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Die Rolle des Vaters Alles im Wandel

Die Rolle des Vaters: Vater bringt Kind Fahrrad fahren bei auf dem Feld
© zoteva87 / Adobe Stock
Liebevoller, präsenter, engagierter: Wenn Männer heute Vater werden, starten sie mit ganz anderen Ansprüchen an ihre neue Rolle als noch eine Generation zuvor. Doch häufig kommt ihnen das Leben dazwischen. Forscher sagen: Die Pandemie kann eine Chance sein – wenn auch nicht für jeden.

Die Frauenbewegung, die deutsche Vereinigung, die Elterngeld-Gesetzgebung – das alles hat die Vaterrolle verändert, aber im Schneckentempo. Bringt die Pandemie den Turbo?

Wann genau spürt ein Mann, was Vatersein bedeutet?

Wenn er zum ersten Mal sein Kind im Arm hält? Das erste Familienselfie in die Welt hinaus schickt? Bei Ricardo Liesig, 39, passierte es schon ein paar Minuten vor der Geburt seines ersten Babys, im Kreißsaal.

"Der Oberarzt sagte zu mir: Wenn ich Ihnen etwas raten darf, bleiben Sie dran an Ihrem Kind. Denn wenn der Faden einmal ab ist, ist er ab." Zehn Jahre ist das her, aber diese Worte von Mann zu Mann, die hat er nie vergessen: "Meine Kinder stehen in meinem Leben immer an erster Stelle."

Vom "Neuen Vater" war schon vor ein paar Jahrzehnten die Rede, als die ersten sich nicht mehr damit zufriedengaben, ihren Neugeborenen hinter der Glasscheibe der Säuglingsstation zuzuwinken oder beim Einschulungsfoto einmal kurz durchs Bild zu huschen. Aber häufig war der Wunsch Vater des Gedankens, dann kam nicht viel nach. "Verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre" nannte das der Soziologe Ulrich Beck in den Achtzigern. Was sich seither bewegt hat, zeigt eindrücklich eine Studie des Allensbach-Instituts im Auftrag des Bundesfamilienministeriums von 2019: 84 Prozent aller Eltern minderjähriger Kinder finden, ein Vater solle so viel Zeit wie möglich mit seinem Nachwuchs verbringen. Nur 30 Prozent sind der Meinung, das sei auch schon in ihrer eigenen Kindheit erstrebenswert gewesen. Und junge Väter halten Wort: Während vor Einführung des Elterngeldes 2007 nur vier Prozent in Elternzeit gingen, nimmt heute etwa jeder zweite eine Babypause.

Selbst wenn es meist nicht mehr sind als die zwei "Partnermonate", hat das tiefgreifende Folgen

Väter sind von Anfang an selbstbewusster in ihrer Rolle, und die Kinder erleben: Wenn ich mit dem Laufrad hingefallen bin, Krach mit meiner Kita-Freundin habe oder einen Basteltipp brauche, ist nicht nur Mama zuständig, sondern auch Papa. Harald Rost, Soziologe und Väterforscher am Staatsinstitut für Familienforschung der Universität Bamberg, sagt: "Die gesellschaftliche Entwicklung braucht viel Zeit. Aber sie geht stetig in dieselbe Richtung."

Antreiber dafür, sagt Rost, waren ursprünglich vor allem die Mütter: die erste Generation gut ausgebildeter Frauen in den Siebzigern und Achtzigern, die von ihren Partnern Engagement und Unterstützung forderten. Die deutsche Vereinigung tat ihren Teil dazu bei, weil in der DDR viel mehr Mütter erwerbstätig waren als in der alten Bundesrepublik. Der gesellschaftliche Vorsprung zeichnet sich noch heute in der Statistik ab: Vergleicht man, wo Väter am häufigsten und am längsten Elterngeld beziehen, liegt die 100 000-Einwohner-Stadt Jena regelmäßig vor westdeutschen Metropolen wie Hamburg und München.

