Anzeige
Anzeige

Familienkolumne So anstrengend sind Angeber-Eltern

Familienkolumne: eine Frau steht zwischen Kindern in Trikot, die Medaillen halten
© Monkey Business / Adobe Stock
Angebermütter gibts in jedem Schwimmkurs, auf jedem Elternabend und auf jedem Firmen-Umtrunk. EF-Autorin Anna Funck, selbst Mutter von drei Kindern zwischen 2 und 12, kriegt dabei Schnappatmung. Und sie fragt sich: Wieso regt mich das eigentlich so auf?

Es fing damit an, dass meine Freundin Tina mir ihren Julian als Genie verkaufen wollte. Unsere Kinder waren gerade in die Grundschule gekommen, und er konnte einfach alles.

"Endlich ist er nicht mehr unterfordert. Schreibt eine Eins nach der anderen."

Das war so plump, dass ich mich kurz fragte, ob sie vielleicht noch einen anderen Sohn hatte, den ich noch nicht kannte. Ich mochte Julian, ein liebes Kind mit dem Herz am richtigen Fleck, auch clever. Aber plötzlich Einstein? Zumal ich meine Tochter auch nicht für doof hielt, aber sie musste in Mathe schon etwas häufiger ran.

"Eigentlich wäre er der Klassenbeste, aber er ist halt kein Streber",

stellte Tina bei der nächsten Gelegenheit klar. Und fast wunderte es mich, dass nicht noch eine Zugabe kam von der übergriffigen Sorte:

"Also, in letzter Zeit fische ich ja dauernd kleine Briefchen mit Herzchen aus dem Ranzen. Die Mädchen stehen auf ihn."

Dann kam das Gymnasium.

"Endlich nicht mehr Grundschule. Das war viel zu einfach für Julian, der braucht im Kopf mehr Futter.“

Und spätestens jetzt lief ich innerlich Amok, was mein Mann gar nicht nachvollziehen konnte. "Warum verschwendest du dafür Energie? Ist doch völlig uninteressant."

Und ich dachte: Interessant, dass er das uninteressant findet. Ist das vielleicht so ein Mutterding?

Anruf bei der Kölner Familienpsychologin Annika Rötters. Sie weiß sofort, wovon ich spreche. "Ja, das fängt gleich nach der Geburt an. Da gibt es dann schon im Rückbildungskurs diese Mutter, die behauptet, ihr Kind habe sich schon mit zwei Wochen das erste Mal gedreht. Oder es hätte sie gleich nach der Geburt angelächelt, was natürlich Zufall ist, weil das erste soziale Lächeln erst mit sechs Wochen passiert. Psychologisch ergeben solche Erzählungen aber Sinn, denn die Bindung zwischen Mutter und Kind wird gestärkt, wenn die Mutter überzeugt ist, ihr Kind ist etwas ganz Besonderes. Ansonsten ist es aber eine eher ungünstige Grundüberzeugung, dass das Kind immer ganz besonders sein 'muss'. Denn das erzeugt Druck – für Eltern und Kind."

Ich nicke ins Telefon – und diesmal aus Überzeugung und nicht so halbherzig wie kürzlich in der Kita, als ich mein Mittelkind abholte.

"Maxi ist dauerverabredet und ständig auf Schlafpartys eingeladen",

hatte mir seine Mutter bei den Garderobenhaken erklärt. Und klar hatte ich die unausgesprochene Unterzeile gleich mit interpretiert: "Wow, mein Sohn ist jetzt schon ein Menschenfänger." "Ach wirklich!?", hatte ich gesagt. Und brav genickt. Oder neulich vor der Musikschule:

"Ella spielt nicht nach Noten, sie kann alles auswendig",

erzählte Ellas Mutter mir ungefragt. Übersetzung: Ella wird so etwas wie ein weiblicher Mozart der Neuzeit, aber kein Wunder, auch die Mutter spielt ja seit ihrer Kindheit Klavier … Abgenickt!

Ja, ich habs kapiert. Tolle Kinder haben selbstverständlich auch tolle Eltern.

Denn tolle Kinder haben tolle Gene. Und tolle Kinder sind auch eine Leistung. Sie sind das Ergebnis von besonderer Förderung und besonderem Engagement. Und vor allem sind sie das Ergebnis einer Mutter, die sich reinhängt.

So wird es uns suggeriert. Beim Klavierspielen. Beim Balletttanzen. Beim Turnierreiten. Aber ganz besonders in der Schule: In kaum einem europäischen Land hängt der Schulerfolg eines Kindes so sehr vom Elternhaus ab wie in Deutschland. Darauf hat sogar die OECD immer wieder hingewiesen. Und spätestens mit den Corona-Lockdowns wurde es unübersehbar: Kinder, die zu Hause Eltern hatten, die den Schulstoff erklären konnten, waren klar im Vorteil. Mit den Noten der Kinder wird also auch der heimische Hilfslehrer bewertet. Oder besser: die heimische Hilfslehrerin. Denn immer noch sind es überwiegend wir Mütter, die das Kümmern, Fördern, Hausaufgabenchecken übernehmen. Sind die Noten gut, haben wir alles richtig gemacht. Sind sie schlecht, haben wir im Zweifel versagt: zu viel Berufstätigkeit, zu wenig Vokabeln, falsches Mutterleben. Setzen, Sechs.

