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Teil 11 Milchbröckchen im Haar

Eigentlich wollte Ildiko von Kürthy eine Designer-Mama werden. Doch dann kam es anders - und das findet sie gut so. Ein Lagebericht aus dem fünften Monat mit Baby.

Auf einmal bist du eine von denen. Eine von denen, die dir früher immer auf den Senkel gegangen sind. Du bist eine von denen, die viel Platz wegnehmen, die Leute stören und ein Chaos hinterlassen. Eine, die ihre mühselig verdiente Kohle nicht in die neue Generation MP3- Handys, sondern in ein Babyfon investiert. Hinter dir bilden sich lange, zischelnde Schlangen, wenn du mal wieder an der Kasse stecken bleibst, weil der verdammte Kinderwagen nicht durchpasst. Wenn du in einen vollen Bus einsteigen willst, werden Morddrohungen schon mal offen formuliert. Besonders dann, wenn das Baby im Tragetuch auf deinem Rücken nicht nur schreit, dass beinahe die Scheiben platzen, sondern das Gebrüll auch kurz unterbricht, um halb verdaute Milch in säuerlichen Bröckchen schwallartig und großzügig über die Fahrgäste zu verteilen. Und wenn du mit drei Müttern aus deinem Frühförderungskurs plus den dazugehörigen Kindern, Kinderwagen und Wickeltaschen ein Caf ansteuerst - die übrigen Gäste könnten nicht erschrockener aussehen, würde eine Herde außer Kontrolle geratener Wasserbüffel auf sie zugaloppieren.

Am schlimmsten ist es ja - ich weiß das, denn es ist mir selbst früher ab und zu passiert -, wenn man als kinderlose Frau zwischen eine Horde solcher engagierter Muttertiere gerät. Ein biologisch bedingtes Grundinteresse voraussetzend, quatschen die einen schonungslos voll mit echt uninteressanten und teilweise auch echt unappetitlichen Geschichten. Dabei ist es nicht so, dass jede Frau, weil sie theoretisch Kinder kriegen kann, auch automatisch Kinder mag.

Ich persönlich konnte mit Kindern unter, na ja, sagen wir 18 Jahren, immer nur wenig anfangen. Und als ich schwanger wurde, nahm ich mir fest vor, keine typische Mutti zu werden. Muttis reden nur über Kinder, zeigen sich gegenseitig ihre Kaiserschnittnarben und tragen entweder bereits voll gekotzte Pullover oder aber solche, bei denen es nicht schade drum wäre, wenn sie voll gekotzt würden. Muttis trinken entkoffeinierten Kaffee und schuckeln dabei versonnen und ozeanisch lächelnd ihren Kinderwagen. Meiner Freundin Moni, die vier Kinder großgeschuckelt hat, ist die stetige, rüttelnde Bewegung in Fleisch und Blut übergegangen.

Noch heute steht sie manches Mal an der Wursttheke, um dort selbstvergessen das Rinderhack anzulächeln, gleichzeitig ihren Einkaufswagen zu schuckeln und sich darüber zu freuen, dass keiner schreit.

Ich aber wollte unbedingt eine lässige Designer-Mama werden. Das hatte ich mir geschworen, als sich beim Pipi-Test die zweite Linie zeigte. Gut gekleidet, gut verdienend, gut ausgeschlafen, gut informiert und mit einem Freundeskreis, in dem über neue Filme und nicht über neue Windelentsorgungssysteme diskutiert wird.

Und jetzt? Ich renne vollkommen begeistert zu jedem sich mir bietenden Kursus: Frühförderung, Babyschwimmen, Rückbildung. Typisch überengagierte Spätgebärende. Ich gehe meinem Sohn rund um die Uhr auf die Nerven, und Informationen aus dem wirklichen Leben erreichen mich nur höchst spärlich. Ich hänge tagsüber stundenlang schuckelnd in Cafs rum mit Müttern, von denen ich nicht weiß, was sie beruflich machen, wo sie wohnen, ich kenne teilweise ihre Vornamen nicht, und von einigen Muttis weiß ich nicht einmal, was sie über die Trennung von Prince William und Kate Middleton denken.

Aber ich kenne das Geburtsgewicht ihrer Kinder, ich weiß, ob ihre Babys die Flasche nehmen, Verdauungsschwierigkeiten haben, bei welchem Lied sie am besten einschlafen, wie oft sie nachts aufwachen und auf welche Windelsorte sie mit Pickeln am Po reagieren. Ein dankbares, immer wieder aufkommendes und ebenso unerschöpfl iches Thema in meiner Mütterrunde ist auch: unsere Männer und was alles dabei herauskommt, wenn sie mal versuchen, sich nützlich zu machen.

Bert B., der Vater von Norma, hat sich zum Beispiel unbeliebt gemacht, als er die Programmierung aller Babyfone im Haus übernahm. Die beiden alleinerziehenden Mütter, ebenfalls mit Kleinkindern, waren zunächst noch dankbar, dass sich ein vermeintlicher Könner der Sache anzunehmen bereit war. Es folgten schlaflose Nächte und hektische "Ich muss sofort nach Hause, mein Kind schreit"-Aktionen, bis sich herausstellte, dass Bert versehentlich sämtliche Babyfone auf eine Frequenz eingestellt hatte. Es brauchte nur ein Kind zu brüllen, schon waren sämtliche Mütter wach.

Auch der Mann von Karla bewies wenig logischen Verstand, als sie ihn neulich bat: "Mach doch mal das Kirschkernkissen warm, ich glaube, der Kleine hat Bauchschmerzen." Wenig später erfüllte ein eigenwilliger Geruch die Küche, und Karla fand das angebratene Kirschkernkissen in einer Pfanne auf dem Herd. Michael, der Freund von Jutta, liest seit Monaten jeden Fachbericht, jeden Test, jede Statistik zum Thema "Baby-Sicherheit im Auto". Was zur Folge hat, dass Jutta mit ihrer Tochter seit ihrer Geburt vor acht Monaten noch kein einziges Mal bei ihren Eltern war, weil die Studien ihres Freundes noch nicht abgeschlossen sind und folglich die Entscheidung für den besten Autositz noch nicht getroffen werden konnte. Der Vater meines Kindes hat bisher noch keine größeren Schäden angerichtet - wenn man mal davon absieht, dass er bis heute nicht die Notwendigkeit von Bodys anerkennen will und die Jeans gern direkt über die Windel zieht. Mützen und Strumpfhosen hält er für verweichlichende, unmännliche und im Grunde vollkommen nutzlose Accessoires.

Was mir aber Sorgen bereitet, ist, dass er sein Kind ständig fotografi ert. Ich befürchte mittlerweile, dass unser Sohn demnächst jeden japanischen Touristen, der uns mit Kamera entgegenkommt, wohlwollend und vertrauensselig mit "Papa!" begrüßt.

Das sind meine Probleme, das sind meine Themen, das sind meine Leidenschaften. So hocke ich also tagaus, tagein mit meinen Mutti-Kolleginnen vor entkoffeiniertem Kaffee und tausche mich schuckelnd aus, immer einen Spuckfleck auf der Schulter oder ein paar halb verdaute Milchbröckchen im Haar. Ja, ich muss an dieser Stelle feststellen: Ich bin genau so, wie ich niemals werden wollte. Und ich finde es herrlich!

Hier geht es zu Teil 12.

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