Mit zwölf wollte ich Opernsängerin werden. Mit 14 Freiheitskämpferin. Aber als ich dann ernsthaft Berufspläne schmiedete, mit 16 oder 17, waren mir vor allem zwei Dinge wichtig. Eine interessante Tätigkeit, klar, aber auch, dass die Ausbildung oder das Studium nicht so lang dauern sollte. Wegen der Kinder.
Die waren zwar noch reine Kopfgeburten, genauso wie der Mann dazu. Irgendwann, da war ich ganz sicher, würde es sie geben, und in meinem westdeutschen Teenagerhirn waren damit die Weichen gestellt: Wären sie erst da, müsste ich zwangsläufig meinen Job an den Nagel hängen. Weil Mütter das eben so machten, jedenfalls fast alle, die ich kannte. Mit einem frühen Abschluss wären Abitur und Hochschuldiplom wenigstens nicht ganz umsonst.
Das klingt nach Steinzeit, dabei ist es gerade mal etwas über 30 Jahre her, eine Generation also. Vor allem seit den Nuller-Jahren haben sich Lebensentwürfe, Rollenverständnis und Gesetzgebung fundamental verändert, von Unterhaltsrecht und Elterngeld bis Krippenplatzausbau. Dabei zeigt vor allem eine Kurve beständig aufwärts: die der berufstätigen Mütter. Laut Statistischem Bundesamt waren im Jahr 2020 74,9 Prozent aller Frauen mit Kindern im eigenen Haushalt erwerbstätig, fünf Prozentpunkte mehr als noch 2010.
Welche Rolle spielt der Job?
Aber: Zwei von drei berufstätigen Müttern arbeiten in Teilzeit. Bei denen, die Kinder unter zwölf Jahren haben, sind es sogar fast 70 Prozent. Und längst nicht alle sind damit glücklich. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln hat im vergangenen Jahr Zahlen des Sozio-Ökonomischen Panels ausgewertet und kommt zu dem Ergebnis: Wenn Mütter könnten, wie sie wollten, ohne Zwänge und Einschränkungen wie Betreuungsplatzmangel und weite Arbeitswege, dann würde der Job eine noch größere Rolle in ihrem Leben spielen. Nur zwölf Prozent, also jede achte, wäre am liebsten gar nicht erwerbstätig. 1998 war es noch mehr als jede vierte, also gut doppelt so viele.
Doch was genau ist es, das diese Veränderungen angeschoben hat?
Ist es der feministische Wunsch nach Unabhängigkeit in Zeiten brüchiger Beziehungen? Sind es Rentenbescheide, die lückenlose Arbeitsbiografien belohnen? Oder ist es das teure Leben mit Immobilienkrediten, steigenden Mieten, explodierenden Energiekosten, das es kaum noch möglich macht, von einem Gehalt allein auch noch Fußballschuhe, Lastenfahrrad und Kindergeburtstag zu bestreiten? Wahrscheinlich spielt alles zusammen.
Bei der Frage, ob und wie Mütter ihre Jobwünsche umsetzen können, kommen aber noch andere Faktoren zum Tragen. Die wichtigsten:
Das Alter und die Ausbildung
Je später im Leben Frauen Mütter werden, je weniger Kinder sie bekommen und je qualifizierter ihr Abschluss, desto wahrscheinlicher ist die frühe Job-Rückkehr. Das ergibt sich, wenn man die IW-Studie mit Zahlen kombiniert, die Familienforscherinnen und -forscher an der Uni Bamberg erhoben haben.
Und das ist auch nachvollziehbar: Die Unfallchirurgin, die kurz vor ihrer Beförderung zur Oberärztin schwanger wird, hat finanziell wie emotional mehr zu verlieren als die ungelernte Aushilfe, die im Discounter Regale einräumt. Da ist es logisch, dass nur acht Prozent aller Mütter mit Hochschulabschluss am liebsten gar nicht arbeiten möchten, aber 25 Prozent der Ungelernten.
Der Verdienst des Partners
Er spielt eine Rolle bei der Frage, wie lang die Babypause dauert und wie viel Job danach ins Leben passt. Je mehr Gehalt Väter nach Hause bringen, desto häuslicher werden Mütter. Vielleicht auch deshalb, weil es sonst gar nicht zu wuppen wäre: Schraubt er an seiner Karriere, bedeutet das oft mehr abendliche Meetings, mehr Wochenendarbeit, mehr Reisen. Heißt für sie: wenig finanzielle Sorgen, aber die volle Ladung "Mental Load", also die Verantwortung für Care- und Familienarbeit. Das Gegenbeispiel sind Alleinerziehende: Sind sie berufstätig, dann zu 43 Prozent in Vollzeit, auch mit kleineren Kindern, schlicht, weil es finanziell nötig ist.
