem sicher gebundenen Kind mittelfristig auch größer werden. Denn dann hat es gelernt, dass Mama und Papa ja nebenan sind, und es kann beruhigt einschlafen.
Notlösung:
Wenn ihr selbst an der Grenze seid, und Schlafmangel und Verzweiflung euch hilflos und wütend machen, könnt ihr ein schreiendes Kind auch mal kurz allein in seinem Bett lassen. Das ist sicher besser, als ein Unglück zu riskieren. In einer solchen Notsituation mal einfach rausgehen, die Tür schließen und durchatmen, das hat aber nicht viel mit Ferbern als Trainingsprogramm zu tun und wird eurem Kind nicht langfristig schaden. Auch Eltern sind Menschen ;)
So helft ihr eurem Kind beim Einschlafen
Genug Bewegung am Tag, feste Zubettgeh-Rituale wie eine Gute-Nacht-Geschichte oder ein Schlaflied und ein gut gelüftetes Zimmer sind gute Mittel, um deinem Kind das Einschlafen zu erleichtern. In unserer Bildergalerie findest du noch mehr Einschlaftipps.
Quellen
Imlau, Nora, Herbert Renz-Polster (2016): Schlaf gut, Baby!: Der sanfte Weg zu ruhigen Nächten, München: Gräfe und Unzer Verlag
Kast-Zahn, Annette, Hartmut Morgenroth (2011): Jedes Kind kann schlafen lernen, München: Gräfe und Unzer Verlag
Ferber, Richard (2006): Solve Your Child's Sleep Problems. New, Revised, and Expanded Edition, New York: Simon and Schuster
www.spektrum.de: "In den Schlaf weinen und die Spätfolgen"
Pediatrics: "Behavioral Interventions for Infant Sleep Problems: A Randomized Controlled Trial"