Es ist Jahre her, anderer Job, tolles Team, wir verstanden uns gut. So gut, dass eine Entfristung im Raum stand. Nur: Weil ich so ehrlich war – oder wie mein Mann sagen würde: so dumm – zu sagen, dass ich im zweiten Monat schwanger bin, mich aber in einem Jahr auf die Stelle freue, sagte man mir: „Ja, nee, dann können wir die Entfristung doch nicht anbieten. Aber wir blei- ben in Kontakt.“ Das Absurde: Meine Vorgesetzen waren keine Unmenschen oder rieben sich die Hände, voller Freude, endlich die schwangere Alex über den Tisch zu ziehen. Es war eben der „normale“ Vorgang gegenüber Müttern. Mehr noch: Ich machte mich zum Teil des Systems, als ich dachte: „Ist halt so, ich hätte ja nicht schwanger werden müssen.“ Was zeigt, wie perfide die Diskriminierung Eltern und besonders Müttern gegenüber funktioniert. Ich – als Opfer – gab mir selbst die Schuld.

Sandra Runge kennt das. In ihrer Berliner Kanzlei hat die Juristin bereits Hunderte solcher Fälle beraten. „Es ist unfassbar, ich kriege immer wieder dieselben Situationen geschildert“, sagt sie, „und alle fragen sich, ob sie ein Einzelfall sind. Sind sie nicht! Ich sehe eine strukturelle Diskriminierung.“
Anfang des Jahres gründete die Anwältin zusammen mit der Kommunikationsberaterin Karline Wenzel die Initiative #proparents, um auf das Problem aufmerksam zu machen und auf eine gravierende Gesetzeslücke.

Dass eine Frau während Schwangerschaft und Elternzeit nicht entlassen werden darf, ist vielen klar. Laut Sandra Runge steckt das Problem aber in der Zeit danach: Denn dann kennt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (kurz AGG und auch oft Antidiskriminierungsgesetz genannt) Schikanen Eltern gegenüber einfach nicht. Dort heißt es wörtlich: „Ziel des Gesetzes ist, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen.“ Diskriminierung aufgrund von Elternschaft allgemein taucht im Text nicht auf – und dadurch fallen viele Eltern in eine Schutzlücke. Ein Beispiel: Wird einer Mutter direkt nach der Elternzeit die Führungsposition genommen, hilft eine Klage auf direkte Diskriminierung des Geschlechts nicht weiter, denn Väter gehen ja auch in Elternzeit ...
Doch wie kann eine solche Lücke im Jahr 2021 immer noch existieren? Vielleicht weil gerade Mütter auf dem Arbeitsmarkt ein Imageproblem haben: Einerseits waren Frauen noch nie so gut ausgebildet wie heute, andererseits haben wir unter Müttern die größte Teilzeitquote der vergangenen 30 Jahre. Immer noch wenden Frauen täglich mehr als doppelt so viel Zeit für Kinderbetreuung auf wie Männer. Und immer noch sehen Arbeitgeber besonders bei Frauen die Gefahr auszufallen, wenn ein Kind krank wird oder wegen Corona mal wieder alle Kitas und Schulen schließen.
Die Lösung für viele Firmen: Mütter bei Bewerbungen auszusortieren, sie nach der Elternzeit rauszuekeln, Führungen abzuerkennen – oder sie gar nicht erst so weit kommen zu lassen.
„Es ist absurd! Wir haben 20 Millionen Eltern in diesem Land, und wir fangen jetzt erst an, darüber zu reden, wie man sie nach dem Wiedereinstieg schützen kann“, sagt Sandra Runge.
Deutschland hinkt hier gewaltig hinterher. Doch das soll sich ändern: Viele Eltern haben uns geschrieben und uns von ihren Schikanen, Degradierungen, Entlassungen erzählt, um endlich für sich und für die Dunkelziffer hinter den Fällen einzustehen.
Gemeinsam mit diesen Eltern fordern wir – ELTERN und ELTERNfamily, das Magazin BRIGITTE und die Initiative #proparents – mit einer Petition die Änderung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Elternschaft, und zwar egal ob biologische, Pflege- oder Adoptivelternschaft, muss als Diskriminierungsmerkmal ins AGG aufgenommen werden. Denn es ist doch so: Eltern entscheiden sich freiwillig für ein Kind. Sie entscheiden sich aber nicht freiwillig dafür, deswegen finanziell und beruflich degradiert zu werden.
Erzählt uns eure Geschichte

Je mehr Beispiele wir zeigen, desto wirksamer wird unsere Forderung. Deshalb möchten wir wissen, was ihr selbst als Eltern im Job erlebt habt. Mailt uns eure Geschichte – auch anonym – an elternrechte@brigitte.de. Welche Diskriminierungen habt ihr im Job erfahren? Wann ist es passiert? Habt ihr versucht, euch zu wehren? Wir sammeln all diese Geschichten und werden sie in Berlin übergeben. So erhöhen wir den Druck auf die Politik!