Georg, in Deinem Buch "Aus Liebe zum Wahnsinn" beschreibst Du sehr humorvoll die letzten zwölf Jahre, in denen ihr zur Großfamilie wurdet. Ihr habt sechs Kinder zwischen drei zwölf Jahren, habt in vier verschiedenen Ländern gelebt und geht euer ganzes Familienleben beeindruckend locker an - so liest sich zumindest Dein Buch.
Georg: Mein Buch soll ein Plädoyer für mehr Leichtsinn im Leben sein. Ich habe das Gefühl, dass wir heute Kinder gerne in einen Ganzkörperschutzanzug stecken. Aber das ist genauso schlecht, wie sich überhaupt nicht um seine Kinder zu kümmern. Meine Frau und ich waren sehr jung, als wir das erste Kind bekamen und wir haben das erst gar nicht verstanden, wie das werden soll mit Kind. Für uns waren die Kinder aber ein Impuls, Dinge anzugehen, die wir aufgeschoben hatten. Deshalb sind wir auch mit den Kleinen ins Ausland, um dort zu studieren.
Viele Eltern reagieren genau entgegengesetzt, sie denken: Wenn Kinder da sind, geht das alles nicht mehr.
Georg: Mit dem ersten Kind warten, bis auch endlich der Kühlschrank mit Eiswürfelfunktion angeschafft ist? Die Bergstiefel einmotten? Den perfekten Zeitpunkt abpassen? Dieses Denken macht es einem schwer, zufrieden im Leben zu sein. Das erste Kind war für uns mit Anfang zwanzig eine Überraschung. Wenn ich erst mit Mitte dreißig Vater geworden wäre, hätte ich mich vielleicht auch eingeigelt und das Kind als Begrenzung empfunden.
Im Buch erfährt man, wie ihr die letzten zwölf Jahre erlebt habt, doch warum ihr so viele Kinder habt, erfährt man nicht.
Viola: Darauf gibt es auch keine Antwort. Es gab nie den Plan sechs Kinder zu bekommen. Ich bin früh schwanger geworden, wir waren glücklich und wollten noch ein Kind. Das hat einfach gepasst. Irgendwann habe ich dann die Dreißiger-Regel aufgestellt: wenn ich dreißig bin, will ich nicht mehr schwanger sein. Dann ist Schluss. Aber wie das mit Regeln eben so ist: die passen nicht immer. Unsere letzten zwei Kinder kamen später.
Georg: Die Frage steht schon bei einem Kind im Raum, nicht erst wenn man vier, sechs oder acht Kinder hat. Jede Antwort ist da doch unzureichend. Man kann nicht die Seele eines kleinen Menschen auf ein paar Sachargumente zurückführen. Das wird den Kindern nicht gerecht.
Viele Eltern entscheiden sich nicht für ein drittes oder viertes Kind, weil ein weiteres Kinderzimmer fehlt. Ihr lebt zu acht in einer Wohnung mit 93 Quadratmetern - wie seht ihr das?
Georg: Ich versteh das vollkommen, wenn jemand sich gegen ein drittes Kind entscheidet, weil er keine Lust auf ein Stockbett und beengte Verhältnisse hat. Platz ist eine Entlastung und macht es einfacher, mancher Streit wird dadurch vermieden. Aber das ist es dann auch schon.
Es wäre hanebüchen, Kind Nummer 4, 5 oder 6 restlos begründen zu wollen. Die Entscheidung für ein Kind ist von so großer Tragweite, dass ich sie nicht mit einer pro- und contra-Liste treffen kann.
Platzbedarf hättet ihr aber für 193 Quadratmeter - warum zieht ihr nicht um?
Georg: München ist teuer und mit sechs Kindern eine neue Wohnung zu finden ist unmöglich. Eine größere Wohnung würde auch gar nicht an uns vermietet werden. Vermieter möchten nicht acht Leute in der Wohnung haben, die ihre Immobilie runterwohnen und es wegen Lärm und dreckiger Gummistiefel auf dem Flur Streit mit den Nachbarn gibt.
Viola: Die Wohnung ist unser wunder Punkt.
Ist Familie Einstellungssache?
Viola: Ja, bestimmt. Wenn man eine Familie haben will, muss man Kinder so annehmen können, wie sie sind. Wenn man sich ständig unter Druck gesetzt fühlt und denkt, dass man noch mehr machen müsste, ist es schwer mit Kindern glücklich zu werden. Und auch für die Kinder ist es schwer, dass es ihnen gut geht. Man kann ständig noch mehr tun, besser organisieren, stärker fördern. Aber ich finde, es muss nicht alles perfekt sein.
