Mit welchem Erziehungsgedanken betrügen Sie sich selbst?
"Ich achte darauf, dass meine Kinder keine Süßigkeiten in sich hineinstopfen", "Wir erziehen Clara nicht als Mädchen, sondern ganz neutral" - wohl jedes Elternpaar ertappt sich ab und zu dabei, solche Sätze wie ein Mantra von sich zu geben. Und sich doch nicht daran zu halten.
ELTERN-Autorin Barbara Lang, selbst junge Mutter, hat ein paar besonders gängige solcher Sätze gesammelt, mit denen sich Väter und Mütter gerne selbst betrügen.
- "Wie meine Mutter werde ich nicht!"
- "Alte Rollenmodelle gibt es bei uns nicht!"
- "Mit Kind kann man weitermachen wie bisher!"
- "Ich find’s ja auch scheußlich, aber ich kann nix machen!"
- "Mütter-Contests? Ohne mich!"
- "Konsequenz ist das A und O der Erziehung!"
- "Wenn das Baby erst mal da ist, nehm ich mir viel Zeit!"
"Wie meine Mutter werde ich nicht!"
Vor drei Wochen ist es passiert: Als mein Sohn lustlos in seinem Essen herumstocherte und " ...schmeckt nicht" murmelte, hörte ich mich antworten: "Die armen Kinder in Afrika wären froh, so etwas Gutes zu bekommen!" - Oh Gott! Hatte ich das gerade wirklich gesagt? Diesen verhassten Satz meiner Mutter? Wie konnte es nur so weit kommen?
Ganz einfach: "Man muss sich für seine Eltern schämen, das ist völlig normal", beruhigt Diplompsychologin Ursula Nuber. Dadurch öffnen wir das Tor zu einer natürlichen Abnabelung und Abgrenzung. Aber: Durch die Abgrenzung bleiben Vater und Mutter Teil der eigenen Identität. Sie entscheiden indirekt mit beim Leben, bei der Partnersuche und auch bei der eigenen Kindererziehung. Je früher man sich das eingesteht, desto eher kann man den Feinschliff selbst übernehmen.
"Alte Rollenmodelle gibt es bei uns nicht!"
Endlich: Im Zuge der Geschlechtergleichheit dürfen Jungs nun auch mit Puppen und Mädchen mit Autos spielen. Natürlich auch bei uns. Sind damit die alten Rollenmodelle überwunden? Familienforscher Wassilios E. Fthenakis zweifelt: "Damit kommen wir nicht weiter! Wenn man genau beobachtet, was sie tun, sieht man, dass die Jungen den Puppenwagen als Transportwagen einsetzen und die Mädchen die Kräne nicht für das technische Verständnis nutzen, sondern um Kommunikation mit anderen Mädchen einzuleiten."
Ällabätsch, ausgetrickst! Wollen Kinder etwa gar keine Gleichmacherei? Nein, wollen sie nicht. Denn sie sind nun mal nicht geschlechtsneutral. Und wir Eltern auch nicht: Wir behandeln männliche und weibliche Babys schon auf dem Wickeltisch unterschiedlich und leben ihnen Rollenbilder vor! Daran ändern auch Puppe und Auto allein nichts.
"Mit Kind kann man weitermachen wie bisher!"
Auch wenn Kämpfernaturen zunächst versuchen, auch mit Baby an Freiheit, Unabhängigkeit und Spontaneität festzuhalten, ereilt sie irgendwann die stille Erkenntnis: Mein Leben ändert sich gerade. Und zwar gravierend! Vielleicht kommt diese Erkenntnis bei der ersten Party mit schreiendem Baby auf dem Arm, während des ersten Asienurlaubs mit fieberndem Baby auf dem 15-Stunden-Flug oder auf dem spontanen Gardasee-Trip mit durchnässtem Baby, dessen Windeln in der Eile vergessen wurden. Leugnen hat keinen Zweck: Wenn Paare Eltern werden, verändert sich ihr Leben! Familienpsychologe Prof. Dr. Matthias Petzold plädiert dafür, das einfach nicht länger zu verleugnen, sondern die Energie dafür zu nutzen, passende Bewältigungsstrategien für den Alltag zu suchen.
