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Hörstörungen Woher weiß ich, ob mein Baby gut hört?

Baby im Liegen schaut auf
© Fedinchik / iStock
Dank des Neugeborenen-Screenings werden die meisten Hörstörungen heute sehr früh erkannt. Trotzdem gibt es immer wieder Kinder, bei denen die Schwerhörigkeit viel zu spät entdeckt wird. Wie das passieren kann und wie Eltern sicherstellen können, dass ihr Baby wirklich gut hört, dazu haben wir eine Fachpädagogin gefragt.

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Wie viele Kinder kommen mit einer Hörstörung oder gehörlos auf die Welt?

Etwa eines bis drei von tausend Kindern. Die Zahl scheint sich übrigens auch nicht zu verändern.

Eine Mutter hat ihr Neugeborenes im Arm und flüstert ihm etwas in's Ohr.

Gibt es typische Ursachen?

Knapp ein Drittel der Hörstörungen sind vererbt. Allerdings in den meisten Fällen über ein rezessives Gen, das heißt: Vater UND Mutter müssen das Gen weitergeben, damit das Kind eine Hörstörung hat. So kann es sein, dass in mehreren Generation beider Familien niemand eine Hörstörung hatte, und doch ein Kind damit auf die Welt kommt. Aber zum Beispiel auch Infektionen mit Röteln oder Zytomegalie können Hörstörungen und Taubheit verursachen. Häufig aber bleibt die Ursache ungeklärt.

Seit 2009 wird im Rahmen des Hörscreening das Gehör bei allen Neugeborenen untersucht. Sind Eltern damit nicht auf der sicheren Seite?

Leider nicht immer. Die Untersuchung wird am ersten oder zweiten Lebenstag gemacht, wenn das Neugeborene schläft. Dabei werden Töne ins Innenohr geschickt und geprüft, ob eine Reizantwort zurückkommt. Kommt nichts zurück, kann das ein Hinweis auf eine Hörstörung sein. Es kommt vor, dass Eltern noch im Unklaren gelassen werden mit Erklärungen wie „Vielleicht ist noch etwas Fruchtwasser oder Käseschmiere im Gehörgang.“ Oder: „Das Gerät ist vielleicht defekt.“  Was beides auch so sein kann. Nur müsste das Baby dann etwas später noch einmal nachuntersucht werden. Aber das passiert nicht immer.

Aber merkt man denn nicht, wenn ein Baby nichts hört?

Nein, Babys sind Augenmenschen, und sie leisten Enormes, um die Hörstörung auszugleichen: Sie reagieren auf feinste Bewegungen, auf Luftzug und Erschütterungen und machen so den Eindruck, als könnten sie hören. Und sie plappern am Anfang auch erste Silben, ohne selbst etwas zu hören. Wenn Eltern merken, dass ihr Kind bei Geräuschen nicht so leicht erschrickt, gilt es vielleicht als sehr entspannt. Und wenn die Eltern dem Kinderarzt berichten, dass das Baby noch kein Wort spricht, könnte es sein, dass sie als „überbesorgte Eltern“ vertröstet werden. "Schließlich hat ja auch jedes Kind sein eigenes Entwicklungstempo.

Aber irgendwann muss doch offensichtlich sein, dass etwas nicht stimmt!

Sehr aufmerksame Eltern hegen etwa um den ersten Geburtstag den Verdacht, dass ihr Kind nicht richtig hört. Es kann passieren, dass der Kinderarzt zunächst noch abwarten möchte oder nicht direkt an einen Spezialisten, den Pädaudiologen, überweist. Wenn es unglücklich läuft, berichten Eltern manchmal, dass sie viele Umwege gehen mussten, um nach einem halben bis Dreivierteljahr die wirkliche Diagnose zu erhalten.

Warum ist es so wichtig, dass die Hörstörung möglichst früh erkannt wird?

Weil es ein klar begrenztes Zeitfenster für die neuronale Entwicklung gibt. Schon in der 20. Schwangerschaftswoche ist das Ohr voll ausgebildet. Bis zum zweiten Geburtstag passiert am meisten im Hörzentrum (Hörnerv) – aber nur, wenn es auch etwas zu hören gibt. Wir hören nämlich eigentlich nicht mit den Ohren, sondern zwischen den Ohren – mit dem Hörzentrum. Das entwickelt sich mit allen Höreindrücken weiter – von schmalen Trampelpfaden zu einer Art Hörautobahn-Netz.

Was sollen also Eltern tun, wenn sie den Verdacht haben, dass ihr Kind nicht richtig hört?

Niemals zuwarten, sondern am besten gleich mit ihrem Kind zu einem Pädaudiologen gehen. Dieser  kann die Screening-Untersuchung wiederholen. Ist das Ergebnis in Ordnung, können die Eltern sich entspannen. Deutet das Ergebnis darauf hin, dass etwas nicht stimmt, wird er weitere Untersuchungen vornehmen.

Was passiert, wenn das Kind tatsächlich eine Hörstörung hat oder gar nichts hört?

Dann bekommt es individuell angepasste Hörgeräte, optimalerweise mit dem 4. Monat. Wird die Hörstörung erst später entdeckt, dann entsprechend später. Nach einigen Monaten des Ausprobierens prüft man, ob das Hörgerät dem Kind ermöglicht, Lautsprache über das Hören zu erlernen. Reicht das allein nicht aus, ist es auch möglich, das Kind mit einem Cochlea-Implantat zu versorgen, das die Funktion des Innenohrs übernimmt. Von Anbeginn an besteht auch die Möglichkeit, Gebärden zu erlernen, um den Kindern ein visuelles Kommunikationssystem anzubieten. Außerdem bekommt das Kind altersgemäße Frühförderung, um die Kommunikationsentwicklung, das Hören- und Sprechenlernen sowie die Gesamtentwicklung zu unterstützen.

Müssen die Eltern dann mit dem Kind auf besondere Weise sprechen?

Wir nutzen gerne ein Zitat von M. Clark (Pionierin der Hörgeschädigtenpädagogik): „Das hörgeschädigte Kind braucht nichts Besonderes, sondern mehr von dem Normalen, was auch hörende Babys brauchen.“  Mehr Geduld, mehr Hörgelegenheiten geben, mehr miteinander sprechen, und zwar im normalen Ton und in normaler Lautstärke.

Was ändert sich mit der Diagnose für die Familie?

Zuerst ist das natürlich ein Schock. Im Vordergrund steht die große Sorge: Wird unser Kind sich normal entwickeln können? Dazu kommt im Alltag eine große Belastung durch die vielen Arzt- und Fördertermine. Aber hier liegt zugleich auch die Lösung: Wenn Eltern sehen, wie sich mit Hilfe des Hörgeräts und der Frühförderung ihr Kind gut entwickelt, dann schöpfen sie Hoffnung. Und das zu recht: Mit guter Versorgung und Förderung haben die Kinder heute die allergrößten Chancen, sich prächtig zu entwickeln.

ELTERN online sprach mit Christiane Garvs, Teamkoordinatorin der Frühförderung in der Elbschule / Bildungszentrum Hören und Kommunikation in Hamburg.
Mehr Infos zum Thema gibt es auch bei der "Aktion Frühkindliches Hören".

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