Die eigene Herkunftskultur
Sie hat ebenfalls erheblichen Einfluss darauf, welchen Stellenwert der Job im Leben von Frauen mit Kindern hat und wie er das Selbstbild beeinflusst. Statistisch gesehen, steigen Mütter mit Migrationshintergrund häufiger aus dem Berufsleben aus, westdeutsche häufiger als ostdeutsche. Aber weil Menschen anpassungsfähige, soziale Wesen sind, muss das nicht so bleiben. Eine Erhebung des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hat etwa ergeben, dass sich Mütter aus der alten Bundesrepublik nach einem Umzug in die neuen Bundesländer schnell den Normen ihrer neuen Nachbarinnen anpassen. Diese – und das ist interessant – bleiben umgekehrt eher ihren Wurzeln treu: Auch nach einem Umzug in den Westen sind die Auszeiten Ostdeutscher kürzer als die ihrer neuen westdeutschen Nachbarinnen.
Ein kulturelles Leitbild
Wido Geis-Thöne, Ökonom und einer der Autoren der IW-Studie, überrascht das nicht: "In der Nachkriegszeit war in Westdeutschland die Hausfrauenehe das kulturelle Leitbild, auch weil man sich vom sozialistischen Osten abgrenzen wollte. Das Credo lautete: Mutti muss nicht arbeiten, sonst hat Vati versagt. Das hat sich nach der Wende grundlegend verändert, aber der gesellschaftliche Wandel braucht Zeit und geschieht eher als eine langsame, soziale Diffusion." Dass schon aus wirtschaftlichem Druck beide Elternteile voll ranmüssen, betrachtet er eher als Großstadtproblem. Dort, wo Familien unter Mördermieten leiden und darunter, dass es beim Italiener nicht mal mehr den Teller Spaghetti unter zehn, zwölf Euro gibt. Aber die Ansprüche an ein gutes Leben seien überall gestiegen, auf dem Land wie in der Stadt.
Da ist was dran: Wenn in meiner Kindheit Familien allein von Papas Verdienst lebten, dann auch deshalb, weil sich Geschwister ein Zimmer teilten, ältere den jüngeren ihre Pullis vererbten und man eher in Onkel Heinz’ Wohnwagen urlaubte, als nach Griechenland zu fliegen.
Wie viel bezahlte Arbeit Mütter übernehmen (und wie viel ihre Partner), das ist also immer ein Mix aus Notwendigkeit, Prioritäten, Anspruch, Selbstbild und: der Lust an dem, was man tut.
Dr. Hannah Schade ist Sozialpsychologin am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung in Dortmund (IfADo) und sagt: Es gibt drei Grundmotivatoren, die jeden Menschen antreiben – und zwar in allen Lebensbereichen. Erstens: Autonomie – also selbst bestimmen und entscheiden zu können. Zweitens: das Erleben eigener Kompetenz. Und drittens: die Erfahrung von Gemeinschaft. "Selbstverständlich können Menschen all das auch im Privaten erleben", betont Schade, "aber oft ist es eben nicht so, vor allem in Familien mit kleinen Kindern."
Die Wichtigkeit von Autonomie
Ja, da ist was dran! Autonomie? Eingeschränkt, solange das Neugeborene alle zwei Stunden an die Brust will und das Sechsjährige um Punkt zwei aus der Schule abgeholt werden muss. Kompetenz? Man zweifelt schon mal an sich, wenn man täglich einen Sisyphus-Kampf gegen Wäscheberge und Legostein-Chaos kämpft. Gemeinschaft und soziale Bedürfnisse? Kommen beim Sandkuchenbacken im Einfamilienhaus-Garten mit dem Vierjährigen auch ein wenig zu kurz.
Und genau das könnte erklären, warum auch Mütter arbeiten gehen, deren Netto eins zu eins von der Kitagebühr aufgefressen wird und die gar kein Interesse an der nächsten Hierarchiestufe haben. Eben nicht nur wegen Rentenpunkten und um den Anschluss nicht zu verlieren, sondern auch, weil es nett ist, mit den Kolleginnen aus dem Labor oder der Bäckerei in der Mittagspause zusammenzusitzen. Ohne dass einen ständig jemand unterbricht: "Mama, wo ist …?"
Und weil eine schlüssige Powerpoint-Präsentation auf andere Weise stolz macht als die Tatsache, dass man nach dem Üben mit der Drittklässlerin wieder schriftlich dividieren kann.
Manchmal ändern sich die Prioritäten
Umgekehrt gibt es aber auch viele Mütter, die beruflich bereits fest im Sattel saßen und deren Prioritäten und Erwartungen an den Job sich mit Kindern verschieben. Die sich beruflich umorientieren und etwas ganz anderes arbeiten, als sie ursprünglich gelernt haben. Es gibt Frauen mit Kindern, die noch mal eine neue Ausbildung machen, weil sie es sinnstiftender finden, Sprachkurse für Kinder von Geflüchteten anzubieten, als Exceltabellen zu kalkulieren. Oder die sich aus einem Job mit Nacht- und Wochenendschichten oder Reisetätigkeit verabschieden, weil sie dem Leistungsdruck bewusst entfliehen möchten. Auch wenn dann nur noch Urlaub in Deutschland drin ist.
