Artikelinhalt
- Wie oft haben Sie diese Operation schon durchgeführt?
- Unter welchen Voraussetzungen operieren Sie eine Spina Bifida im Mutterleib?
- Gibt es ein zeitliches Fenster, in dem die Operation nur möglich ist?
- Wie läuft solch eine Operation ab?
- Läuft bei der OP nicht das Fruchtwasser aus?
- Wie betäuben Sie das Baby?
- Wie riskant ist die Operation?
- Wird diese Art der Spina Bifida-Operation europaweit nur bei Ihnen gemacht?
- Tipp zum Weiterlesen: "Unser Kampf um Rosalie"

Wenn im Ultraschall eine Spina Bifida (auch Myelomeningocele genannt) zu sehen war, hatten Eltern bis vor einigen Jahren nur zwei Möglichkeiten: Sie konnten die Schwangerschaft abbrechen lassen oder warten, bis das Kind auf der Welt war und den Defekt dann operativ verschließen lassen. Allerdings ändert auch diese postnatale Operation nichts daran, dass die Nervenfasern des Rückenmarks durch das Fruchtwasser und das Scheuern an der Gebärmutterwand unwiederbringlich beschädigt werden. Eine Querschnittlähmung und oft auch ein Wasserkopf sind dann die Folge. Während ein Wasserkopf sich durch ein kleines Ablaufventil fürs Gehirnwasser, behandeln lässt, gibt es für die Querschnittlähmung und die Einschränkungen von Darm-, Blasen- und Sexualfunktion kaum Hilfe.
Prof. Dr. med. Martin Meuli, Direktor der Klinik für Kinderchirurgie am Kinderspital Zürich und Kodirektor des mit der geburtshilflichen Klinik des Universitätsspitals gemeinsam betriebenen Zentrums für fötale Diagnostik und Therapie, beschäftigte sich schon in den 90er Jahren in den USA mit der Frage, ob sich die Schädigung der Nervenfasern verhindern ließe, wenn man schon das Ungeborene operiert, und zwar im offenen Mutterleib. 2010 führte er die erste solche Operation in Zürich durch, inzwischen kommende Schwangere aus der ganzen Welt zu ihm, zum Beispiel Virginia Reinke aus Deutschland. (Verlinkung mit dem Tagebuch). Wir haben mit Prof. Meuli gesprochen:
Wie oft haben Sie diese Operation schon durchgeführt?
Insgesamt 38 Mal bei uns in Zürich und acht Mal in Leuven, Belgien. Und es kommen stetig weitere Operationen dazu.
Unter welchen Voraussetzungen operieren Sie eine Spina Bifida im Mutterleib?
Die Mutter muss gesund sein und darf auch keine schweren Infektionen wie HIV oder Hepatitis haben, es darf kein Frühgeburtsrisiko in ihrer Vorgeschichte bekannt sein, der Uterus muss normal ausgebildet sein und die Plazenta darf nicht über dem Muttermund (Plazenta Praevia) liegen.
Die wichtigsten Voraussetzungen für das Kind: Es muss ein Einling sein (sonst würden durch die OP die Geschwister im Bauch einem zusätzlichen Risiko ausgesetzt), es darf keine zusätzlichen schweren Fehlbildungen aufweisen, die weitere Operationen notwendig machen, etwa schwere Herzfehler. Und es darf keine Chromosomenschäden haben, die ebenfalls mit schweren Schäden einhergehen können.
Gibt es ein zeitliches Fenster, in dem die Operation nur möglich ist?
Ja, zwischen der 20. und 26. Schwangerschaftswoche. Danach ist das offen liegende Nervengewebe schon so weit geschädigt, dass eine Operation keinen wesentlichen Effekt mehr hat. Außerdem wird die Gefahr, dass der Körper auf die OP mit vorzeitigen Wehen reagiert, mit jeder Schwangerschaftswoche höher.
