Warum sich Familienfreundlichkeit für Unternehmen auszahlt
Laut einer Analyse des Bundesfamilienministeriums kehren noch immer mehr als 40 Prozent der Frauen in Westdeutschland nach dreijähriger Elternzeit nicht mehr an ihren Arbeitsplatz zurück. Rund 60 Prozent der deutschen Frauen mit Kindern unter drei Jahren würden gerne wieder arbeiten gehen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen würden, zum Beispiel durch Arbeitszeitregelungen oder Kinderbetreuung. Drei von vier Männern würden laut "Monitor Familienforschung 2006" für ihre Familie gerne ihre Arbeitsstunden reduzieren, aber 88 Prozent der Familienväter sind Vollzeit erwerbstätig. Drei Viertel der Männer erwarten berufliche Nachteile, wenn sie in Elternzeit gehen, wie eine Studie des Allensbach-Instituts von 2006 ergab.
Doch es scheint, als würde in den Chefetagen endlich ein Umdenken stattfinden: Mittlerweile schätzen laut "Monitor Familienforschung 2006" rund 70 Prozent aller Unternehmensleitungen die Bedeutung von Familienfreundlichkeit als wichtig oder sehr wichtig für ihr eigenes Unternehmen ein. 2003 war es noch knapp die Hälfte. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: Die Mitarbeiter familienorientierter Unternehmen fehlen seltener, nehmen kürzere Elternzeit, sind zufriedener, motivierter und damit leistungsfähiger - das ergab eine Studie des Forschungszentrums Familienbewusste Personalpolitik (FFP).
Außerdem steigert eine familienfreundliche Personalpolitik die Attraktivität der Firma auf dem Arbeitsmarkt, die auf diese Weise qualifiziertes Fachpersonal gewinnen und halten kann. Dieser Aspekt gewinnt für die Unternehmen zunehmend an Bedeutung: Wegen des Fachkräftemangels und demografischen Wandels werden sie verstärkt auch das Potenzial von Frauen und Männern nutzen müssen, die beides wollen: Kind und Karriere.
Ein weiterer Vorteil für die Firmen: Durch familienorientierte Maßnahmen sinken die Personalkosten. Die Kosten für flexible Arbeitszeitkonzepte, Telearbeit oder die Vermittlung von Betreuungsangeboten sind nämlich deutlich geringer als die, welche durch Neubesetzung, Fehl- und Überbrückungszeiten entstehen. Damit lohnt sich Familienfreundlichkeit betriebswirtschaftlich - familienbewusste Personalpolitik hat also nichts mit wohltätiger Sozialpolitik zu tun.
So können Firmen helfen, Familie und Beruf zu vereinbaren
Ein erster Schritt für Firmen, die mehr für die Eltern unter ihren Beschäftigten tun wollen, sind flexible Arbeitszeiten, die Mitarbeiter an ihre familiären Anforderungen anpassen können. Möglich sind beispielsweise Teil- und Gleitzeit, Jahres- und Lebens-Arbeitszeitkonten oder sogar eine einjährige Auszeit, so genannte Sabbaticals.
Auch die Arbeitsorganisation lässt sich familienorientiert gestalten - zum Beispiel durch Teamarbeit oder Vertretungsregelungen. Zunehmend bieten Chefs ihren Angestellten auch die Möglichkeit, ausnahmsweise oder regelmäßig von zu Hause aus arbeiten können. Eltern-Kind-Arbeitszimmer, Ferienbetreuung sowie die Hilfe bei der Suche nach Kita-Platz oder Tagesmutter senken familiär bedingte Fehlzeiten ebenfalls nachweislich.
Um den Wiedereinstieg nach der Babypause zu erleichtern, laden Firmen ihre Mitarbeiter auch immer öfter während der Elternzeit zu Weiterbildungen ein. Und eine Einladung zu Betriebsfeiern und Personal-Stammtischen, bei denen auch der Kontakt zu den Kollegen gehalten wird, gehört vielerorts längst zum guten Ton.
Manchen Unternehmen sind die Kinder ihrer Mitarbeiter sogar echtes Geld Wert: Zinsgünstige Darlehen, ein Zuschuss zur Erstausstattung und Betreuungskosten-Zuschüsse sind Beispiele für die finanzielle Unterstützung von Beschäftigten mit Kindern. Das gibt es etwa bei der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft. Oft ist bereits die bloße Vermittlung - die Kosten übernehmen die Mitarbeiter dann selbst - von Serviceangeboten, wie zum Beispiel einer Haushaltshilfe, eine große Erleichterung für Familien.
Mittlerweile haben sogar einige Unternehmen erkannt, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch die Pflege älterer Angehöriger mit einschließt. Sie versuchen zu helfen, indem sie zum Beispiel Belegrechte in Altenheimen anbieten. Noch leisten diese Firmen Pionierarbeit, doch in Zukunft wird die Frage, wie man nicht nur die Kindererziehung, sondern auch die Sorge für die eigenen Eltern in die Berufstätigkeit integriert, enorm an Bedeutung gewinnen.
