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Im zweiten und dritten Lebensjahr wird die Feinmotorik eures Kleinkindes immer besser: Unter anderem erlernt es den Pinzettengriff – eine wichtige Voraussetzung für das spätere Halten eines Stiftes – und beginnt, immer komplexere Handlungen mit seinen Händen auszuführen. In der Regel müsst ihr euer Kind dabei nicht gezielt fördern; es bringt sich das Greifen selbst bei. Aber ihr dürft natürlich unterstützen – wie, das erfahrt ihr hier!
Was ist der Pinzettengriff?
Der Pinzettengriff erfordert im wahrsten Sinne des Wortes Fingerspitzengefühl: Der Begriff beschreibt die Fähigkeit, kleine Gegenstände mit den Fingerkuppen von Daumen und Zeigefinger greifen und festhalten zu können. So, als wären die Finger eine Pinzette.
Die Vorstufe des Pinzettengriffs ist der Scherengriff – auch unvollständiger Pinzettengriff genannt: Hierbei werden die Gegenstände nicht mit den Fingerspitzen gegriffen, sondern mit der Seite des Daumens an den Zeigefinger gedrückt. Die Griffbewegung ähnelt dabei einer Schere, die sich öffnet und schließt – daher die Bezeichnung Scherengriff.
Beherrscht euer Kind den Pinzettengriff, ist kein Krümel mehr vor ihm sicher: Jetzt wird mit Vorliebe jedes noch so kleinste Teil vom Boden aufgelesen. So wird die Fertigkeit in den folgenden Lebensmonaten immer weiter perfektioniert, bis die Kleinen die nächste Stufe der Greifentwicklung erreichen und schließlich auch den Zangengriff erlernen.
Pinzettengriff und Zangengriff – was ist der Unterschied?
Der Zangengriff unterscheidet sich nur in einem kleinen Detail vom Pinzettengriff: Die Gegenstände werden hierbei nicht mit ausgestreckten, sondern mit leicht gekrümmten Fingern ergriffen. Sinn und Nutzen dieser Unterscheidung: Mit dem Zangengriff können wir mehr Druck zwischen den Fingerspitzen aufbauen – also fester greifen. Der Pinzettengriff kommt eher bei vorsichtigeren Handgriffen zum Einsatz.
Um bei der bildlichen Vorstellung zu bleiben:
- Bei einer Pinzette sind die Griffflächen gerade und sie bewegen sich parallel zueinander: Die ganze Fläche der Fingerkuppen trifft beim Greifen aufeinander.
- Bei einer Zange sind die Griffflächen leicht o-förmig gebogen und bewegen sich aufeinander zu: Nur die obersten Spitzen der Fingerkuppen treffen beim Greifen aufeinander.
Warum ist der Pinzettengriff wichtig?
Der Pinzettengriff ist wichtig, um das volle Potenzial unserer wichtigsten Werkzeuge ausschöpfen zu können: der Hände und Finger. Er bildet die Grundlage dafür, dass wir Gegenstände mit unseren Fingern sehr gezielt greifen und festhalten können – eine Fähigkeit, die den ersten Menschen einen evolutionären Vorteil verschafft hat und die wir heute im Alltag permanent nutzen: beim Essen, Zähne putzen, Anziehen oder Schreiben. Ohne die Feinmotorik unserer Finger wäre das Leben ziemlich schwer!
Außerdem nimmt der Pinzettengriff eine besondere Rolle beim Schreibenlernen ein: Beginnt euer Kind zu malen, wird es den Stift zunächst noch im Faustgriff halten – also mit allen Fingern umschlossen. Ab einem Alter von etwa 18 Monaten löst dann der für das Schreiben wichtige Drei-Finger-Griff langsam den Faustgriff ab – hierbei liegt der Stift auf dem Mittelfinger zwischen Daumen und Zeigefinger. Wichtige Voraussetzung hierfür: der Pinzettengriff!
Wann sollte ein Kind den Griff können?
Die meisten Kinder erlernen den Pinzettengriff zum Ende des ersten Lebensjahres und perfektionieren die Fertigkeit in den darauffolgenden Lebensmonaten. Aber: Es gibt kein fixes Alter, in dem euer Kind den Pinzettengriff können muss oder soll! Jedes Kind entwickelt sich in seinem individuellen Tempo – die einen erreichen bestimmte Meilensteine früher, die anderen später. Und das ist in den allermeisten Fällen kein Grund zur Sorge.
Wie bei allen Meilensteinen der kindlichen Entwicklung kann diese durchschnittliche Altersangabe daher nur ein Richtwert sein – wenn euer Kind nicht dem Durchschnitt entspricht, ist das nicht automatisch problematisch. Ob sich euer Nachwuchs altersgerecht entwickelt, wird zudem regelmäßig bei den kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen (U-Untersuchungen) kontrolliert. Sollten sich hier Auffälligkeiten zeigen, werden euer Kinderarzt oder eure Kinderärztin darüber mit euch sprechen und gegebenenfalls professionelle Unterstützung durch Ergotherapie empfehlen.
Wie lernen Kinder den Pinzettengriff?
Die Grundvoraussetzung für den Pinzettengriff und das Greifen im Allgemeinen ist die Augen-Hand-Koordination: Babys müssen erst lernen, dass sie Dinge, die sie sehen, auch berühren können. Und auch die Zielgenauigkeit muss zunächst trainiert werden – deswegen greifen kleine Kinder bei den ersten Versuchen recht zuverlässig daneben. Was lustig aussieht, ist ein wichtiger Lernprozess im kindlichen Gehirn: Nach vielen Versuchen und ausgiebigem Training gelingt der zielsichere Griff endlich und die Koordination zwischen Augen und Hand funktioniert.
