Seit das Kind keine Windel mehr trägt, werde ich, etwa im Park zwischen Kindergarten und unserer Wohnung, regelmäßig mit dem Hilferuf „Mami, ich muss Pipi! Ganz, ganz dringend!“ konfrontiert. Dabei ist es mit der größtmöglichen Anzahl von Kleidungsstücken angezogen, weil gerade das denkbar ekligste Wetter herrscht. Ebenso regelmäßig kommt es vorher schon zu folgendem Dialog: „Musst du vielleicht Pipi? Dann geh bitte hier, gleich ist es zu spät!“ – „Neiiiin!“ – „Bist du dir sicher?“ – „Ja-ha, Mamiii! Jetzt kooomm!“
Minuten später stehen wir im Bindfadenregen (Sturm/ Schnee/Graupelschauer) in der Grünanlage, in Sichtweite die Kita, die zwischen den Bäumen schimmert wie eine rettende, aber leider unerreichbare Oase. Denn die Botschaft ist unmissverständlich: „Mami, ich muss JETZT!“ Damit kommen wir zu einem der Punkte, in denen ich Jungsmamas beneide. Denn handelte es sich bei dem Kind um ein männliches, würde ich nun schreiben, dass ich mit einer Hand den Schirm halte und mit der anderen das Kind so weit frei mache, dass die Unterhose erreichbar ist. Dann: Pipimann in Position bringen, pinkeln, alles zurückklappen, weitergehen. Kolumne zu Ende!
Doch es handelt sich, ihr habt das bereits messerscharf geschlossen, um ein Mädchen. Also werfe ich den Schirm jetzt in die Rabatten. Dann müssen die Klamotten zu Michelin-Männchen- Ringen über den Knöcheln zusammengeschoben werden, während meine Tochter abwechselnd „Schnella!“, „Iiih, kalt!“ oder „Bäääh, nass!“ brüllt.
So weit der simple Teil. Nun geht es an die Akrobatik. Kürzlich las ich etwas über die kompli- ziertesten Yoga-Positionen, die sich nur mit großer mentaler Stärke bewältigen lassen. Sie heißen etwa „schlafende Schildkröte“ oder „verletzter Pfau“. Ich würde die Position, in die ich mich nun begeben muss, als „wackelnden Truthahn“ bezeichnen, denn auch Truthähne wirken immer so, als würden sie jeden Moment das Gleichgewicht verlieren. Puten kippen nur deshalb nicht um, weil sie kein mopperndes Kita-Kind balancieren müssen –in dem Bemühen, dass der Pipistrahl weder Kleider-Wülste noch die Füße der Beteiligten bekleckert. Doch so sicher wie das Marmeladenbrot auf dem frisch gewaschenen Kleidchen landet (ein weiteres Gesetz), trifft er erst die einen, dann die anderen. Wie ein guter Rasensprenger.
Bis auf neulich. Den Park und das Schickimicki-Café bei uns an der Ecke hatten wir schon passiert. Beinah waren wir zu Hause, als nichts mehr ging. Blitzschnell riss ich den neuen Regenoverall runter und hielt Martha über ein Gullygitter. Sie pieselte, und ich stellte triumphierend fest, dass meine Schuhe trocken geblieben waren – so trocken wie das im Niesel halt möglich ist. Offenbar hatte ich endlich den, nun ja, Bogen raus! Dann zog ich den Overall hoch und ... in der Kapuze war ein See. Ich konnte Martha gerade noch davon abhalten, sie aufzusetzen. Während ich das Ding verstohlen umstülpte, damit die Sauerei ablaufen konnte, lobte ich mich im Stillen für meine mentale Stärke, dem Schreianfall wider-standen zu haben. Ich schwor, derart praktische Overalls in die Kleidersammlung zu geben – und freute mich auf den sicheren Nobelpreis. Denn dass die Pipigesetze nicht vom Menschen außer Kraft gesetzt werden können, wäre ja nun zweifelsfrei bewiesen.