Für jede Firma das ideale Work-Life-Balance-Modell
Manche Firmen würden Familien zwar gern fördern, wissen aber nicht so recht, wie. Die gemeinnützige Hertie-Stiftung hat dafür das "audit berufundfamilie" ins Leben gerufen: ein Verfahren, bei dem für jede Firma nach individuellen Lösungen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie gesucht wird. Dazu kommt ein unabhängiger "Auditor" ins Unternehmen und erarbeitet in enger Abstimmung mit den Mitarbeitern eine betriebseigene Strategie zur so genannten "Work-Life-Balance". Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft empfehlen das Audit, das in allen Branchen und Betriebsgrößen einsetzbar ist. Die Schirmherrschaft haben übrigens Familienministerin Ursula von der Leyen und Wirtschaftsminister Michael Glos übernommen.
Falls die Firma das Konzept erfolgreich umsetzt, bekommt sie ein Grundzertifikat. 1999 wurde das zum ersten Mal verliehen, mittlerweile ist es in ganz Europa anerkannt. Lange auf ihren Lorbeeren ausruhen können sich die Zertifikats-Träger jedoch nicht: Die praktische Umsetzung wird jährlich überprüft, nach drei Jahren muss das Unternehmen bei einer Re-Auditierung weiterführende Ziele vereinbaren und umsetzen. Erst dann darf sie das eigentliche Zertifikat und damit das Gütesiegel des "audit" führen - bis zur nächsten Überprüfung nach drei Jahren.
Bisher wurden bereits mehr als 500 Unternehmen, Institutionen und Hochschulen auditiert und dabei über 150 unterschiedliche Maßnahmen entworfen. Dazu gehören zum Beispiel fast 40 Prozent aller Dax-Unternehmen, 20 Prozent aller deutschen Hochschulen sowie die gesamten Landesregierungen in Hessen und Rheinland-Pfalz. Manche Bundesländer fördern die Auditierung finanziell, vor allem kleiner und mittelständischer Unternehmen.
Beispiel Eins: Krippe, Sommercamp und "Bärenhöhle"
Um Beschäftigten mit Kleinkindern den Wiedereinstieg zu erleichtern, hat beispielsweise die MVV Energie AG in Mannheim Mitarbeiter bei der Gründung einer Elterninitiative unterstützt. Sechs Erzieherinnen betreuen in der Krippe "Die kleinen Stromer e.V." 20 unter dreijährige Kinder. Die Betreuungseinrichtung liegt nur einige hundert Meter entfernt vom Betrieb, hat von 7:30 bis 17 Uhr geöffnet und bleibt nur am Jahresende zwei Wochen lang geschlossen. Das pädagogische Konzept haben die Eltern selbst entwickelt. Auch an die Größeren wurde gedacht: In einem dreiwöchigen Camp werden Schulkinder in den Sommerferien durch den TSV Mannheim betreut, mittlerweile auch in zwei Nachbarstädten.
Dr. Michael Lomitschka, Abteilungsleiter Risko-Controlling, ist zuständig für die Finanzen der "kleinen Stromer". Auch sein heute dreieinhalbjähriger Sohn wurde vom ersten bis zum dritten Geburtstag dort betreut und seine sieben Monate alte Tochter wird bald in die Krippe kommen. Wenn alle Stricke reißen, können die Angestellten ihr Kind sogar mit in den Betrieb nehmen: in das Eltern-Kind-Arbeitszimmer "Bärenhöhle", ein separates Arbeitszimmer mit Kinderzimmer und einer Küche. "Das ist extrem praktisch. Im Notfall, zum Beispiel wenn der Kindergarten geschlossen hat, kann ich trotzdem arbeiten gehen", so der Vater. Wäre er heute auf Jobsuche, wären solche Angebote für Familien ein entscheidender Faktor bei seiner Wahl.
Ein Patenprogramm für Beschäftigte der MVV in Elternzeit erleichtert ihnen den späteren Wiedereinstieg: Ein selbst gewählter Pate hält sie während der Babypause auf dem Laufenden, was sich im Betrieb tut. Als Informationsplattform für die familienorientierten Maßnahmen dient das Intranet, online können Mitarbeiter zudem nach Kinderbetreuungs-Angeboten suchen.
Außerdem bietet der Energiekonzern eine Reihe von individuellen Arbeitszeitmodellen wie zum Beispiel Tele-Arbeitsplätze, flexible Arbeitszeiten und Job-Sharing. "Wir sind vier Personen in unserer Abteilung, davon sind drei Familienväter und die nutzen das alle", erzählt Michael Lomitschka. "Wir sind alle mit Laptops ausgestattet. Vor drei Monaten waren zum Beispiel beide Kinder und meine Frau krank. Da konnte ich von zuhause aus arbeiten."