Neulich sagte eine Schulfreundin bei den Bundesjugendspielen zu meiner Tochter:

"Ich muss mit einer Ehrenurkunde nach Hause kommen, sonst ist Mama sauer.“

Auweia, dachte ich, und sah im Geiste, wie ihre Mutter die Ehrenurkunde an die Wand tackerte. Meine Botschaft an unser Kind war noch beim Frühstück gewesen: "Hab’ Spaß heute, die Punkte sind egal!"

Ich horchte in mich hinein. War es mir wirklich egal, ob es eine Siegerurkunde oder eine Ehrenurkunde wurde? In diesem Fall: ja! Aber natürlich spüre ich ihn auch, den Wettbewerb. Und ja, ich kenne auch diese Sorge: Hoffentlich kommt mein Kind im Leben gut zurecht, findet seinen Platz in einer Gesellschaft, die Leistung feiert und in der der Verdrängungswettbewerb zum daily business gehört.

Die wahre Kunst ist nicht, Druck zu erzeugen, sondern Vertrauen zu haben

Aber für mich ist hier die wahre Kunst, nicht Druck zu erzeugen, sondern Vertrauen zu haben: dass der Nachwuchs gut so ist, wie er ist, und seinen Weg schon finden wird. Vielleicht, so denke ich manchmal, ist es genau das: Eltern, die immer raushängen lassen, dass ihr Kind der King of Kindergarten ist, fehlt dieses Vertrauen. Sie sind eigentlich unsicher.

"Der Paul hat schon einen echt guten Sneaker-Geschmack,“

sinnierte neulich eine Mutter auf dem Spielplatz. Und die Botschaft aus dem Off war klar: Paul ist zwar erst vier, aber er geht ganz sicher irgendwann nach Paris und macht einen auf Gaultier. Echt jetzt?

Familienpsychologin Annika Rötter bringt dazu noch einen Gedanken ins Spiel: "Eine Mutter, die so über ihr Kind spricht, erzählt sich das auch immer selbst. Es ist eine Art Selbstvergewisserung vor Publikum. Und wenn uns das als Publikum wütend macht, dann möglicherweise, weil wir das Gefühl haben, dass die Aufwertung ihres Kindes eine Abwertung unseres Kindes oder gar von uns selbst bedeutet."

Könnte das sein?, frage ich mich.

Nein, Abwertung fühle ich nicht, eher Fremdscham. Und ein bisschen Wut auf Eltern, die den Druck im System weiter erhöhen. Ich lasse meine Kinder lieber Kinder sein. Reiten zum Spaß – keine Turniere. Schwimmen zum Planschen und Über-Wasser-Halten – nicht, um Gold und Silberabzeichen zu machen. Der Schuldruck reicht, und den meistern wir zum Glück sehr gut. Und ich finde: Wenn man sich nicht belädt wie ein müdes Pferd mit Wettbewerbsaktivitäten, lernt man sich und seine Interessen auch viel besser kennen. Ich will kein Feuer unterm Hintern von den Leistungsdruckmuttis. Dass ich mich davon anheizen lasse – mein Fehler.

Was also tun, um nicht ständig an die Decke zu gehen?

"Gar nicht reagieren", sagt Annika Rötter, "auch Angebermütter handeln und sprechen primär für sich selbst und nicht gegen andere. Und wir dürfen bewusst entscheiden, wem wir auf unserer Lebensbühne eine aktive Sprechrolle geben.

Andere Variante für Mutige: einfach mal zurückfragen. "Was für eine Reaktion erwartest du jetzt von mir?" Das könnte spannend werden.

Und je länger ich darüber nachdenke … eigentlich können die Angebermütter einem ja leidtun. Vielleicht brauchen sie manchmal einfach einen liebenden Blick und etwas Aufmunterung. Gerade von Müttern, die das Glück haben, nicht so auf die Kacke hauen zu müssen.

Prahlhans und Prahlhanna 

Die größten Angeber ihrer Zeiten hatten ziemlichen Erfolg mit ihrer Prahlerei: Katharina die Große schönte zum Beispiel höchstselbst ihre Biografie, und Karl May schrieb sich in Sphären, die er selber nicht kannte. Auch Götz von Berlichingen, Heinrich VIII oder Casanova hatten es nicht so mit der Bescheidenheit. Angeben ist halt eine Tugend, wenn man hoch hinaus will. Ganz vorn unter den Angebern sollen übrigens folgende Sternzeichen sein: Widder, Stier, Löwe, Schütze und Steinbock.

Retourkutsche

Auch wenn wir jetzt ja wissen, dass sie es nicht böse meinen, hier eine schöne Antwort für Angeber und Angeberinnen: Sigmund Freud hat mal gesagt: Geltungsbedürfnis hat als Ursache immer einen Minderwertigkeitskomplex. Schon gewusst?

ELTERN

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel