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Teil 6 Einmal Nachwuchs, bitte!

Um eine Geburt zu beschreiben, fehlen selbst Ildiko von Kürthy die Worte. Versuchen tut sie’s trotzdem. Ihr Fazit: So eine Geburt, äh, ja, das ist jedenfalls mal was ganz anderes!

Da stehe ich also vor meinem Kühlschrank und betrachte mitleidig den Joghurt. Den mit den Dingern drinnen, die die Verdauung anregen sollen. Die Haltbarkeitsfrist ist vor fünf Tagen abgelaufen. "Pech für dich, Joghurt", denke ich. "Hast meinen Jungen knapp verpasst." Vor vier Tagen wurde mein Sohn geboren. Die Scheibletten daneben haben Glück gehabt, die haben noch eine Woche zu leben.

Nun, was will ich den Leserinnen und Lesern damit sagen? Zum einen, dass neuen Müttern sehr, sehr seltsame Gedanken durch den Kopf gehen. Und zum anderen, dass sich in dem Moment, in dem dich dein Baby zum ersten Mal anschreit, die Zeitrechnung schlagartig verändert. Dein Leben besteht fortan aus zwei Teilen, und es gibt ein "Davor" und ein "Danach". Ein "Mit" und ein "Ohne".

Meine persönliche Stunde null verbrachte ich bei gleißendem Neonlicht in einem Operationssaal. Links neben mir stand ein Mann in grünem Kittel mit grünem Mundschutz und grünem Häubchen, der sich als mein eigener rausstellte. Rechts stand der Anästhesist, zu unterscheiden durch Brille, üppige Brustbehaarung und Sachverstand. An der zweiten Hälfte meines Körpers vermutete ich zwischen 12 und 18 ebenfalls grüne Personen, die sich an meinem Unterleib zu schaffen machten, abgeschirmt durch einen - nun raten Sie mal - grünen Sichtschutz.

Ich muss sagen, dass ich etwas enttäuscht war, nicht nur, weil Grün nicht gerade zu meinen Lieblingsfarben zählt.Aber nach acht Stunden Wehen hatte ich mir Hoffnungen auf eine sogenannte natürliche Geburt gemacht.

Es hatte doch alles so vielversprechend angefangen: Kliniktasche seit Tagen schon gepackt, voll mit Schokolade, saugfähigen Binden und gebärtauglicher Soul-Musik ("Come on, baby, let’s get out"). Dann unfallfrei zum Krankenhaus. Meine geliebte Tante H. noch von unterwegs angerufen ("Es geht los! Drück die Daumen! Hargh, muss auflegen, nächste Weheeee ...").

Bei meiner Ankunft übergab ich mich zielsicher auf den Parkplatz des Chefarztes. Im Kreißsaal machte ich wenig später dem Narkosearzt einen Heiratsantrag, der mir zügig eine PDA - das Kürzel steht für Periduralanästhesie - verpasst hatte. Ein Gott, in meinen Augen.

Und das sollte nun alles umsonst gewesen sein? "Becken zu schmal, Kind passt nicht durch", hieß es kurz und endgültig. Meine Freundin Monika, gebärfreudig gebaut und mit vier Kindern gesegnet, meinte hinterher, ich solle nicht klagen, das sei doch eine todschicke Diagnose für einen Kaiserschnitt. Hat sie ja auch irgendwie recht.

So kam ich letztlich also zu einer ineffektiven Mischung aus natürlichem Schmerz und unnatürlicher Geburt. Von allem etwas, sozusagen.

Zu den Wehen kann ich leider nur Folgendes mitteilen: Sie tun weh. Zur PDA kann ich erfreulicherweise sagen: Sie tut nicht weh, und ihr Erfinder ist mein Held. Das Blöde am Kaiserschnitt ist, dass sie einem das Fett nicht gleich mit absaugen und man die nächsten Tage das Gefühl hat, als könne man sich niemals wieder aufrecht fortbewegen.

Aber egal, welcher Ausgang benutzt wird: Meistens enden Geburten mit dem plötzlichen Vorhandensein eines Säuglings. Und das nun ist eine Erfahrung, auf die einen kein Kurs vorbereiten kann. Ich hatte natürlich folgende Standardsätze im Ohr: "Wenn das Baby da ist, ist aller Schmerz vergessen." Oder: "Die Geburt deines Kindes ist der schönste Moment deines Lebens." Oder: "Du bist überwältigt vor Glück."

Ich war nicht überwältigt - jedenfalls nicht vom Glück. Denn so ein Neugeborenes ist erstens kein rundum erfreulicher Anblick, und zweitens, wie der Name schon sagt, ist es neu. Man kennt sich nicht, und ich musste mich erst an meinen Sohn gewöhnen, der mich in seinen ersten Lebensminuten sehr an einen schielenden Frosch erinnerte. Und woher er diese üppige Nase hat, ist mir ein Rätsel ...

Nein, Leute, es muss nicht immer idyllisch zugehen beim Gebären. Mein Freund Peter zum Beispiel war direkt aus dem Büro zur Geburt seiner Tochter geeilt und entsprechend schnieke gekleidet. Als das Baby zur Welt kam, meinte seine Frau: "Pass bloß auf deinen Pullover auf!" Meine Freundin Monika begrüßte ihr drittes und erstaunlich dunkelhaariges Kind mit den Worten: "Auweia, der sieht ja aus, als hätte ihn Costa Cordalis gezeugt!"

Auch frischgebackene Väter verhalten sich nicht immer so, wie man es sich für eine 1-A-Vorzeige-Geburt wünscht. Mein Cousin zum Beispiel ist ohnmächtig geworden, als man ihm seinen Sohn überreichen wollte, und mein Kollege Michael M. erschien betrunken zur Entbindung und nervte sowohl das Personal als auch seine Frau mit ständigem Gejammere und der Bitte um Aspirin.

Nein, die Geburt meines Jungen war nicht der schönste Moment meines Lebens. Das Glück ließ auf sich warten, und ich hatte mit ganz anderen, ungeahnten und ungeheuerlichen Gefühlen zu tun. Denn auch darauf kann man sich nicht vorbereiten: Wenn du in der ersten Nacht mit deinem Baby allein bist, gibt es einen Moment, in dem die Welt um dich herum untergeht: Wenn dich das Kind zum ersten Mal klar und ruhig anschaut, mit Augen, die bereits alles gesehen haben, mitten ins Herz. Unendlich weise. Und unendlich ernst. Und dir wird klar, dass du von nun an und für immer unendlich verletzlich bist. Das musst du erst mal aushalten.

Was man auch noch aushalten muss, ist der Blick in den Spiegel. "Haben die da noch ein Kind drinnen vergessen?", frage ich die Hebamme, missmutig auf meinen Bauch deutend. Ich habe Heidi Klum vor Augen, die vier Wochen nach der Geburt ihres Kindes schon wieder in Unterwäsche über den Laufsteg geschwebt ist. Das erscheint mir bei genauer Betrachtung meines Körpers kaum zu schaffen.

Und dann fängt hinter mir mein Baby an zu schimpfen, und mir fällt ein, dass ich ja nun ganz andere Sorgen habe. Zum Glück!

Hier geht es zu Teil 7.

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