An den Moment, als ich meinen Sohn das erste Mal auf die Brust gelegt bekam, erinnere ich mich gut. Ich liege auf einer weißen Liege, der Oberkörper leicht erhöht. Neben mir – in einem Inkubator – mein Sohn, der etwas schwerer ist als eine Tüte Milch, aber kleiner als eine Baby-Born-Puppe. Er wurde in der 28. Schwangerschaftswoche geboren und verbringt die ersten drei Monate seines Lebens auf der Intensivstation. Die ersten Tage nach der Geburt ging es ihm so schlecht, dass ich ihn nicht mal auf den Arm nehmen, sondern nur mit meiner Hand durch ein kleines Fenster des Inkubators berühren durfte.
Als er endlich stabil genug ist und eine Krankenschwester ihn mir auf die nackte Brust legt, bin ich unbeschreiblich glücklich. Wie sehr hatte ich mir diesen Moment herbeigewünscht. Ich traue mich kaum zu bewegen, zu sprechen oder auch nur zu atmen, aus Angst, das kleine Wesen auf meiner Brust könnte herunterfallen. So sitzen wir dann da. Stundenlang. Und ich genieße die Zeit sehr.
Als mein Sohn endlich nach Hause darf, ist er immer noch sehr kuschelbedürftig, und es ist, wenn ich ehrlich bin, manchmal schwer auszuhalten. Ich bin alleinerziehend, und das Bedürfnis meines Kindes nach Nähe ist so groß, dass ich es allein kaum erfüllen kann. Mein Sohn brüllt den ganzen Tag und kann sich nur beruhigen, wenn ich ihn im Tragetuch eng an mich wickle. Dort schläft er sofort ein. Ihn abzulegen, um mal allein zu duschen? Daran ist nicht zu denken.
Sobald er merkt, dass ich ihn aus dem Tuch nehmen will, schreit er, bis sein Gesicht tiefrot ist. Will ich ihn auf den Rücken binden, um das Gewicht zu verlagern, brüllt er auch. Ruhig ist er nur, wenn er auf meiner Brust oder im Tragetuch liegt und meinen Herzschlag hört.
Also wird fortan alles mit Kind vorm Bauch erledigt – vom Einkauf über den Wohnungsputz bis zur täglichen Körperpflege. Nachts schläft er bei mir im Bett – am liebsten auf meiner Brust. Der Monitor, den wir zur Überwachung der Herzfrequenz mitbekommen haben, steht direkt neben dem Bett und piept mehrmals in der Nacht, vor allem dann, wenn mein Sohn sich bewegt und sich deshalb die Elektroden lösen. Ihn stört das wenig, aber ich wache jedes Mal auf.
In den heißen Sommermonaten wünsche ich mir, ihn wenigstens kurz neben mich legen zu können, um etwas abzukühlen. Wie toll wäre es, er würde einfach mal einschlafen und mich aufstehen und kurz lesen oder fernsehen lassen. Nur eine halbe Stunde.
Fast zwei Jahre dauerte diese Phase. Erst als mein Sohn laufen lernte, begann er sich für Minuten von mir zu lösen.
Ich weiß heute, wie es sich anfühlt, von einem kleinen, zarten Menschen erdrückt zu werden. Sich zeitweise selbst aufzugeben. In den ersten Jahren gab es nicht mich allein und nicht ihn allein, sondern nur uns beide zusammen.
Mittlerweile ist mein Sohn fünf, und er braucht immer noch sehr viel Nähe. Zum Einschlafen dreht er mir den Rücken zu, kuschelt sich an mich und steckt seine Füße zwischen meine Beine. Wenn er eingeschlafen ist, kann ich aber aufstehen, ohne dass er aufwacht. Ich kann allein duschen und einkaufen, wenn er im Kindergarten ist. Auch in Vorlesungen ist er nur noch selten dabei. Es war eine harte Zeit, aber ich bin froh, dass wir sie zusammen gemeistert haben.