Lag es an Corona oder einfach nur am Durchschnittsalter meines Freundeskreises? Jedenfalls ist der Anteil an haarigen Familienmitgliedern in meinem Bekanntenkreis deutlich gestiegen. Damit meine ich jetzt nicht die neuen, extrem behaarten Hipster-Gesichter einiger Väter, sondern Hunde. Es verging in den letzten Monaten kaum eine Woche, in der uns kein neuer Vierbeiner vorgestellt wurde.
Ich hatte als Kind immer einen Hund und habe mir seit Jahren schon einen an meiner Seite gewünscht. Irgendwie hat es nie so richtig gepasst: Der Job zu stressig, zu wenig zu Hause, Wohnung und Kinder zu klein. Ich wollte abwarten, bis der ideale Zeitpunkt kommt. Aber wenn ich eines in den letzten Jahren gelernt habe: Man kann ewig auf den richtigen Zeitpunkt warten. Er kommt nie. Beziehungsweise: Der richtige Zeitpunkt ist eigentlich immer genau jetzt. Also, let’s go.
Alles wiederholt sich
Das letzte Kind hat Fell. Ja, da ist was dran. Zumindest erinnerte mich die Anschaffung des Hundes in vielerlei Hinsicht an meine Schwangerschaften. Zwar bin ich diesmal natürlich nicht mit dickem Bauch rumgelaufen, aber es wiederholten sich viele Fragen von damals. Kann ich einem Hund gerecht werden? Wie wird sich unser Alltag verändern? Was machen wir zukünftig im Urlaub? Wo soll er schlafen? Wie füttere ich ihn?
Auch unser Umfeld nahm in ähnlicher Weise Anteil an unseren Plänen – wie damals. Mutierte vorgeburtlich jeder Zweite in meinem näheren Umkreis urplötzlich zum Schwangerschafts-, Baby- und Geburtsexperten, hatte ich es nun mit einer Horde von unzähligen Martin Rütters zu tun. Und wer sich nicht auskannte, gab trotzdem seinen Senf dazu. Es wurde eifrig über die Vor- und Nachteile von Mädchen und Jungen bzw. Hündinnen und Rüden diskutiert. Es wurden jede Menge Ratschläge zur Auswahl der Geburtsklinik, äh, des Züchters gegeben und letztendlich führte auch die Namensgebung des neuen Familienmitgliedes zu ausgedehnten Diskussionen. Hier verhält es sich wie mit Kindernamen: Entweder du behältst den favorisierten Namen bis zur Geburt für dich oder du verrätst ihn und findest dich schnell in einem Strudel von Verunsicherungen wieder. "Wie, ihr wollt ihn Rudi nennen? Die Nachbarin von Tante Irmel hatte mal einen Rudi. Der war häßlich und hat gebissen." Oder: "Spike? Das klingt voll aggro." Oder: "Charlie hieß der Wellensittich von Oma Rita und der ist an der Fensterscheibe zerschellt."
Hieß es damals "Brust oder Fläschchen, Selbstgekochter Brei oder Fertig-Gläschen?“, standen jetzt die Fragen "Trocken- oder Nassfutter, BARF oder Nicht-BARF?" im Raum. So wie Mütter oftmals gelyncht werden, wenn sie vor der Geburt sagen, sie hätten sich gegen das Stillen entschieden, werden auf Hundespielwiesen hier und da nämlich die Köpfe geschüttelt, wenn man das Füttern von Trockenfutter favorisiert und zugibt, man habe noch nie von BARF (Biologisch Artgerechtes Rohes Futter) gehört. Ich musste schnell feststellen: Auf einmal gab es wieder viel Dünnes Eis und gefährlich viele Themen mit Fettnäpfchen-Potenzial. Man musste eine klare Meinung haben oder wenigstens so tun.
Mit meinem Nestbautrieb verhielt es sich ebenfalls wie damals vor der Geburt meines ersten Kindes. Nachdem vor Jahren Treppenabsperrgitter, Steckdosen- und Schranksicherungen endlich verschwunden waren, ging nun alles von vorne los. Es wurde geschraubt, gehämmert und aus unserem Zuhause im Nu wieder ein Hochsicherheitstrakt. Überall sah ich Gefahren für den kleinen Wuschel. Nachts schreckte ich hoch, weil ich träumte, wie er durch unsere offene Treppe jaulend ins Kellergeschoss fiel und sich das Genick brach.
Wenn Befürchtungen wahr werden
Dass diese Sorgen nicht ganz unberechtigt sind, mussten wir leider schon in der ersten Woche mit unserem neuen Freund feststellen. Was mit Kindern erst im Krabbelalter passieren kann, geht bei Hunden ja schon an Tag 1 los: Das Zuhause wird zielgerichtet nach Dingen abgesucht, mit denen man Unsinn anstellen kann. Eigentlich hatte ich alles weggeräumt, was auch nur im Entferntesten eine Gefahr darstellen könnte, hatte die Rechnung aber – wie so oft – ohne die Kinder gemacht.
Unsere Tochter kam auf die famose Idee, ihr prall mit Schokolade gefülltes Osterkörbchen auf den Boden in unsere Essecke zu stellen. Der weiße Wuschel entpuppte sich als extremer Schokoladenliebhaber und fraß in Windeseile einen halben Schoki-Osterhasen samt Silberpapier. Da Schokoladenkonsum für Hunde tödlich enden kann, fanden wir uns also gleich in Woche 1 in der Tiernotaufnahme wieder. Heulend mit dem Schokolade-verschmierten Welpen auf dem Schoß, zweifelte ich dort an meinen Frauchen-Fähigkeiten. War dieses letzte Kind mit Fell vielleicht doch ein Kind zu viel?
Am Ende ist alles gut ausgegangen. Unser Fellkind hat die Schokolade hervorragend vertragen. Trotzdem wird sie jetzt unerreichbar in der obersten Küchenschublade aufbewahrt. Es ist in den letzten Monaten zu keinen weiteren beunruhigenden Zwischenfällen gekommen und natürlich weiß ich, was BARF ist. Alles hat sich eingespielt und es ist wie mit Kindern: Nach einiger Zeit kann man sich nicht mehr vorstellen, wie es ohne sie war.
Bereits erschienene Kolumnen von Lea Kästner:
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