Schreibaby - oder nicht?
In den ersten Monaten schreien alle Babys, die einen mehr, die anderen weniger. Jungs sind öfter Schreibabys, doch auch Mädchen weinen oft, bis sich ihr Körper versteift. Nach drei Monaten ist der Spuk fast immer vorbei.
Schreit ein Baby an mehr als drei Tagen in der Woche länger als drei Stunden und das über einen Zeitraum von drei Wochen, sprechen Forscher in der Regel von einem Schreibaby – wenn daneben noch mindestens zwei der fünf folgenden Merkmale zutreffen:
- Das Schreien ist anhaltend und endet in Erschöpfung.
- Der kleine Körper versteift sich.
- Die Äuglein von Schreibabys wirken starr, ängstlich oder wütend.
- Das Baby ist durch nichts zufrieden zu stellen: Schreibabys nehmen keine Entspannungshilfen an (z.B. Schnuller, Herumtragen, Nahrung).
- Schreibabys haben eine geringe Reizschwelle: Fährt ein Lastwagen vorbei oder verlässt Mama kurz das Zimmer, fangen Schreibabys bereits an zu weinen und sind nur schwer zu beruhigen.
Fragen und Antworten zu Schreibabys
Baby, bitte hör auf zu weinen!
Stundenlanges Brüllen, Schlaf in Mini-Portionen und Gefühlsextreme - das Leben mit einem Schreibaby kann Eltern enorm belasten. Wie kommt das Familienleben wieder ins Lot?
Schrei-Wörterbuch: Jedes Baby schreit auf verschiedene Arten
Wenn ein Baby weint oder schreit, klingt das jedes Mal ein bisschen anders. Auf welche Arten Babys weinen - und was sie ihren Eltern damit sagen wollen, lesen Sie hier. Plus: Die richtige Reaktion, wenn Ihr Baby schreit.
Sind Verdauungsprobleme der Grund, warum Schreibabys schreien?

Wenn Babys in den ersten Lebensmonaten mehr schreien, als die Nerven ertragen, haben viele Eltern denselben Gedanken: Das können nur Dreimonatskoliken sein! Dabei ist gar nicht sicher, ob wirklich die Schmerzen im Bauch an den Schreiattacken Schuld haben, wie es das Wort "Koliken" glauben macht. Zwar spricht vieles dafür: Das Baby hat einen geblähten Bauch, überstreckt den kleinen Körper, zieht die Beinchen an, muss oft pupsen. Sanftes Streicheln des Bauches bringt bei vielen Babys Entspannung.
Einiges spricht aber auch dagegen: Häufig können Kinderärzte keine organische Ursache für das Schreien finden. Der Darm funktioniert normal, eine Milchunverträglichkeit kann nicht festgestellt werden, Blähungen sind nicht häufiger als bei Babys, die weniger schreien. Nicht selten beruhigt schon die Entwarnung des Kinderarztes die Eltern – und diese Beruhigung überträgt sich häufig sogar auf die Babys.
Wenn nicht Koliken, was ist dann die Ursache für das übermäßige Genörgel?

