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Teil 7 Zeit der Dosensuppen

Warum schreit es? Warum schreit es nicht? Schläft es endlich? Aber warum so lange? Brauchen andere Leute auch zehn Minuten, um ihr Kind im Auto festzuschnallen? Ildiko von Kürthys Lagebericht vom ersten Monat mit Baby.

Man muss sich an mehrere Dinge gewöhnen in den ersten Tagen nach der Geburt. Zum Beispiel an ein Baby. Und als sei das nicht schon genug, betreten gleichzeitig mit dem unbekannten Wesen auch bisher noch völlig unbekannte Dinge das eigene Leben. Dinge, von deren Existenz man bisher nichts wusste. Tückische Objekte, hinterhältige Gegenstände, mit denen sich das Zusammenleben nicht immer einfach gestaltet.

Mit meinem Sohn kam gleichzeitig eine Packung selbstklebender Stilleinlagen auf die Welt, eine Babyschale für die Autorückbank, mehrere langärmlige Bodys mit Bändchenverschluss und ein Kinderwagen inklusive Regenabdeckung. Den Einsatz all dieser Dinge sollte man besser ein paar Mal in Situationen üben, in denen es nicht darauf ankommt, dass sie funktionieren. Der Kinderwagen zum Beispiel ist nicht "mal eben schnell" in den Kofferraum zu verpacken - wie ich zehn Minuten vor einem wirklich sehr wichtigen Termin feststellte. Die Gebrauchsanweisung lag im Keller, der Wagen unvollständig zusammengeklappt auf der Straße, ein Rad rollte Richtung Westen, und aus dem Auto kam Gebrüll in einer Lautstärke, die man einem halben Meter Mensch nicht so ohne Weiteres zutraut.

Auch die Babyschale samt Baby im Auto festzuschnallen ist eine dreidimensionale Hirnleistung, die jemandem wie mir nicht leicht von der Hand geht. Ich baue auch Ikea-Stühle grundsätzlich verkehrt herum zusammen. Und die schreien noch nicht mal.

Zu meinem mangelnden handwerklichen Talent gesellt sich - wie bei vielen neugeborenen Müttern - noch die sogenannte "Still-Amnesie". Eine Vergesslichkeit und Tüddeligkeit, die angeblich hormonell bedingt ist. Verbürgt ist die Geschichte von der Frau, die beim Spaziergang überraschte Blicke erntete, weil sie nach dem Stillen vergessen hatte, die zuletzt benutzte Brust wieder einzupacken. Meine Freundin Anja hat die Babyschale ihrer Tochter öfter mal auf dem Fahrersitz angeschnallt. Monika hat einen Haufen Schnuller so lange abgekocht, bis das Wasser verdampft und ein unappetitlich stinkender Plastikbrei entstanden war. Und ich möchte mich hier förmlich bei allen guten Bekannten entschuldigen, die ich in den letzten Tagen auf der Straße nicht gegrüßt und die ich nicht zurückgerufen habe. Verzeiht mir, bitte.Das war nicht ich, das waren die Hormone!

Es ist so, dass doch einiges stimmt,was einem erfahrene Mütter und Hebammen erzählen. Leider.Die Behauptung, dass man als Mutter den Tag über gern mal im Schlafanzug herumläuft und froh ist,wenn man bis zum Nachmittag überhaupt eine Dosensuppe gegessen hat, hielt ich für weit hergeholt. Mein Körper ist an regelmäßige, qualitativ hochwertige und sehr große Mahlzeiten gewohnt. Und meine Schlafanzüge sind nicht repräsentabel.

Was soll ich sagen? Heute wundert sich der Paketbote - er kommt meistens so gegen 14 Uhr - viel eher, wenn ich ihm geschminkt und komplett bekleidet die Tür öffne und meine Haare nicht aussehen, als hätten sie nachts versucht, meinen Kopf zu verlassen, und zwar jedes in eine andere Richtung.

Dosensuppen sind mir mittlerweile echt zu aufwendig in der Zubereitung. Käsebrot, Schokoriegel, kalte Bockwürstchen mit fertigem Gurkensalat - alles Delikatessen für Frauen, die gerade das Windelwechseln, Kinderwagenschieben, Stillen, Nervenbewahren, Muttersein erlernen.

Ein weiteres betrübliches Faktum, das leider ebenfalls der Wahrheit entspricht: Mit der Nachgeburt geht auch der Humor ab. Es ist eine Sache, wenn ich selbst mein Kind als "Dickmops mit Kartoffelnase" bezeichne. Ich darf das sagen, ich mein das nicht so. Aber schon der gehauchte Versuch eines Fremdscherzes auf Kosten meines Sohnes - und jahrzehntelange Freundschaften stehen binnen Sekunden zur Diskussion. Eine, natürlich kinderlose, Freundin bezeichnete meinen kleinen Jungen neckisch als "langweilig", weil er ihren Besuch verschlief. Und ein, natürlich kinderloser, Freund sagte belustigt: "Hübsch sieht er ja nicht aus, aber interessant."

Mein Mann musste mich tagelang trösten und an Zeiten erinnern, in denen wir selbst zu den Leuten gehörten, die glaubten, man könne mit Eltern umgehen wie mit ganz normalen Menschen.

Dabei gibt es in den ersten Wochen nichts, was normal ist. Bereits auf dem Weg von der Klinik nach Hause habe ich bemerkt, dass sich in meiner kurzen Abwesenheit die ganze Welt verändert hatte. Fremd geworden, weit weg.

Bäcker, Kreuzung, Post, Park: Sollte mir alles vertraut sein - aber es kam mir vor, als sei ich Ewigkeiten fort gewesen.War ich ja auch. Eine Ewigkeit von vier Tagen. 20 Minuten dauerte die Fahrt nach Hause. Mein Kind, dreieinhalb Kilo schwer und 53 Zentimeter klein, saß hinter mir in der heiklen Babyschale. Ihr Leute in den Autos und auf den Bürgersteigen, habe ich gedacht,merkt ihr es denn nicht? Die Welt ist nicht mehr so,wie sie war. Denn: Mein Baby ist da!
An der ersten roten Ampel stieg ich zur Sicherheit aus, um einen Blick auf den Rücksitz zu werfen. Ja, es stimmt: Mein Baby ist da! An alles muss man sich neu gewöhnen, und was dabei wirklich von erheblichem Nachteil ist: Der Säugling spricht nicht. Man kennt sich nicht und kann sich nicht unterhalten. Schwierig.

Pennt er nicht, bin ich nicht froh. Pennt er meiner Meinung nach zu lange, ist mir das auch nicht recht, und ich rüttle mal ein bisschen an ihm rum. Mein Sohn, eine ziemliche Schnarchnase, ist wahrscheinlich das erste Baby, das froh ist, wenn seine Mutter endlich durchschläft.

Wie unglaublich gut und beruhigend ist es da, wenn die Hebamme zum täglichen Hausbesuch kommt und dir dein Baby erklärt. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie ich jemals ohne sie leben soll. Ich sehe sie jedes Mal mit Wehmut gehen. Neulich schleppte sie eine ganz seltsame Sache an ihrem Absatz mit herum.War wohl irgendwo reingetreten. Ich wollte ihr noch nachrufen. Aber sie war schon zu weit weg. Es war eine selbstklebende Stilleinlage.

Hier geht es zu Teil 8.

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