Vorgestellt hatte ich mir das so: Gemütlich und nahezu bewegungslos auf dem Sofa abhängen - und zwar lange vor Einbruch der Dunkelheit. Ohne Scham und schlechtes Gewissen "Die Dornenvögel" auf DVD anschauen - und zwar kurz nach dem Frühstück. Auf keinen Fall kommen mir Nachrichten ins Haus oder Politmagazine, bloß keine Aufregung in diesem Zustand! Stattdessen ganz viel Zuwendung, ganz viel Ruhe und ganz viel Spaghetti Bolognese mit einer sehr großen Portion Parmesan und einer sehr kleinen Portion Gurkensalat oder Rohkost.
Und so hatte ich mir das nicht vorgestellt: Von einer Mischung aus Nestbautrieb und Torschlusspanik getrieben, sieht man mich derzeit durch Baumärkte, Möbelhäuser und Kindergeschäfte kugeln. Über die Einkaufswagen von Obi gebeugt, habe ich in den vergangenen Tagen bereits die eine oder andere Senkwehe veratmet. Und bei Ikea musste ich letzte Woche unfreiwillig so gut wie auf jedem Stuhl oder Hocker Probe sitzen. Auf dem "Lycksele Lövas Bettsofa" hatte ich gar das Gefühl, ich käme nieder. Die letzten Wochen meiner Schwangerschaft verlaufen deutlich weniger geruhsam als gedacht.
Allein die Suche nach einer geeigneten Tapeten-Bordüre fürs Kinderzimmer hat mich Tage gekostet. Ganz zu schweigen von der aufwendigen Fahndung nach einem langärmeligen Wolle-Seide-Body, ohne den ein Säugling ja heutzutage kein menschenwürdiges Dasein führen kann. Das hatte ich zum Glück gerade noch rechtzeitig im Kurs "Leben mit einem Kind" erfahren. Nicht auszudenken, was mein Baby hätte leiden müssen! Unschön war, dass das unappetitlich teure Kleidungsstückchen gleich bei der ersten Wäsche deutlich einlief. Das verstärkt natürlich meinen Wunsch nach einem zarten Baby mit kleinem Köpfchen und schmalen Schultern. Das sähe ja nicht nur hübscher aus, sondern würde auch besser bei mir raus- und ins Wolle-Seide-Gewebe reinpassen.
Wolle-Seide scheint sowieso ein überaus angesagtes Gemisch zu sein: Sogar die Stilleinlagen, die im BH für Trockenheit sorgen sollen, habe ich mir auf Anraten einer Expertin in Wolle-Seide gekauft. Die unansehnlichen Dinger erinnern mich an die Topflappen, die ich in der zweiten Klasse gehäkelt habe. Ich war damals etwas zu spät zur Handarbeitsstunde gekommen und hatte das übrig gebliebene, zahnbelagfarbene Wollknäuel nehmen müssen.
Was die letzten Schwangerschaftswochen zusätzlich erschwert, sind Mütter. Die lassen jetzt jede Hemmung fallen, quatschen dich mit Kindergeschichten voll, was das Zeug hält, drücken dir ungefragt ihr Selbstgezeugtes in die Arme und gehen wie selbstverständlich davon aus, dass du, bloß weil du ein Kind erwartest, auch alle anderen Kinder interessant findest und magst. Ein Trugschluss. Ich bin ja auch verheiratet, ohne automatisch Zuneigung zu allen anderen Ehemännern zu entwickeln.
Es ist erstaunlich, was Eltern so alles toll finden an ihren Kindern. Da werden unförmige Kartoffelgummeln als "Charakternasen" bezeichnet, deformierte Neugeborenenschädel als "Charakterköpfe", und unausgeglichene Terrorzwerge gelten als besonders aufgeweckt und lebendig.Wenn das so ist, hoffe ich sehr auf ein schläfriges Baby ohne sichtbaren Charakter.
Meine Freundin Maria hat es sich jetzt allerdings abgewöhnt, mit Fotos ihrer zugegeben bildhübschen Tochter anzugeben. Die Sache ging nach hinten los, als ein Bekannter lange das Bild betrachtete, dann mehrere entgeisterte Blicke auf Maria warf und schließlich sagte: "Sie müssen aber einen sehr gut aussehenden Mann haben."
Noch zehn Tage bis zum Termin. Frauenarzt und Hebamme sagen, der Junge läge in Startposition, es könne jeden Moment losgehen. Kreisch! Und ich habe immer noch keine passende Tapeten-Bordüre! Und der Himmel fürs Bettchen ist noch nicht gebügelt!
Mein Junge, der Faulpelz, liegt allerdings schon seit seiner Zeugung in Startposition. "Warum sich unnötig bewegen?", hat er sich wahrscheinlich gedacht, wo meine Alte doch schon ständig rumrennt und alle drei Tage zum Schwimmen geht, bloß um die letzten Reste straffen Bindegewebes zu retten.
An dieser Stelle muss ich allen Spätgebärenden etwas mitteilen: Bildet euch nicht zu viel darauf ein, wenn ihr eure Schwangerschaft ohne die berüchtigten Dehnungsstreifen an Bauch, Beinen oder Po übersteht. Als ich, nicht ohne Stolz, meine Hebamme auf meine unbeschädigte Haut hinwies, sagte sie, das sei häufig so bei älteren Müttern. Deren Gewebe sei in der Regel schon so ausgeleiert, da gäbe es nichts mehr zu überdehnen!
Noch acht Tage bis zum Termin. Die Stilleinlagen liegen jetzt in der Wickelkommode, neben der geerbten Erstausstattung. Eine Spieluhr ("Guten Abend, gut' Nacht") hängt über dem Bettchen, im Bettchen liegt eine Decke aus - na, raten Sie mal - Wolle-Seide und eine aus 100 Prozent Polyester (die ist schön!).
Alles ist bereit.Aber es ist unvorstellbar, dass demnächst ein Baby - um genau zu sein, sogar mein Baby - tatsächlich in diesem Bett rumliegt und das Zimmer zusammenbrüllt. Mein Sohn macht mir jetzt schon das Leben und insbesondere das Anziehen von Schnürschuhen schwer. Er hat mehrmals am Tag Schluckauf. Er beult mit seinen Knien und Ellenbogen meinen Bauch aus. Das sieht aus, als geschähe Unsittliches unter meiner Bettdecke. Niemand ist mir näher als mein Sohn. Trotzdem kann ich mir ein Leben mit ihm nicht vorstellen.
Noch sieben Tage bis zum Termin. Es ist mitten in der Nacht.Würde mir jetzt einer die häufigste aller Fragen stellen: "Und, wann geht’s los?", ich würde antworten: "Jetzt!"
Hier geht es zu Teil 6.
Teil 5 Und - wann geht's endlich los?
Nicht wirklich zum Kugeln, die Zeit um den Geburtstermin. Bei Ildiko von Kürthy kann es jetzt jeden Moment so weit sein. Alles ist bereit. Oder nein, noch nicht ganz ...