"Ich find's ja auch scheußlich, aber ich kann nix machen!"
Welk sitzen Mütter in der Nachmittagsrunde beim Kaffee, die Unterhaltung getötet von ohrenbetäubendem Plastikspielzeug. Die Gastgeberin haucht entschuldigend: "Die Kinder mögen das nun mal." Ebenso oft gehört: "Für Mädchen gibt's ja nur Rosa."
Haben deutsche Kinder und die Anbieter von Kindermode und Spielzeug Eltern tatsächlich so sehr im Griff, dass sie Dinge kaufen, die sie schrecklich finden? Ja und nein: Eine Studie des Ehapa Egmont Verlags belegt, dass Kleinkinder beim Einkauf richtig Macht haben. Speziell Drei- bis Sechsjährige leiern ihren Mamis zu 72 Prozent raus, was sie sich wünschen.
Aber das hat nicht nur damit zu tun, dass sie große Schmeichler und Ohren-Abquatscher sind. Sondern auch mit ihren Eltern. "Viele Mütter erliegen genau wie ihre Töchter weiblichen Codes wie Rosa und Glitzer", sagt einer der an der Studie beteiligten Marktforscher. Und wenn die Ästhetenkommission im Bekanntenkreis die Stirn runzelt? Siehe oben!
"Mütter-Contests? Ohne mich!"
Unter Müttern kommt es schon mal vor, dass eine der anderen ungefragt ein paar Lebenshilfen mitgibt: "Wenn du mal einen guten Erziehungsratgeber lesen willst ...", "Meiner wurde ja ganz schnell sauber ...", "Ach, er traut sich nicht alleine durch die Röhrenrutsche?" Ich hab mich auch schon ertappt: So eine kleine Stichelei, getarnt als guter Ratschlag, kann das angeschlagene Mutti-Ego hübsch aufputzen: Du machst es falsch, ich besser! Pädagoge Dr. Wolfgang Tietze bestätigt, dass Eltern mitunter den Erfolg des Kindes als ihren eigenen ansehen. Infiziert vom Best-Mother-Virus mobben sich Mütter so in eine gefühlte Spitzenposition. Geburtsgewicht, nachts durchschlafen, der erste Zahn, das erste Wort - eignet sich alles für den Contest. Haben wir denn keine anderen Sorgen? Nein, solange wir volle Konzentration auf den kleinen Augenstern legen, nicht.
"Konsequenz ist das A und O der Erziehung!"
Von Alpha bis Omega konsequent sein? Das soll mir mal einer vormachen! Jedes Kind bekommt mal mehr Süßigkeiten, als es soll, oder darf auch unter der Woche länger aufbleiben, obwohl es garantiert am nächsten Tag quengelig ist. Einmal ist keinmal, denken sich Mama oder Papa. Einmal nachgeben und sich am lächelnden Kindergesicht erfreuen. Und danach hat man das Gefühl, die Falle der Inkonsequenz hätte zugeschnappt.
Hängt man nun für alle Ewigkeit fest? Eingeklemmt zwischen scheußlichen Spielsachen, löchrigen Kinderzähnen und unaufgeräumten Zimmern? Nein. Konsequenz ist zwar tatsächlich ein hohes Gut. Sturheit ist aber keines. Wenn es mal eine Ausnahme gibt, wird Erziehung zu Beziehung. Und Kinder sehen, dass gute Argumente wirken. Hilft später ungemein.
"Wenn das Baby erst mal da ist, nehm ich mir viel Zeit!"
Sagen werdende Väter gern. Meinen sie aber meist nicht so. Dabei sind sie keine bewussten Lügner, sondern Opfer besonderer Umstände: Während der Schwangerschaft sind Väter so sensibel und aufgeschlossen in Sachen Vereinbarkeit von Job und Familie wie nie zuvor und danach in ihrem Leben. Was das für ihre Partnerinnen bedeutet: Chance ergreifen und ihn gleich Nägel mit Köpfen machen lassen! Sonst bleibt es auch 2010 (wie schon 2009) dabei, dass nur 18 Prozent der Väter Elternzeit nehmen. Und das auch nur für zwei Monate. Wäre doch schade, oder?