Eine gute Nachricht mit einem kleinen Schönheitsfehler. Denn oft hält die innere Überzeugung auf Dauer nicht der Realität stand. Etwa weil Väter im Durchschnitt vor dem ersten Kind besser verdienen – eine Folge des üblichen Altersunterschiedes und des Gender Pay Gaps –, weshalb sich längere Job-Auszeiten bei ihnen stärker aufs Familieneinkommen durchschlagen. Zwar steigt die Anzahl der männlichen Teilzeitbeschäftigten mit Kindern, aber auf niedrigem Niveau, in den letzten Jahren auf etwa sieben Prozent. Und als uns die Pandemie überrollte, mit Lockdown und Schulschließungen, fürchteten vor allem Wissenschaftlerinnen vor einem Jahr: Es wird die Gleichberechtigung um Jahrzehnte zurückwerfen, weil Mütter das ausbaden!

Heute, ein Jahr später, zeigt sich ein Bild, das nicht so schwarz-weiß ist wie befürchtet

Martin Bujard, Forschungsdirektor am Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, fasst zusammen: "Unter dem Strich hat die Coronakrise in manchen Gruppen tatsächlich zu mehr Gleichberechtigung geführt."

Zwar tragen Mütter messbar die Hauptlast, aber die Pandemie ist zum Teil auch eine Chance für die Beziehung zwischen Vätern und Kindern. Details sieht man, wenn man die Daten nach Berufsgruppen aufschlüsselt. Am allerschwersten haben es solche, in denen der Vater einen "systemrelevanten" Beruf hat, etwa als Intensivpfleger oder Supermarktleiter, die Mutter aber nicht. Denn das führt eher zu einer noch traditionelleren Rollenverteilung. Anders im umgekehrten Fall: "Wenn die Mutter außer Haus arbeitet, etwa als Ärztin oder im Labor, sind Väter viel mehr gefragt", so Bujard. Auch Phasen von Kurzarbeit entpuppten sich für viele als Segen auf den zweiten Blick: Dort, wo Männer wenig oder gar nicht arbeiteten, dabei aber einen Großteil ihres Gehalts bezogen, übernahmen sie 41 Prozent der Erziehungs- und Haushaltsarbeit. Rekord! Und während sich der Anteil regelmäßiger Homeoffice-Arbeiter und -Arbeiterinnen im ersten Lockdown 2020 von fünf auf 25 Prozent erhöht hat, ergab sich neben allem Stress oft auch mehr Verständnis: "Arbeiten beide zu Hause, kann man nicht nur Zuständigkeiten gerechter verteilen, sondern auch besser würdigen, was der jeweils andere leistet", bilanziert Bujard.

Besonders engagiert in der Krise waren übrigens Väter auf mittlerem Bildungsniveau: Sie haben die Akademiker nicht nur eingeholt, sondern überholt. Vor der Pandemiezeit brachten es die Studierten auf dreieinhalb Stunden Familienarbeit täglich, seither sind es vier – sie überlassen ihren Partnerinnen oft die Mehrarbeit. Dagegen bringen es Handwerker, Facharbeiter oder Verkäufer jetzt auf täglich sechs Stunden – vorher waren es zwei Stunden und 15 Minuten.

Doch was wird von diesen Verschiebungen bleiben, wenn Corona geht?

Bujard ist zuversichtlich: "Erfahrungen prägen Entscheidungen!" Es macht langfristig einen Unterschied, wenn Väter einmal einen Fuß in der Tür haben – und auch, wenn Paare in die Traditionalisierungsfalle tappen. Außerdem, so der Experte, haben die Krisenerfahrungen Kollegen und Chefs ein anderes Bild vermittelt, vor allem im Homeoffice: "Wenn man täglich im Videocall Kinder durchs Bild laufen oder Spielzeug herumliegen sieht, macht es die Arbeitskultur bestenfalls menschlicher, verständnisvoller. Weil man einander in einer anderen Rolle wahrnimmt."

Die Steilvorlage ist da, man muss sie nur verwandeln?

Skeptischer sieht das Jutta Rump, Betriebswirtschafts-Professorin und Direktorin des Instituts für Beschäftigung und Employability (IBE) in Ludwigshafen: "Corona hat viele Entwicklungen enorm beschleunigt, aber nicht nur zum Guten. Auf der Habenseite: Mobiles Arbeiten ist zu einer akzeptierten Variante geworden, Kommunikation funktioniert zunehmend digital, virtuell, hybrid. Auf der anderen Seite haben auch wieder andere Führungsfiguren Konjunktur, etwa der hierarchisch denkende, meist männliche Krisenmanager. Und weiche Themen wie Vereinbarkeit könnten hinten runterfallen – vor allem, wenn Unternehmen sparen müssen."