Georg: Die Familie hat bei mir vor allem meine Einstellung gegenüber Fehlern und Störfeuer verändert. In einer Großfamilie werden deine eigenen Pläne dauernd durchkreuzt. Manchmal habe ich das Gefühl, dass 60 Finger gegen mich arbeiten.
Was ist mit sechs Kindern einfacher?
Viola: Ich kann mich auch mal zurückziehen und ein bisschen Erziehung abgeben. Kinder lernen viel lieber von anderen Kindern. Wie man das Besteck hält oder die Hose richtig anzieht, muss ich ihnen nicht beibringen, das gucken sich die Kleinen von den Geschwistern ab.
Georg: Einfacher wird es dann, wenn mal ein Kind bei den Großeltern ist oder bei einem Freund. Man spürt sofort, da bilden sich neue Allianzen und alles wird etwas leichter.
Gibt es Sachen, die ihr mit sechs Kindern nicht machen könnt?
Georg: Alleine ins Schwimmbad mit den Kindern, das funktioniert nicht mit drei Nichtschwimmern.
Viola: Ich gehe auch alleine mit allen ins Schwimmbad. Allerdings habe ich dann nicht den Anspruch, selbst zu schwimmen.
Eigentlich kann man alles machen, das ist eine Frage der Organisation. Nur einen Babysitter kann man nicht mehr engagieren. Der ist einfach überfordert. Aber da haben wir zum Glück die Großeltern und die Onkels.
Ihr habt mit Familie in Italien, Großbritannien, Israel und Deutschland gelebt. Wo fällt es leichter, Kinder zu haben?
Georg: In Israel. Das warme Wetter schafft einem so viel Stress vom Hals, man muss die Kinder nicht ständig in Matschhosen, Mützen, Schals und Handschuhe stecken. Und: Es ist dort sehr viel selbstverständlicher Kinder zu haben. Auch die Briten sind sehr entgegenkommend.
Italien ist vergleichbar mit Deutschland: Kinder gehören irgendwie dazu. Solange noch im Auto Platz auf der Rückbank ist, ist alles in Ordnung. Aber ab drei Kindern wird man komisch angeschaut. Großbritannien ist angenehm.
Georg, seit fünf Jahren arbeitest Du als Redakteur zwei Wochen im Monat in Hamburg, Deine Familie lebt jedoch in München. Ist Hamburg für Dich auch eine Art Auszeit?
Georg: Ja, das ist es. Diese Auszeit gibt es zuhause nur sehr selten. Mein Leben in Hamburg hat aber auch Nachteile: Es ist schwer, meine Frau und die Kinder so lange nicht zu sehen. Aber wenn ich in München bin, habe ich sehr viel mehr Zeit für die Familie. Jeder, der Vollzeit arbeitet, bekommt da sicherlich weniger mit vom Familienleben. Wenn ich zuhause bin, versuche ich meiner Frau Freiräume zu schaffen. Gestern war ich zum Beispiel im Museum und Viola hatte ihre Auszeit. Aber Frauen sind oft nicht so gut darin, sich Pausen zu gönnen, sie erledigen stattdessen tausend Dinge.
Viola, bist Du manchmal neidisch auf Deinen Mann, wenn er nach Hamburg fährt, durchschlafen kann, mehr Freiheiten hat?
Viola: Klar, denke ich mir auch mal: Der steht morgens auf, kann gemütlich seinen Kaffee trinken und Zeitung lesen. Andererseits hat er auch einen stressigen Job und arbeitet sehr viel. Georg weiß, was es bedeutet, mit den sechs Kindern alleine zu sein. Neulich bin ich für eine Woche zu einer Freundin nach London. Das ist kein Problem, dann übernimmt Georg.
Wie geht ihr mit Stress und Überforderung um?
Georg: Stress und Überforderung ist total normal mit Kindern. Ich würde fast skeptisch werden, wenn ich mal einen Tag nicht meine Grenzen spüren würde. Ich bin da auch vollkommen ausgeliefert.
Viola: Eigentlich fühle ich mich nicht überfordert. Wenn ich mal Freizeit habe, frage ich mich aber schon, wie ich die Tage schaffe, an denen ich keine Sekunde Ruhe habe. In diesem Jahr gab es ein paar Monate, da war sehr viel los, das war stressig. In dieser Zeit habe ich zwei Geburtstagseinladungen und einen Kinderarzttermin vergessen. Da habe ich gemerkt: Jetzt brauchst du mal eine Pause.