Beispiel Zwei: Kinderlachen im Familienbetrieb
Dass Familienfreundlichkeit keine Frage der Betriebsgröße ist, beweist Meike Ossenbrügge, die im niedersächsischen Stade eine Fleischerei mit sechs Beschäftigten betreibt - vier davon sind Eltern. Schon 1995 erkannte sie die Vorteile familienorientierter Personalpolitik. "Der Bedarf war einfach da. Wir haben eine sehr gute Verkäuferin, die damals schwanger wurde, und wir wollten gerne, dass sie bei uns bleibt. Sie war so motiviert, dass sie schon acht Wochen nach der Geburt wieder Vollzeit arbeitete. Da haben wir uns bei den Arbeitszeiten gut arrangiert und den wechselnden Bedürfnissen angepasst." Besagte Verkäuferin arbeitet immer noch in der Fleischerei - seit mittlerweile 16 Jahren, der Sohn ist heute 13. "Der Einsatz lohnt sich. Das Wissen und Potenzial, das diese Mitarbeiterin hat, ist uns nicht verloren gegangen und ich habe keinen finanziellen Mehraufwand", so die Inhaberin.
Doch auch sonst ist "Familienfreundlichkeit" bei Meike Ossenbrüge keine hohle Phrase, sondern Programm: So dürften Angestellte ihre Kinder einfach mitbringen, wenn die Tagesmutter mal krank oder der Kindergarten geschlossen ist. Ein separates Spielzimmer gibt es zwar nicht, aber "in einer Fleischerei gibt es so viel zu sehen, die Kinder sind den ganzen Tag beschäftigt." Auch die Chefin bringt ihre Kinder, inzwischen sechs und acht Jahre alt, öfter mal mit zur Arbeit. Bei Bedarf könnte Meike Ossenbrügge jedoch auch einen Hortplatz oder eine Tagesmutter vermitteln, die sie persönlich kennt.
Mittags kocht die Mutter der Inhaberin für alle Mitarbeiter und es wird gemeinsam gegessen, das verbindet. Wenn bei Angestellten ein Umzug ansteht, stellt der Betrieb den Lieferwagen samt Anhänger zur Verfügung. Von Kunden bekommt Meike Ossenbrügge oft zu hören: "Bei Ihnen stimmt nicht nur die Ware, sondern auch das, was dahinter steht". Kein Wunder, dass der Familienbetrieb 2004 in einer Studie zum Thema "Familienfreundlichkeit im Handwerk" als Best Practice ausgewählt wurde. Dass die Fleischermeisterin sich auch gut vorstellen könnte, eine junge Mutter auszubilden, passt da nur ins Bild.
Familienfreundlichkeit - manchmal doch nur ein Imagefaktor?
In der Wirtschaft sind Auszeichnungen zur Familienfreundlichkeit mittlerweile sehr begehrt - was leider manchmal auch zu Missbrauch führt. Unter anderem in der Finanzbranche scheinen sich manche Unternehmen zwar gern mit dem Zertifikat zum "audit berufundfamilie" zu schmücken, den Beschäftigten die Vereinbarung von Kind und Karriere jedoch trotzdem zu erschweren.
Dass es einer Mutter in Teilzeit quasi unmöglich ist, zwei Wochen voll und zwei Wochen gar nicht zu arbeiten, liegt auf der Hand. Trotzdem werden manchen Eltern solche Vorschläge unterbreitet. Oft werden sie auf diese Weise dazu gedrängt, eine andere Stelle anzunehmen, für die sie überqualifiziert sind, oder einen Aufhebungsvertrag zu akzeptieren. Schlimmer noch: Mütter und Väter mit dem Wunsch nach Jobsharing oder Telearbeit scheinen sich in den Augen mancher Personalchefs bestens zum Personalabbau zu eignen. Bis die Arbeitswelt hierzulande eine wirklich familienfreundliche ist, wird so mancher Personaler also noch umdenken müssen. Vielleicht sollte er mal bei Meike Ossenbrügge einkaufen?
Hier bekommen Sie weitere Infos zu familienfreundlichen Unternehmen
- Kontaktplattform, Diskussionsforum, Ideenschmiede, Lobby für Familien: www.lokale-buendnisse-fuer-familie.de
- Portal für Arbeitgeber und Beschäftigte:
www.mittelstand-und-familie.de - Deutscher Gewerkschaftsbund: www.familie.dgb.de
- Familienministerium: www.familien-wegweiser.de
- Informationsstelle innovative Arbeitszeitmodelle:
www.zeitzeichen-rlp.de - Unternehmensnetzwerk: www.erfolgsfaktor-familie.de
- Initiative der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung:
www.beruf-und-familie.de