Das Baby schläft immer noch nicht? Dann drehen wir Eltern auch mal den Duschhahn auf, stellen den Föhn an oder stecken den Staubsauger ein. Denn viele Babys lieben alles, was monoton laut rauscht und brummt. Mit ein wenig Glück kommen sie neben einer laufenden Waschmaschine schneller zur Ruhe oder schlummern neben der Dunstabzugshaube besonders gut ein.
Dass das mit dem Rauschen tatsächlich funktionieren kann, zeigt auch eine britische Studie: 16 von 20 Neugeborenen schliefen innerhalb von fünf Minuten mit Rauschen ein. Ohne Rauschen fanden hingegen nur fünf von 20 Babys in der gleichen Zeit in den Schlaf. Aber warum ist das so?
Das hängt vor allem damit zusammen, dass Babys im Mutterleib zahlreichen Geräuschen ausgesetzt sind. Etwa von Darm oder Herzschlag. Das Baby liegt im Uterus hinter einer dicken Wand in Flüssigkeit – so hört es die Geräusche im Körperinneren der Mutter lauter als die Geräusche draußen. Der meiste Lärm im Babybauch kommt jedoch von einer großen Vene, die direkt hinter der Gebärmutter verläuft: Die untere Hohlvene holt das Blut aus Beinen und Unterleib und schickt es weiter zum Herzen. Dieses Blutkreislaufrauschen ist ein breitbandiges Rauschen, das wie ein pausenloses Schhh-Geräusch klingt. Es rauscht in verschiedenen Frequenzen unentwegt am Baby vorbei.
"Dieses Breitbandrauschen erzeugt eine behütete Stimmung und übertönt andere Geräusche wie den Herzschlag der Mutter, denn der ist weiter weg", erklärt Prof. Dr. med. Wafaa Shehata-Dieler. Sie ist Ärztliche Leitung der Pädaudiologie und Phoniatrie am Universitätsklinikum Würzburg und begleitet klinisch und wissenschaftlich die Entwicklung des Gehörs vor und nach der Geburt. "Wenn das Baby auf die Welt kommt, fehlt dieses Rauschen plötzlich", erklärt sie.
Erzeugt man es künstlich, fühlen sich Babys an den Mutterleib erinnert und können sich etwas leichter entspannen. Gerade in den ersten drei Lebensmonaten wirkt das Rauschen daher am besten, es kann aber auch bei noch viel älteren Babys wirkungsvoll sein. "Babys erkennen vom ersten Lebenstag an die Stimmen von Mutter, Vater oder Geschwisterkindern, aber nichts ist so dominant in der Wiedererkennung wie das Rauschen", so Shehata-Dieler.
Apps statt Föhn und Staubsauger
Daher reagieren manche Neugeborene auf ein Föhngeräusch besser als auf anderes, was sich Eltern zur Beruhigung einfallen lassen. Und da gibt es so einiges: Vor allem jede Menge Handy-Apps, die das Rauschen – auch als weißes Rauschen bekannt – direkt ans Babybettchen bringen. Und im Internet warten unzählige Videos mit "Zehn Stunden White Noise" – sie haben Millionen Klicks. Hinter jedem stecken Eltern, die irgendwie versuchen, ihr Kind zu beruhigen. Tatsächlich haben Handy-Apps oder Videos, die rauschende Haushaltsgeräte imitieren, sicherheitstechnische Vorteile: Man muss weder Staubsaugerkabel durch die nächtliche Wohnung ziehen, noch riskieren, selbst bei laufendem Föhn einzuschlafen.
Praktisch sind Apps vor allem für unterwegs, im Urlaub oder im Auto – eben überall da, wo man keinen Föhn oder Staubsauger parat hat. Außerdem liefern viele Apps neben dem Rauschen noch weitere Geräusche, die viele Babys gut finden: Es gibt pumpende oder rhythmische Töne für Säuglinge, die den mütterlichen Herzschlag vermissen. Dazu kann man zwischen verschiedenen Sounds wie Meeresrauschen, Regenschauern, Autobrummen oder Katzenschnurren wählen. Gute Apps bieten meist gleichzeitig eine Timer-Funktion an. Sie schalten sich also nach einer gewissen Zeit von alleine wieder aus, funktionieren idealerweise auch im Flugmodus, sind werbespotfrei und laufen auch bei ausgeschaltetem, dunklem Bildschirm rund.
