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"Brems doch“, rufe ich, als ein Auto plötzlich vor uns einschert. Während ich auf der Beifahrerseite ein imaginäres Bremspedal durchtrete, zischt mir mein Mann ein genervtes "Dann fahr doch selbst“ entgegen.
Wahrscheinlich bin ich die schlechteste Beifahrerin der Welt: Ich bremse in kniffligen Situationen immer mit, gebe beim Rückwärtseinparken gern ungebetene Ratschläge oder starre demonstrativ auf den Tacho, wenn mein Göttergatte es wagt, fünf Stundenkilometer zu schnell zu fahren. Ganz ehrlich: Ich bin die bessere Autofahrerin von uns beiden, theoretisch. Aber praktisch fahre ich, seit ich Mama bin, so gut wie gar nicht mehr.
Früher, vor den zwei Kindern, konnte es mir nicht schnell genug gehen. Da war meine Autofahrwelt noch in Ordnung. Doch in den Schwangerschaften verschwand die Gelassenheit, und mit zunehmendem Bauchumfang wuchs die Vorsicht. Auch meine Wahrnehmung hat sich extrem verschoben: Plötzlich war mir der Stadtverkehr zu schnell und zu gefährlich. Ich hatte das Gefühl, mit dem Tempo nicht mehr mithalten zu können, ohne dass dem Baby und mir was passiert. Zuerst dachte ich noch, das sei ein schlauer und vorübergehender Schutzmechanismus der Natur – doch die Panik wurde größer und das Auto mein persönlicher Angstgegner.
Meine Hoffnung war, dass es besser wird, sobald meine zweite Tochter auf der Welt ist. Pustekuchen! Gefühlt war die Autophobie nun doppelt so groß, und von der Vorstellung, mich mit Dauergebrüll von der Rückbank durch den Stadtverkehr quälen zu müssen, bekam ich schweißnasse Hände und ein ganz mulmiges Gefühl im Bauch. Irgendwann war Autofahren keine Option mehr, weshalb mein Mann vor über einem Jahr in die Rolle meines persönlichen Chauffeurs schlüpfte. Zumindest, bis er diesen Zweitjob entnervt wieder aufgab und mir nahelegte, doch besser selbst zu fahren.
Der Weg zurück zum Autofahren
Ich fühlte mich ertappt, hatte aber keinen blassen Schimmer, wie ich aus der Nummer wieder rauskomme. Es dauerte, bis ich begriff, dass die Angst nicht von allein verschwinden würde, sondern dass ich aktiv dagegen ansteuern musste. Auf einmal hörte ich im Freundeskreis von ganz ähnlichen Geschichten. Viele kannten Phasen, in denen sie ungern Auto fuhren, und meist waren die Kinder der Auslöser dafür. Mit dieser Extraportion Verantwortung muss man ja auch erst mal klarkommen.
Ich ließ das sacken und beschloss, der Angst den Kampf anzusagen. Die harte Tour fühlte sich für mich am besten an: Konfrontation. Ein kinderfreier Termin im Kalender war schnell gefunden, und als ich den Motor startete, war ich aufgeregt wie vor der ersten Fahrstunde. Aber es funktionierte: Mit jedem gefahrenen Kilometer wich meine Angst mehr und mehr einem gesunden Respekt.
Mittlerweile bin ich wieder öfter mit dem Auto unterwegs und nehme auch mal meine große Tochter mit. Nur allein mit der Einjährigen, dafür fehlt mir noch ein bisschen alte Gelassenheit. Dafür wartet eine andere Herausforderung auf mich: Wie beichte ich meinem Mann, dass ich mit sechs Stundenkilometern zu viel in der 30er-Zone geblitzt wurde?
Was ist Amaxophobie?
Dieser Begriff beschreibt die Angst vorm Autofahren. Typische Symptome sind Schweißausbrüche, Panikattacken, Herzrasen. Bei vielen Betroffenen schwingt auch die Angst mit, sich oder andere zu verletzen. Auslöser kann ein schlimmer Unfall sein, aber auch eine veränderte Lebenssituation oder mangelnde Fahrpraxis.
Interview: Drei Fragen an …
… Dörte Petscheleit. Sie arbeitet seit über 20 Jahren als Fahrlehrerin in Hamburg. Spezialgebiet: Autofahrerinnen und Autofahrer beim Wiedereinstieg unterstützen und der Fahrangst auf den Grund gehen.
Eltern: Kennt man als Fahrlehrerin die Angst vorm Autofahren auch aus eigenem Erleben?
Dörte Petscheleit: Ich hätte zwar nie damit gerechnet, dass es mich erwischt, aber als ich mit meinem zweiten Kind schwanger war, war mir der Hamburger Verkehr plötzlich zu hektisch. Und das trotz Fahrpraxis und Fahrlehrerausbildung. Diese Erfahrung hat mich schon sehr beeindruckt.
Welchen Rat gibst du Betroffenen, die plötzlich merken: Da ist mehr als nur Respekt vorm Fahren?
Darüber sprechen und sich einen Verbündeten suchen. Denn mittlerweile ist das Thema "Fahrangst" kein Tabu mehr. Auch Männer nehmen immer häufiger Hilfe in Anspruch. Fast jede und jeder kennt eine Phase im Leben, in der sie oder er nicht gern Auto gefahren ist – egal, ob man sich an den gut ausgebauten Nahverkehr gewöhnt und immer weniger Fahrpraxis hat oder ob ein Baby die Wahrnehmung plötzlich komplett auf den Kopf stellt.
Gibt es ein Patentrezept für Menschen mit Fahrangst, oder wie sollte man da im Einzelfall vorgehen?
Erst mal ist es wichtig herauszufinden, was genau das persönliche Thema ist und wie tief die Angst sitzt. Manchen hilft schon der Austausch mit anderen, um sich wieder hinters Steuer zu trauen. Wenn, dann sollte man langsam wieder anfangen und sich nicht gleich überfordern. Sonntagmorgens ist kaum jemand unterwegs, da kann man gut austesten, wo die eigenen Grenzen liegen. Aber natürlich gibt es auch diejenigen, die sich professionelle Unterstützung beim Wiedereinstieg holen, weil die letzte Autofahrt vielleicht schon Monate oder gar Jahre zurückliegt. Mittlerweile nehmen sich immer mehr Fahrschulen des Themas Fahrangst an.
Erste Hilfe
Adressen für spezielle Fahrangst-Schulen erhältst du bei den Landes-Fahrlehrerverbänden (fahrlehrerverbaende.de). Im gezielten Fahrtraining mit einem Coach wird eine gewisse Routine herausgearbeitet. Liegt die Angst tiefer, braucht es oft therapeutische Unterstützung. Viele Fahrschulen arbeiten hier mit speziell ausgebildeten Psychologen zusammen.