Wie läuft solch eine Operation ab?
Zuerst schauen wir im Ultraschall, wo das Kind liegt. Denn bevor wir eine Öffnung in den Uterus schneiden, müssen wir sichergehen, nicht das Kind, die Plazenta oder die Nabelschnur zu verletzen. Dann öffnen wir die Gebärmutter und drehen das Kind vorsichtig so, dass es mit dem Rücken zur Öffnung liegt. Dann wird das freiliegende Rückenmark vorsichtig in mehrere Gewebeschichten eingepackt. Dann wird die Haut darüber vernäht. Ist das Ungeborene versorgt, verschließen wird alle Schichten der Gebärmutter und des mütterlichen Bauches wieder.
Läuft bei der OP nicht das Fruchtwasser aus?
Doch, das läuft sofort aus, wenn wir die Fruchtblase anschneiden. Deshalb schieben wir einen weichen Schlauch in die Gebärmutter, durch den ständig körperwarme Ersatzflüssigkeit nachgefüllt wird. Das Ungeborene soll sein Badegefühl nicht verlieren.
Wie betäuben Sie das Baby?
Es hat zusammen mit der Mutter eine Vollnarkose. Zusätzlich bekommt es ein starkes Schmerzmittel in einen Muskel gespritzt – wir wollen auf der sicheren Seite sein, dass es wirklich nichts mitbekommt. Und wir denken, dass das Ungeborene auf diese Weise komfortabel schläft. Jedenfalls schlägt nicht einmal sein Herz schneller und es zappelt auch nicht, wenn wir mit der Operation seines Rückens beginnen.
Wie riskant ist die Operation?
Weltweit ist bei dieser Operation noch keine Mutter gestorben oder hat auch nur schwerere Schäden davongetragen. Allerdings kann es zu Blutungen, Infektionen und Wundheilungsstörungen kommen. Für das Kind ist das größte Risiko, extrem früh geboren zu werden. Das kann passieren, wenn sich die Eihäute abgelöst haben oder vorzeitige Wehen auftreten. Dann besteht die Gefahr von Atemversagen, schweren Darmentzündungen und Hirnblutungen wie bei allen extrem früh geborenen Babys. Zum Glück haben wir das hier noch nie erlebt.
Wird diese Art der Spina Bifida-Operation europaweit nur bei Ihnen gemacht?
Nein, solche Operationen werden auch in Leuven in Belgien und Katowice in Polen durchgeführt. Allerdings haben wir hier seit Jahrzehnten als einzige ein hoch und ausschließlich auf Kinder spezialisiertes Spina Bifida-Zentrum, in dem alle operierten Kinder bis ins Jugendlichen-Alter in regelmäßigen Abständen sehr detailliert von Expertenteams, die spezifische Erfahrung mit diesen vorgeburtlich operierten Patienten haben, nachuntersucht werden. Nur so können wir die gelegentlichen Probleme frühzeitig erkennen und behandeln. Im Rahmen einer großen Studie können wir außerdem wissenschaftlich belegen, wie genau die pränatale Operation wirkt, insbesondere auch im Langzeitverlauf. Diese Daten sind für eine detaillierte Qualitätskontrolle unverzichtbar.
Tipp zum Weiterlesen: "Unser Kampf um Rosalie"
Was es bedeutet, wenn das eigene Kind eine solche Operation braucht, könnt Ihr nachlesen im fünfteiligen Tagebuch "Unser Kampf um Rosalie": In der 15. Schwangerschaftswoche erfahren Virginia und Steffen, dass ihr Baby an einem offenen Rücken leidet. Der Arzt spricht von Querschnittslähmung und Wasserkopf. Und rät zum Schwangerschaftsabbruch. Aber die beiden kämpfen für ihre Tochter. Und Virginia hat exklusiv für ELTERN online Tagebuch geführt.
Hier geht's zum 1. Teil des Tagebuchs "Unser Kampf um Rosalie".