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Familienkolumne Abschied heißt auch Neubeginn

Familienkolumne: Die Silhouette einer Frau mit Koffer steht am Flughafen
© HY / Adobe Stock
Nora blickt zurück und nach vorne. Denn jeder Abschied bedeutet auch einen Neuanfang. 

An einem Winterabend vor über 16 Jahren sagte ich der ELTERN zum ersten Mal auf Wiedersehen. Ich war damals die schwangere Praktikantin in der Redaktion. Das Praktikum war zu Ende und die Schwangerschaft auch bald. Wir stießen darauf an: Abschied und Neubeginn, so nah beieinander.

Die darauffolgenden Jahre hielten noch viele Enden und Anfänge für mich bereit: mit jedem weiteren Kind, mit jedem neuen Wohnort, mit jedem Schritt, den wir als Familie machten. Nur eins blieb immer gleich: Ich schrieb für die ELTERN, als mein erstes Baby in meinem Bauch strampelte. Ich schrieb für die ELTERN, als es geboren war – und in jeder weiteren Schwangerschaft und in all den Jahren dazwischen und danach. Die ELTERN war meine Konstante in einem Leben voller Umbrüche und Veränderungen. Ich habe es geliebt, für sie zu schreiben. Und natürlich für euch zu schreiben. Vor allem hier in dieser Kolumne.

Und steht wieder ein Abschied an, für mich ist es ein schwerer. Nur allzu gerne hätte ich an dieser Stelle weiter monatlich meine Gedanken mit euch geteilt. Nun ist es anders gekommen – wie so oft im Leben, gerade mit Kindern.

Emotionen wollen wahrgenommen werden

Was ich in den vergangenen 16 Jahren als Mutter gelernt habe: Es gibt keine guten und schlechten Gefühle. Sondern einfach nur Emotionen, die wahrgenommen werden wollen. Tausende Male habe ich das zu meinen Kindern gesagt: Alle Gefühle sind okay. Sie wollen nur wahrgenommen werden. Schieb sie nicht weg, lade sie ein. Sie wollen dir etwas sagen!

Jetzt bin ich selbst damit dran. Ich halte mein jüngstes Kind im Arm und die Zeitschrift in der Hand, für die ich so lange und so gerne geschrieben habe. Und ich fühle die Gefühle, die gefühlt werden wollen: Traurigkeit und Stolz. Ungläubigkeit und Wut. Freude und Dankbarkeit. "Weinst du, Mama?", fragt mein Kind, und ich sage erst "Nein" und dann "Ja", weil man ehrlich sein soll mit Kindern und authentisch. Wie oft haben wir das hier geschrieben in diesem Heft: Seid echt und nahbar, das wünschen sich eure Kinder am meisten.

Was heute so selbstverständlich klingt, war damals, als die ELTERN anfing, sich für Kinderrechte und eine neue, gleichwürdige Eltern-Kind-Beziehung stark zu machen, so umstritten wie revolutionär. Mein erster Text über unser Familienbett erschien 2008 – ein Wagnis. Was würden die Leute sagen? Ein Kind im Elternbett, entgegen allen Empfehlungen – können wir so was bringen? Oder die Geschichte meiner zweijährigen Stillzeit mit meinem ersten Kind: zu lang, zu extrem, zu selten? Keine unserer Befürchtungen wurden wahr. Unsere Leserschaft feierte die neue Vielfalt der ELTERN, den Respekt für all die unterschiedlichen Wege, Kinder ins Leben zu begleiten – manchmal auch jenseits offizieller Empfehlungen.

Zeit für neue Blickwinkel

Blicke ich auf meine langen Jahre als ELTERN-Autorin zurück, sehe ich nicht nur, wie sehr ich diese Zeitschrift geprägt habe, sondern auch, wie diese Zeitschrift mich geprägt hat. Denn in einer Zeit, in der wir alle dazu neigen, uns in unsere eigenen kleinen sozialen Blasen zurückzuziehen, in denen alle das Gleiche gut und richtig finden, wirkte meine monatliche ELTERN als Augenöffnerin und Horizonterweiterin: Ach, so kann man das auch sehen! Huch, diese Perspektive kannte ich bisher noch gar nicht!

Diese Neugierde auf neue Blickwinkel wirkte dann auch wieder in meinen Familienalltag hinein – insbesondere, als meine Kinder anfingen, sich so ganz anders zu entwickeln, als ich mir das als junge Mutter ausgemalt hatte. Was hatte ich für Fantasien, zu was für engelsgleichen Wesen meine sanfte, liebevolle Erziehung führen würde. Und heute? Stehen vier willensstarke und manchmal auch ausgesprochen widerständige junge Menschen vor mir, die so gar nichts mit jenen Büllerbü-Bildern zu tun haben, die ich mir einst ausgemalt hatte – und sind genau so wunderbar und goldrichtig, wie sie sind, mit all ihren Ecken und Kanten. Sie kennen ihre Bedürfnisse und treten für sie ein, koste es, was es wolle. Sie spüren ihre Grenzen und haben gelernt, sie zu vertreten. Und sie fühlen alle Gefühle, die gefühlt werden wollen: Traurigkeit, Glück, Angst, Ärger und Wut. Ich glaube, dass das auch an den vielen ELTERN-Artikeln liegt, die ich gelesen habe und die mich darin bestärkt haben, meinen Kindern zu vertrauen, ihnen den Rücken zu stärken und dabei meine eigenen Bedürfnisse nie aus dem Blick zu verlieren.

Wenn ich mir zum Ende meiner Kolumne hier eines wünschen dürfte, dann wäre es: Dass ihr, liebe Leserinnen und Leser, dieses Vertrauen in euch und eure Kinder mitnehmen konntet aus meinen Zeilen. Dass eure Kinder goldrichtig sind, genauso, wie sie sind. Und ihr es auch seid. Ich wünsche euch ein reiches, schönes, zugewandtes Familienleben, in dem Fehler willkommen sind und Imperfektsein Familientugend ist. Es war mir eine Freude, euch ein Stück des Weges zu begleiten. Und wer weiß? Vielleicht begegnen wir uns ja mal wieder, etwa bei der Lektüre eines meiner Bücher, bei einem meiner Vorträge oder auf meinem Instagram-Kanal. Denn: Mit jedem Abschied beginnt auch immer etwas Neues.

Nora Imlau

schrieb 16 Jahre lang als freie Autorin für ELTERN. Dies ist ihre letzte Kolumne. Sie hat weiterhin einen erfolgreichen Blog (nora-imlau.de) und schreibt Bestseller wie "So viel Freude, so viel Wut", Kösel, 20 Euro.

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