Experten sind geteilter Meinung. Die einen vermuten nach wie vor organische Ursachen, die anderen meinen, dass die Schreikrämpfe einen psychosomatischen Hintergrund haben. Demnach sind die Bauchschmerzen nicht die Ursache für das Schreien, sondern entstehen erst mit dem Schreien: Weil die Babys nicht zur Ruhe kämen, nicht abschalten könnten, keine Möglichkeit fänden, sich selbst zu beruhigen. "Es gibt Babys, die sich einfach schlecht regulieren können", sagt Dr. Lieselotte Simon- Stolz, Kinderärztin aus Neunkirchen, die sich auf Schrei-Babys spezialisiert hat. In ihrer Praxis hat sie täglich mit Babys zu tun, die viel weinen: "Etwa jedes fünfte Baby, das ich in den ersten Lebensmonaten betreue, hat Probleme, sich selbst in eine Balance zu bringen. Häufig schlafen diese Kinder schlecht, beim Trinken sind sie unkonzentriert. Sie regen sich schnell und scheinbar grundlos auf und schaffen es nicht, wieder runterzukommen."
Einige der Mütter und Väter geben sich die Schuld daran, dass ihr Kind offenbar chronisch unzufrieden ist. "Dabei können sie häufig gar nichts dafür“, sagt Lieselotte Simon-Stolz. "Es gibt gelassene Kinder und unruhige Kinder, das ist eine Frage des Temperaments."
Was können Eltern mit Schreibabys tun?
Eltern, deren Nerven blank liegen, brauchen Hilfe. Das Verzwickte: Was bei dem einen Baby hilft, sorgt beim anderen für noch mehr Unruhe. Die Eltern sollten ihr Kind deshalb genau beobachten: Wann will es Aufmerksamkeit, wann braucht es Ruhe? Wann hat es gute Laune, wann schlechte? Dreht es den Kopf weg, oder verfolgt es alles um sich herum aufmerksam?
Wer sich die Zeit nimmt, sein Kind "zu lesen", wie Lieselotte Simon-Stolz es nennt, wird bald seine eigenen kleinen Tricks finden, um sein Kind zu beruhigen. "Meistens brauchen die Babys gar nicht viel", sagt die Ärztin. "Möglichst ruhige und gelassene Eltern sind die Hauptsache." Dass vielen Eltern gerade das so schwer fällt, ist verständlich. "Wann immer es geht, sollten sich gestresste Eltern deshalb eine Auszeit gönnen, das Baby mal an die Großeltern oder gute Freunde abgeben - und zwar ohne schlechtes Gewissen", sagt Lieselotte Simon-Stolz.
Hilfreich kann außerdem sein, ein Schrei-Tagebuch zu führen. So werden Eltern sensibel dafür, wann ihr Kind besonders aufdreht (z. B. nach dem Trinken oder spät abends). Und vielleicht gelingt es ja, in diesen Zeiten den Familienbetrieb einen Gang hinunterzuschalten: Telefon, Fernseher und Radio abstellen; Aufgaben gerecht verteilen (während Mama stillt, kümmert Papa sich um die große Schwester); nichts "nebenher" erledigen wollen (aufräumen, abwaschen).
Wenn gar nichts hilft, bleibt ein kleiner Trost: Die Schreiattacken hören wieder auf, ganz von allein, ohne irgendwelchen Schaden verursacht zu haben. 85 Prozent der Babys haben ihre "Kolik-Zeit" mit drei Monaten überstanden, mit vier Monaten ist in der Regel auch beim Rest der Kinder der Spuk vorbei.
Wann ist der Besuch einer Schreiambulanz sinnvoll?

Expertin Dr. Angelika Gregor von der "Sprechstunde für Eltern mit Säuglingen und Kleinkindern" am Universitätsklinikum Heidelberg hält den Besuch einer Säuglings-Ambulanz für sinnvoll, wenn das Baby
- seit mehr als drei Wochen an mehr als drei Tagen in der Woche länger als drei Stunden pro Tag schreit;
- üblicherweise nicht länger als eine halbe bis dreiviertel Stunde und tagsüber oft nur zehn Minuten am Stück schläft;
- in der Regel ohne erkennbaren Grund zu schreien beginnt und kaum zu beruhigen ist.
Und wenn die Mutter bzw. der Vater sich auch in Ruhepausen stets in Alarmbereitschaft befindet und sich deshalb kaum noch entspannen kann; sich am Ende ihrer/seiner Kräfte fühlt; das Gefühl hat, dass es im Verwandten- und Freundeskreis keine Hilfe und kein Verständnis gibt; von allen Seiten widersprüchliche Ratschläge bekommt, die die Unsicherheit noch verstärken; sich mit Selbstzweifeln plagt und fragt, ob sie/er an den Problemen des Kindes schuld ist; bei den Schreiattacken Schweißausbrüche, Herzklopfen und Panikgefühle bekommt; immer öfter Angst hat, die Beherrschung zu verlieren.
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