Was das Rentenalter mit Familienfreundlichkeit zu tun hat
"Wen auch immer ich in meinem Bekanntenkreis frage: Eigentlich alle sind überzeugt, dass wir wahrscheinlich noch einen Rentenbeginn mit etwa 70 Jahren erleben werden. Die Wirtschaftskrise wird durch das Schmelzen vieler Alterspolster dazu beitragen.
Allerdings ist hierzulande schon die geplante Anhebung auf "nur" 67 Jahre äußerst unpopulär - obwohl die Menschen dort, wo länger gearbeitet wird, insgesamt glücklicher sind als anderswo. Das Argument, die Frühverrentung schaffe Platz für Jüngere, hat leider noch nie gestimmt - ganz im Gegenteil: Je länger die Menschen in einem Land arbeiten, desto niedriger ist nachweislich die Arbeitslosigkeit - siehe Skandinavien!
Ich glaube, dass ein späterer Rentenbeginn viel zu einer familienfrendlicheren Architektur unserer Gesellschaft beitragen kann. Wie kann das?
Warum die meisten Rentner heute durchaus länger arbeiten könnten
Eine ganz offensichtliche Tatsache wird merkwürdigerweise nirgends diskutiert: Die Rentner von heute sind ganz und gar nicht die vor 100 Jahren, als das Rentenalter von 65 festgesetzt wurde. Eine Generation wie die meinige, mehr oder weniger die 68er, die ziemlich gesund, gut ausgebildet und motiviert ist, braucht mit Mitte 60 noch nicht die kollektive Unterstützung der Jüngeren!
Das ist keine Rentnerbeschimpfung. Es ist einfach die Korrektur eines nicht mehr sachgerechten Zustands. Bei einer längeren Lebensarbeitszeit ohne feste Altersgrenzen sind die vielen hochwertigen neuen Krippenplätze und attraktiven Ganztagsschulen, wie dir so dringend brauchen, leichter finanzierbar; ebenso eine liebevolle Pflege ohne polnische Schwarzarbeiterinnen, aber auch eine angemessene Rente.
Eine längere Lebensarbeitszeit bedeutet praktische Generationensolidarität, nach unten und nach oben. Seit Jahrzehnten wandert nämlich die Armut in Deutschland von den Ältern zu den Jüngeren - gut sichtbar an den Wohnverhältnissen junger Familien. Das kann und muss aufhören!
Ein deutlich späterer Rentenbeginn als bisher - verbunden mit einer höheren Erwerbstätigkeit von Frauen im ganzen Lebensverlauf - wird aber auch dazu beitragen, das Arbeitsleben insgesamt endlich familiengerechter zu gestalten: Die Norm einer Vollzeitwoche von mehr als 50 Stunden für Menschen, die in der Privatwirtschaft erfolgreich sein wollen, ist im Kern noch unberührt. Elternzeit und Elterngeld bieten zwar einen kurzfristigen Ausweg, aber Kinder sind eben mindestens 15 Jahre lang Kinder. Sie haben Anspruch auf Eltern, insbesondere Väter, die auch aktive Eltern sein können!
Warum eine lange Erwerbsbiografie Chancen bietet
Karriere muss deshalb auch bei "normaler Vollzeit" oder einem umfangreichen Teilzeitjob möglich sein. Hier setzt die Wirkung einer langen Erwerbsbiografie ein:
Wo Beschäftigte in der Regel bis zum Alter von etwa 70 Jahren tätig sein sollen, muss das ganze Arbeitsleben anderes aufgebaut und geplant werden. Nachhaltig mit der Arbeitskraft umgehen bedeutet eben, sie nicht in kurzen 25 Jahren zu verbrennen. Sondern eine sinnvolle, den jeweiligen Bedürfnissen angepasste Balance zu finden. Familienbedingte Berufsunterbrechungen für Männer und Frauen und Zeiten für Fortbildung mit neuem Berufsziel bekommen in Zukunft zentrale Bedeutung.
Wer als junger Mann Klaviere geschleppt hat, muss den Anschluss in einem körperlich weniger belasteten Feld finden. Wer einmal erfolgreicher Geschäftsführer war, möchte vielleicht Lehrer werden - und eine Krankenschwester Ärztin.
Immer mehr Menschen werden bald 100 Jahre alt! Diese neue Biografie braucht einen langen Atem, mehr Eigenverantwortlichkeit und aktive Solidarität. Sie bietet aber auch Chancen - weil sie Zeit gibt.
Rente erst mit 70 - könnten Sie sich das vorstellen?
Was halten Sie von Gisela Erlers Thesen? Könnten Sie sich vorstellen, beispielsweise zu Hause zu bleiben, solange die Kinder klein sind, und dafür später länger zu arbeiten? Machen Sie mit bei unserer Umfrage und kommentieren Sie diesen Artikel! Wir sind gespannt!