Und wieder andere, die ihren Job kündigen, weil er sich nur schlecht vereinbaren lässt mit der Familie. Oder weil sie als Mütter im Büro nicht mehr für voll genommen werden. Zwei von drei arbeitenden Müttern haben schon einmal Demütigungen durch Kollegen oder Vorgesetzte erlebt, so eine Studie der Frankfurter University of Applied Sciences.
Bei der Frage, wie ein Job sein muss, damit er sich für uns – nicht nur monetär – lohnt, scheinen Männer und Frauen übrigens ganz unterschiedliche Prioritäten zu setzen, unabhängig davon, ob sie Eltern sind oder nicht. Das Online-Studienportal Statista sagt: 56 Prozent der Frauen ist bei der Arbeit das gute Verhältnis zu Kolleginnen und Kollegen wichtig (Männer 47 Prozent), 31 Prozent die günstigen Arbeitszeiten (Männer 25 Prozent). Umgekehrt ist es bei Karrierechancen (16 Prozent der Männer legen Wert darauf, aber nur zehn Prozent der Frauen) und Gehalt (Männer 40 Prozent, Frauen 26 Prozent). Interessant ist auch hier das Ost-West-Gefälle: Berufstätigen Müttern aus den neuen Bundesländern sind "männliche" Ziele wie Anerkennung und Wertschätzung im Job wichtiger als ihren West-Schwestern. Wohl ein Erbe des emanzipierteren Frauenbildes im anderen Teil Deutschlands.
Auch das zeigt: Was wir von Erwerbsarbeit erwarten und welchen Stellenwert sie für uns hat, wird eben mitgeprägt vom gesellschaftlichen Klima, von Familientradition und eigenen Erfahrungen.
So hört man von Frauen, die in der ehemaligen DDR Kind gewesen sind, auch selten Klagen darüber, dass mittags keine Mutti am Herd stand – war schließlich bei allen so. Man war eher stolz, dass Mama ihre Frau stand, oft in einem technischen Beruf.
Die eigene Erfahrungen prägen unsere Ansichten
Weitergedacht bedeutet das: Es wird auch unsere eigenen Kinder beeinflussen, wie in unserer Familie Job und Carearbeit verteilt sind, welches Bild vom Arbeitsleben wir ihnen vermitteln, als Mutter oder Vater. Und auch, was für ihre eigene Berufswahl entscheidend sein könnte: Sicherheit? Verdienstmöglichkeiten? Begeisterung? Sinnhaftigkeit?
Eines kann man jedenfalls vergessen: die Frage, wie viel Gnadenfrist man hat vom Ausbildungsende bis zum letzten Arbeitstag. Denn als ich meine Kinder schließlich bekam, 20 Jahre nach meinen Teenager-Überlegungen, da hatte ich so gut wie gar keine Zeit für eine Auszeit. Und ein Ausstieg war völlig undenkbar. Weil ich als Freiberuflerin wenig Sicherheitsnetz hatte, weil der Vater dazu nicht Verleger war, sondern ebenfalls ein kreativer Kopf mit ähnlich wechselndem Einkommen wie ich. Noch nicht einmal Elterngeld gab es bei der Geburt unserer Ältesten 2006. Mit diesem stressigen Alles-auf-Einmal tauge ich wohl nur begrenzt als Role Model. Oder vielleicht doch? Denn ich liebe, womit ich Geld verdiene, kann dank Homeoffice mit meinen Teenies Mittag essen und habe dabei als Familienjournalistin mein Fachgebiet direkt vor der Nase.
Mal sehen, wie sie später selbst die Balance zwischen Lust und Muss, Job und Privatleben finden. Vor allem, wenn sie selbst Kinder bekommen sollten. Nicht nur meine Tochter. Auch mein Sohn.
Glückwunsch zum Baby, Sie sind gefeuert!
Im vergangenen Jahr startete die Initiative #proparents zusammen mit ELTERNfamily und der Zeitschrift "Brigitte" die Petition "Gleiches Recht für Eltern" und sammelte Zehntausende Unterschriften gegen die Diskriminierung von Müttern und Vätern im Job.
In ihrem neuen Buch "Glückwunsch zum Baby, Sie sind gefeuert" (Eden Books, 18,95 Euro) vertiefen Karline Wenzel und Sandra Runge von #proparents dieses Thema weiter. Sie skizzieren anhand von Fallbeispielen die Vielzahl der Benachteiligungen, denen Eltern im Job ausgesetzt sind und geben Anregungen, wie sie sich gegen Diskriminierung im Beruf wehren können. Sie zeigen Wege auf, wie Betriebe elternfreundlicher werden können, und formulieren konkrete Forderungen an die Politik.