Die Entwicklungsschritte bis zum Pinzettengriff
Bevor Kinder kleine Gegenstände zwischen Daumen und Zeigefinger einklemmen können, erlernen sie eine ganze Reihe anderer Fertigkeiten. Denn wie bei allen motorischen Meilensteinen baut die eine Fähigkeit auf der anderen auf – so erlernen die Kleinen immer zuerst das, was sie für den nächsten Schritt in ihrer Entwicklung benötigen. Doch auch hier gilt: Ausnahmen bestätigen die Regel – manche Kinder überspringen auch einfach einen Entwicklungsschritt oder halten die Reihenfolge nicht ein.
- Greifreflex (Neugeborene)
Euer Baby kommt mit einem angeborenen Greifreflex auf die Welt: Es kann noch nicht aktiv steuern, ob es zugreifen möchte und schließt die Finger automatisch, sobald man seine Handinnenfläche berührt. Aber es beginnt schon sehr bald, seine Hände und Finger ausgiebig zu untersuchen und mit dem Mund zu erkunden. - Gezieltes Greifen (4. – 5. Monat)
Der erste gezielte Greifversuch kann noch etwas unkoordiniert aussehen – aber die Augen-Hand-Koordination wird nun konstant verbessert und euer Kind lernt, nahegelegene Gegenstände mit einer Hand oder beiden Händen zu erfassen (Faustgriff). - Übergabe (6. – 7. Monat)
Euer Kind kann nun auch kleinere Gegenstände mit der ganzen Hand erfassen und übt, Gegenstände von der einen in die andere Hand zu übergeben. - Scherengriff (7. – 8. Monat)
Nun üben die Kleinen, nicht mehr mit der ganzen Handinnenfläche (Faustgriff) zuzugreifen, sondern kleine Gegenstände gezielt mit Daumen und Zeigefinger zu erfassen. - Pinzettengriff (9. – 12. Monat)
Kleine Gegenstände können nun mit den Fingerspitzen von gestrecktem Daumen und Zeigefinger erfasst werden.
Lese-Tipp: Ab wann greifen Babys? Lies hier alles über die Greifentwicklung!
Was kann man tun, um den Pinzettengriff zu fördern?
Ihr müsst das Erlernen des Pinzettengriffs in der Regel nicht gezielt fördern. Wenn euer Kind keinen ärztlich bestätigten Förderbedarf hat, wird es die Fähigkeit von ganz allein erlernen. Denn mittlerweile ist sich die Forschung recht sicher, dass der Zeitpunkt des Erreichens bestimmter Meilensteine – bei gesunden Kindern – weitestgehend durch die Gene vorbestimmt ist. Gezielte Fördermaßnahmen, die diesen Prozess beschleunigen sollen, sind also eher nicht zielführend. Aber ihr könnt eurem Kind die bestmögliche Umgebung und Anregung für seine ganz individuelle Entwicklung bieten:
Für Babys
- Augen-Hand-Koordination unterstützen
Eine einfache Möglichkeit ist der klassische Spielbogen: Liegt euer Baby unter den baumelnden Spielsachen und versucht diese zu treffen, trainiert es so die Augen-Hand-Koordination. Lese-Tipp: Ab wann ist ein Spielbogen sinnvoll? - Einfache Griff-Übungen
Gebt eurem Baby einen weichen Ball oder ein Babyspielzeug, das es leicht umfassen kann. Dieses Spiel trainiert sowohl die Hand- und Fingermuskulatur als auch die Augen-Hand-Koordination. Wechselt die Dinge aus und steigert die Komplexität der Gegenstände – euer Baby wird mit großer Neugierde alles betrachten, befühlen und in den Mund nehmen. Gut so, genau auf diese Weise wird die Feinmotorik gefördert! - Baby-led Weaning (Fingerfood)
Es muss nicht immer Brei sein: Das selbstständige Essen von weich gekochtem Gemüse, reifem Obst, Brotstückchen oder anderen altersgerechten Lebensmitteln trainiert den Pinzettengriff. Hier findet ihr leckere und einfache BLW-Rezepte!
Für Kleinkinder
- Fädelspiele Kleine Perlen oder Tierfiguren auf eine Schnur aufzufädeln, erfordert Konzentration und Geschicklichkeit. Gleichzeitig fördern Fädelspiele die Augen-Hand-Koordination und den Pinzetten- sowie Zangengriff.
- Erbsen sortieren
Gebt grüne und gelbe Erbsen in eine Schüssel und lasst euer Kind die beiden Farben voneinander trennen: Das trainiert wunderbar den Pinzettengriff. - Stickerhefte oder Magnetspiele
Die kleinen Sticker abzulösen und aufzukleben, erfordert viel Fingerspitzengefühl – ein Stickerheft ist eine gute Übung für die Fingerfertigkeit.
Bitte immer darauf achten, dass die kleinen Gegenstände nicht im Mund landen und verschluckt werden können!
Lese-Tipp: Hier gibt es noch mehr Ideen, mit denen ihr die Feinmotorik fördern könnt – vom Baby- bis zum Vorschulalter!
Quellen:
- Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Die Greifentwicklung des Babys, zuletzt aufgerufen am 09.05.2023.