Klar: Ist die eigene Firma coronabedingt in Schräglage, dann ist man froh, wenn man seinen Job noch hat, und äußert lieber keine Sonderwünsche.

Und dann sind da auch noch jene Eltern, die kaum von den Veränderungen profitieren:

In 43 Prozent aller Paarfamilien kann keiner von beiden Eltern mobil arbeiten. Kita-Erzieherin und LKW-Fahrer, Chefärztin und Buchhändler. Wie also schaffen wir die Grundlage für ein Lebens- und Arbeitsmodell, in dem mehr Wahlfreiheit möglich ist und mehr Zeit für Väter und Kinder – zum Toben, Ins-Bett-Bringen, Inlineskates-Fahren, fürs Playstation-Duell?

Jutta Rump glaubt: Veränderung geschieht nur, wenn sie von mehreren Seiten angeschoben wird. Zum einen, wenn der Staat Gleichberechtigung auch finanziell attraktiv macht, etwa durch das gemeinsame Elterngeld Plus – so wie es bereits passiert.

Zum anderen psychologisch, durch die richtigen Vorbilder. Ältere Kollegen, die Verständnis äußern, wenn man lieber zur Schulaufführung der Tochter geht als auf ein Feierabendbier; männliche Chefs, die ein paar Monate Elternzeit nehmen, sich Führungsjobs teilen. Jüngstes Beispiel: Rubin Ritter, der 2020 öffentlichkeitswirksam seinen Job als Finanzchef beim Online-Riesen Zalando an den Nagel hängte, damit seine Frau nach der Geburt des zweiten Kindes wieder in ihrem Beruf als Richterin arbeiten kann. Klar, dass sich eine Familie in dieser Preisklasse keine Sorgen machen muss, wie sie mit einem Gehalt die Miete für die Dreizimmerwohnung stemmen soll – als Rollenmodell taugen diese Geschichten trotzdem, findet Rump: "Je mehr schon Kinder bei ihren Eltern gleichberechtigte Lebens- und Arbeitsmodelle sehen, desto selbstverständlicher werden sie sie später selbst übernehmen." Und das ist vielleicht eines der schönsten Geschenke, die Väter machen können. Ihren Töchtern wie ihren Söhnen. 

Ziel und Zweck

Mit Renate Schmidt (SPD) als Familienministerium im Kabinett Schröder (ab 2002) definierte die Politik ein neues Ziel: Frauen und Männer gleichzustellen, unter Berücksichtigung ihrer Aufgaben in der Familie. Reformen wie Elterngeld und Krippenplatz-Garantie setzten ihre Amtsnachfolgerinnen von der CDU um.

Mehr oder weniger

Aktuelle Studien bescheinigen Vätern ein Umdenken in der Coronakrise: Laut der "Initiative Chefsache" denken 35 Prozent über Teilzeit nach, in der Umfrage des Prognos-Instituts sagten 43 Prozent: Wir haben mit unseren Vorgesetzten gesprochen, wie wir unsere Arbeit besser mit der Kinderbetreuung vereinbaren können.

Gleich und gleich

"Schwarzwaldklinik"-Traumpaare wie Krankenschwester und Chefarzt werden weniger, sagt Väterforscher Harald Rost: Die Liebe ist heute meist "bildungshomogen". Also Chefarzt plus Chefärztin, Pfleger plus Hebamme. Kehrseite: Je ambitionierter die Doppelkarriere, desto mehr Diskussion um die Rollenverteilung.

Anspannung und Entspannung

ist zwischen Vätern und Müttern ungleich verteilt: In einer Befragung des Bielefelder "Kompetenzzentrums Technik/ Diversity/ Chancengleichheit" gab nur ein Viertel der Mütter an, sie könnten sich von der Corona-Dreifachbelastung zwischendurch "gut" oder "sehr gut" erholen, 40 Prozent dagegen "schlecht" oder "sehr schlecht" – bei den Vätern war das Verhältnis genau.

Eltern Family 6/ 2021 ELTERN

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