Ihr habt sechs Kinder, Dein Mann arbeitet wochenweise in Hamburg und Du gehst auch arbeiten. Wie schaffst Du das alles?
Viola: Jim, unser Jüngster, geht zweimal die Woche vormittags in eine Spielgruppe. In der Zeit arbeite ich von zuhause aus als Übersetzerin. Einmal die Woche arbeite ich in einem Buchladen. An diesem Tag übernehmen die Großeltern. Für die Organisation haben wir einen Online-Kalender. Jedes Kind hat seine eigene Farbe und wir Eltern auch. Wenn es gut läuft, halten wir die Termine dann auch ein.
Und wann nimmst Du Dir Zeit für Dich?
Viola: Ich empfinde die Zeit, in der ich in Ruhe arbeiten kann, als Zeit für mich. Nach dieser langen Kleinkindphase möchte ich jetzt etwas anderes machen. Joggen, schwimmen, Bücher lesen, das habe ich früher auch schon gemacht. Jetzt möchte ich erst mal in den Arbeitsalltag hineinrutschen.
Woher nimmst Du die Kraft?
Viola: Ich bin ein recht robuster Mensch. Sonst wäre ich mit sechs Kindern schon vorher zusammengeklappt. Und die Kinder geben mir auch Kraft, wenn wir zum Beispiel alle am Tisch sitzen und ich in sechs zufriedene Kindergesichter schaue, fühle ich mich glücklich. Dann ist der Stress vergessen, der den ganzen Tag über herrscht.
Dein Mann beschreibt in seinem Buch, wie ihr mit Sack und Pack nach Italien, Schottland und Israel gezogen seid. Und immer warst auch Du diejenige, die gesagt hat, "Komm, das packen wir schon". War das mit dem Job in Hamburg und Familie in München auch so?
Viola: Ja, ich war mir sicher, dass wir das schaffen. Wir kamen aus Israel zurück und mussten ja von irgendetwas leben. Georg bekam das Jobangebot in Hamburg. Wir haben natürlich überlegt, ob wir nicht alle nach Hamburg ziehen sollten und haben uns die Stadt auch angesehen. Aber in München leben unsere Freunde und meine Schwiegereltern, die uns unterstützen. Und: Von hier aus sind wir mit dem Auto in drei Stunden in Italien.
Was würdest Du anderen Müttern raten?
Viola: Locker lassen, die Kinder einfach mal Kinder sein lassen und die Konsequenzen dafür auch in Kauf nehmen. Ich sage nicht tausendmal: "Pass auf beim Essen, mach Dich nicht schmutzig, schmeiß nichts um!" Dann fallen die Erbsen halt auf den Boden. Nach dem Essen wird gewischt und das wars dann.
Im Buch hadert Georg zu Beginn mit der "Glücksdiktatur" und kritisierst, dass alle immer nur glücklich sein wollen. Wie ist das bei euch, machen Kinder glücklich?
Viola: Ja, ich bin sehr glücklich. Ich vermisse nichts - außer Reisen. Aber das kommt auch wieder, wenn die Kinder größer sind.
Georg: Familie ist ein bisschen wie Bunjee-Jumping - die Gefühlsskala geht mit Kindern einfach viel weiter auseinander und manchmal kann sogar ein Seil reißen. Sechs Kinder bedeuten für mich, wenn es schlecht läuft, läuft es gleich richtig mies. Andererseits: Wenn es gut läuft, dann läuft es wirklich gut und es ist richtiges Glück. Dann liegen wir morgens zu acht in unserem einmetersechzig breiten Bett, erzählen uns die Träume und irgendwann weiß keiner mehr, welcher Arm zu welchem Bein gehört.
Buch-Tipp Aus Liebe zum Wahnsinn - mit sechs Kindern in die Welt
Sie sind beide Mitte dreißig, haben sechs Kinder und gehen ihr Familienleben mit einer beeindruckenden Leichtigkeit an: Georg Cadeggianini und seine Frau Viola haben in den letzten Jahren mit ihren Kindern in Italien, Schottland und Israel gelebt. Heute arbeitet Georg wochenweise in Hamburg, Viola lebt mit den Kindern in München - auf 93 Quadratmetern. Wie das alles im Alltag funktioniert, darüber haben wir mit den beiden gesprochen.