Babys mögen es meist sowieso am liebsten, wenn sie in einer gewissen Geräuschkulisse liegen. Tatsächlich beeinflussen Alltagsgeräusche und vertraute Stimmen die gesunde Entwicklung von Gehör, Sprache und Wohlbefinden, sowohl im wachen wie im schlafenden Zustand. Auch das hat seinen Ursprung in der frühen Entwicklung des Embryos. Denn durch das Rauschen im Mutterleib hindurch bekommen Ungeborene das Leben der Mutter mit: Sie singt im Chor, hört gern Musik oder arbeitet mit vielen Kollegen? Das Baby im Bauch hört mit, kann die Geräusche später wiedererkennen und weiß dann: Mama ist in der Nähe.
Auch auf die Lautstärke kommt es an
Allerdings ist das auch eine Frage der Lautstärke. Denn fehlt nach der Geburt die dämpfende Uteruswand, schallen Chorproben oder laute Musik ungefiltert auf die kleinen Ohren. Daher gilt: Alles, was über Zimmerlautstärke oder die normale Sprechstimme hinausgeht, kann für Säuglinge schnell zu laut sein. Empfindlich auf Lautstärke reagieren besonders Babys, deren Mütter sich in der Schwangerschaft hauptsächlich in leisen Umgebungen aufhielten. Säuglinge hingegen, die schon im Babybauch die umfallenden Bauklotztürme und das lautstarke Geplapper ihrer Geschwister mithörten, sind auch nach der Geburt oft weniger geräuschempfindlich.
Überhaupt sind Stimmen einer der wichtigsten Wohlfühlfaktoren für Babys. Schon im Mutterleib hören sie die Stimme von Mutter, Vater oder Geschwistern und erkennen sie später wieder. Lachen, rufen, singen, unterhalten: Die Vielfalt der Emotionen, Stimmlagen und Lautstärken bekommt das Baby mit, bevor es auf der Welt ist.
Dabei wird es nicht nur von der Stimme selbst geprägt, sondern auch durch die gesprochene Muttersprache. Sie wirkt sich schon im Babybauch auf Gehör und Spracherwerb des Ungeborenen aus. Ein Neugeborenes kann nämlich die menschliche Stimme und die Laute aller Sprachen aus einer allgemeinen Geräuschkulisse herausfiltern. Während anfangs alle Sprachen für das Baby hörbar sind, erkennt es etwa ab dem vierten Lebensmonat seine Muttersprache und kann sie von Fremdsprachen unterscheiden. Spätestens ab dem sechsten Lebensmonat ist es auf die Muttersprache festgelegt, andere Sprachen sind ab dann richtige Fremdsprachen, erklärt Shehata-Dieler. So können die Stimmen von Eltern und Geschwistern in schläfrigem Zustand beruhigend, in wachen Zustand hingegen stimulierend auf die Sprachentwicklung der Kleinen wirken.
Vertraute Geräusche für mehr Sicherheit
Durch die vertrauten Stimmen der Familie merken Babys aber vor allem, dass da jemand ist, dass sie nicht allein sind, sie sich nicht fürchten müssen. Das vermittelt Sicherheit und ist nicht nur wichtig, um ein gesundes Urvertrauen aufzubauen, sondern ist evolutionsbedingt auch überlebenswichtig: "Es gibt nichts Schlimmeres für ein Baby, als wenn es sich verlassen und ungeborgen fühlt", so Shehata-Dieler.
Eine vertraute Geräuschkulisse aus Rauschen, Stimmen und Alltagslärm gibt Babys daher das Gefühl: Alles ist gut. Daher bräuchten Eltern auch kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn sie sich mit laufendem Föhn neben das Babybettchen stellen: Das sei ein legitimer Weg, einen Säugling zu beruhigen. Aber: "Den Föhn nur so lange laufen lassen, bis das Baby schläft. Dann gleich ausschalten", rät Shehata-Dieler. Auf den Moment warten wir Eltern mitten in der Nacht ja nur – und hoffen, dass das Baby wenigstens das Ausschalten des Gerätes überhört.
Entwicklung des Gehörs
Das Hörorgan entwickelt sich schon ab der dritten Schwangerschaftswoche, also noch bevor man weiß, dass man schwanger ist. Ab etwa der 20. SSW kann das Ungeborene hören, etwa Lieder oder die Spieluhr auf dem Bauch. Keine Sorge: Die Spieluhr ist nicht zu laut, Bauchdecke und Uterus dämpfen den Schall. Und mit etwas Glück lässt sich das Baby damit später leichter beruhigen.
Prof. Dr. med. Wafaa Shehata-Dieler
ist Leitende Ärztin Audiologie, Pädaudiologie, Elektrophysiologie und Phoniatrie am Universitätsklinikum Würzburg. Sie initiierte dort 1997 das Neugeborenen-Hörscreening und begleitet klinisch und wissenschaftlich die Entwicklung des Gehörs vor und nach der Geburt.