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Kuscheln mit Baby Engen Körperkontakt, bitte!

Kuscheln mit Baby: Eine Mutter hält ihr Baby vor der Brust
© nataliaderiabina / Adobe Stock
Babys brauchen Körperkontakt, um sich sicher und geborgen zu fühlen. Manche mehr als andere. Manche sehr viel mehr als andere. Unsere Autorin Nora über extreme Kuschelbabys und warum ihre Mamas manchmal einfach überreizt sind.

Wenn ich mit Schwangeren darüber spreche, worauf sie sich nach der Geburt am meisten freuen, sagen fast alle: aufs Kuscheln. Das eigene Baby ganz nah bei sich zu spüren, an ihm zu schnuppern, es zu streicheln, küssen und liebkosen, ist ja auch wunderschön. Nur glaube ich, dass sich viele kein realistisches Bild davon machen, wie unglaublich viel von diesem innigen Körperkontakt so ein Baby brauchen kann. Insbesondere, wenn es sich um ein sehr nähebedürftiges Baby handelt, im Englischen auch scherzhaft Velcro-Baby genannt, was übersetzt Klettverschluss-Baby heißt. Weil diese Babys an ihren Eltern kleben wie festgeklettet. Und zwar Tag und Nacht.

Ich weiß das, weil ich selbst so ein Baby hatte. Solange es direkt bei mir war, war alles gut. Aber mal einen kurzen Moment allein auf der Decke, im Bettchen oder im Kinderwagen liegen? No way! Dabei schrie unser Kind, als hätten wir es kurzerhand in der Steppe ausgesetzt.

Mittlerweile habe ich viele solcher Velcro-Babys kennengelernt. Damals fragte ich mich jedoch oft, was ich falsch gemacht hatte, dass mein Baby einfach immer Körperkontakt zu brauchen schien. Heute weiß ich: Das ist einfach so. Manche Babys brauchen insbesondere in der Anfangszeit extrem viel Rückversicherung, um auf der Welt anzukommen. Und einige brauchen das auch ziemlich lange. Oder, wie es die australische Autorin, Bloggerin und Stillberaterin Meg Nagle alias "The Milk Meg" augenzwinkernd formuliert: "Wenn dein Baby weint, nimm es hoch und behalte es auf dem Arm, bis es etwa fünf Jahre alt ist."

Zu viel Nähe?

Von besorgten Nachbarn, wohlmeinenden Bekannte und skeptischen Großeltern hören Eltern nähebedürftiger Babys hingegen oft das Gegenteil: Dieses viele Kuscheln sei gar nicht gut, Kinder würden dadurch verwöhnt. Sie müssten vielmehr lernen, auch mal allein sein zu können. Zum Glück hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass das totaler Quatsch ist. Babys, die Nähe brauchen und Nähe bekommen, werden dadurch nicht verwöhnt, sondern gestärkt. Denn enger Körperkontakt ist insbesondere für sehr kleine Kinder oft die einzige Form der sogenannten Co-Regulation, die bei ihnen wirklich funktioniert. Co-Regulation, das heißt: Unterstützung beim Verarbeiten der eigenen Emotionen. Und davon brauchen Babys naturgemäß ziemlich viel.

Gleichzeitig sind die individuellen Unterschiede groß: Manche Babys sind von Geburt an so, dass es ihnen oft schon reicht, die Eltern irgendwo im Hintergrund zu hören. Andere Babys brauchen nur ab und an so enge Begleitung, zum Beispiel, wenn sie müde oder kränklich sind. Und wieder andere Babys sind so sensibel, dass sie im Prinzip permanent Co-Regulation benötigen. Das sind die Velcro-Babys.

Ich bin froh darum, dass es heute noch mal viel selbstverständlicher ist als vor 15 Jahren, kleine Kuschelbabys ohne schlechtes Gewissen nahezu ununterbrochen auf dem Arm, an der Brust, in der Trage oder im eigenen Bett zu haben. Gleichzeitig sehe ich mit Sorge, welche Spuren das Dauertragen, Dauerwiegen und Dauerstillen insbesondere bei vielen Müttern hinterlässt. Bei meinen Vorträgen erkenne ich sie daran, dass sie nicht im Publikum sitzen, sondern hinter der letzten Reihe im Wiegeschritt umhergehen, ihre kleinen Kinder in der Trage. Sie stillen sie zwischendurch häufig, sprechen leise und sanft mit ihnen, ihr Körper wippt bei jedem Schritt. Und sie sehen oft unendlich müde aus. Denn so schön es ist, mit dem eigenen Baby zu kuscheln – das nahezu 24 Stunden am Tag zu tun, ist ungeheuer kräftezehrend. Und das hat Folgen – auch für die Paarbeziehung.

Bitte nicht anfassen!

Denn wer den ganzen Tag ein Baby am Körper hatte, will abends oft nur noch eins: NICHT ANGEFASST WERDEN! Es ist, als sei der ganze Körper völlig überreizt von all den hunderttausend Berührungen pro Tag: an der Brust, am Bauch, im Gesicht. Im Englischen gibt es ein wunderbares Wort dafür: overtouched, auf Deutsch etwa "überberührt". "Manchmal träume ich davon, mich in einer Art Gummizelle zu verstecken", vertraute mir einmal eine junge Mutter an. "Keine Geräusche, keine Berührungen, keinerlei Stimulation. Nur die Stille und ich." Was in Vor-Baby-Zeiten wie ein Albtraum geklungen hätte, wird für überberührte Mütter zum Sehnsuchtsort.

Was bei overtouchedness hilft, ist vor allem Verständnis – für sich selbst, aber auch in der Partnerschaft. Nicht berührt werden zu wollen ist kein Affront, keine Zurückweisung, keine Absage an die Liebe. Sondern eine zutiefst menschliche und völlig normale Reaktion auf eine Ausnahmesituation, die zum Glück nicht ewig anhält.

Mein Velcro-Baby von einst darf ich jedenfalls nur noch selten kuscheln, und wenn, dann nur ganz kurz. Und dann fühlt es sich so an, wie ich es mir in der Schwangerschaft immer ausgemalt hatte: nah, verbunden und einfach schön.

Nora Imlau schreibt als freie Autorin für ELTERN, sie hat einen erfolgreichen Blog (nora-imlau.de) und viel Erfolg mit Bestsellern wie "So viel Freude, so viel Wut", Kösel, 20 Euro, oder "Mein Familienkompass", Ullstein, 22,99 Euro.

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