Was ist ein Resilienz-Experte?
Ein Resilienz-Experte ist aus meiner Sicht jemand, der die Spielregeln der psychischen Widerstandsfähigkeit verstanden hat und auch für sich selbst lebt – indem er seine Erkenntnisse im nächsten Schritt an sein Umfeld weitergibt. Es ist also eine Person, die als gutes Vorbild vorangeht und gleichzeitig Menschen dazu befähigt, mit Schwierigkeiten auf eine zielführendere Art umzugehen als schlicht zu meckern. In meinem Fall beschäftige ich mich beruflich damit, Kinder für die Herausforderungen des Lebens zu stärken. Das habe ich erst über vierzehn Jahre lang als Einzelkämpfer gemacht und mittlerweile bilde ich auch Coaches und Trainer:innen aus, die das Wissen dann an Kitas, Schulen, Pädagog:innen, aber auch Eltern weitergeben.
Aktuell ist eines der größten Themen, das Eltern beschäftigt, die mentale Gesundheit ihrer Kinder. Es stellt sich so dar: Kitas sind einen Tag auf, dann zu, dann wieder auf, aber nur zu bestimmten Zeiten. Ähnlich sieht es aus mit den Schulen: Präsenzpflicht ausgesetzt, Homeschooling, Wechselmodell. In der Freizeit können Kinder einen Freund treffen. Dürfen dann aber abhängig vom Bundesland nicht dessen Geschwister sehen, obwohl sie im gleichen Haushalt leben. Langsam verlieren die Erwachsenen den Überblick. Was dürfen ihre Kinder und was nicht? Und wenn es die Erwachsenen schon nicht verstehen, wie sollen es denn dann die Kinder verstehen – und mit diesen sich wöchentlich ändernden Strukturen umgehen?
Ich denke, das Erste, was wir an dieser Stelle wieder in den Fokus rücken dürfen, ist unsere Vorbildfunktion. Es ist ja so, dass Kinder sich an Vorbildern orientieren. Sie schauen sich an, wie gehen Mama oder Papa mit den ständig wechselnden Informationen um. Sitzen sie jetzt jeden Tag abends vor dem Fernseher und schauen sich alles an, um dann auch noch stundenlang darüber zu debattieren, wie schlimm doch mittlerweile alles ist? Oder sitzen sie da und nehmen zur Kenntnis, dass es zwar wieder eine Veränderung gibt, probieren aber im Rahmen ihrer Möglichkeiten, so neutral wie möglich damit umzugehen? Frei nach dem Motto: Das ist jetzt nicht optimal, aber lass uns doch das Beste daraus machen.
Einen geschützten Raum schaffen
Erkennen Eltern, dass das Thema ihre Kinder beschäftigt, empfehle ich, die Kinder je nach Alter einfach mal mit ins Boot zu holen und offene Dialoge zu ermöglichen. Die Kinder sollen natürlich keine Lösungen für Erwachsene mitfinden, aber es macht dann schon Sinn, sie zu integrieren und mit ihnen über ihre Sorgen und Ängste zu sprechen. Ansonsten finde ich es jedoch wichtig – und so mache ich es auch in meiner eigenen Familie – dass gerade in den eigenen vier Wänden, in denen wir einen Schutzraum kreieren können, das Thema möglichst wenig Beachtung findet. Also zu Hause geht es um positive Dinge. Zu Hause geht es darum, dass wir eine tolle Zeit verbringen, wir gemeinsam Spiele spielen und wir letztendlich nicht noch das Radio parallel laufen haben, um da Corona-News zu hören. Die Welt um uns herum ist gefühlt wuseliger denn je. Also würde ich es zu Hause harmonischer denn je gestalten, damit die Kinder einen gesunden Gegenpol zu der ganzen Unsicherheit haben und mental gestärkt mit der Situation umgehen.
Einige Eltern würden jetzt wahrscheinlich erwidern: Ja, das ist alles wunderschön und das würden wir unter „normalen“ Umständen gerne so handhaben, aber wir sitzen jetzt hier im Homeoffice und sollen nebenbei Homeschooling machen, dann läuft vielleicht noch ein Kleinkind zwischen den Füßen rum und möchte auch beschäftigt werden.
Da wäre es im ersten Schritt ratsam, die Situation anzuerkennen. Ja, es ist jetzt erst mal wuselig bei uns.
Dann würde ich im zweiten Schritt rein pragmatisch überlegen, gäbe es irgendwelche Möglichkeiten, Ressourcen oder Potenziale, die wir als Familie haben, um mit dieser Situation besser umzugehen? Also, wenn wir uns das Homeoffice anschauen und parallel das Homeschooling – da könnten wir ja vielleicht einen gemeinsamen Weg finden, zum Beispiel immer 45-minütige Sprints zu machen. Mama, Papa und Kind gemeinsam. Dann gibt es vielleicht eine 15-minütige Pause, wo was Tolles gemacht wird – sofern man das arbeitstechnisch hinkriegen kann. Eine kleine Sporteinheit zum Beispiel.
Gemeinsam Spaß haben, ist wichtiger als Perfektionismus
Ansonsten – und das ist jetzt meine ganz persönliche Meinung, darf man gerade in solchen Wuselzeiten auch mal fünfe gerade sein lassen. Wir haben ja mit Eltern zu tun, die gerade mit dem Homeschooling / Homeoffice Thema viele Sorgen hatten, wo wir auch rausgefunden haben: Häufig war die Sorge, wenn ich mein Kind jetzt nicht bestmöglich bei der Schule unterstütze, dann kriegt es irgendwann keinen Job, denn es fehlt ein ganzes Jahr, aber das Kind war in der zweiten Klasse!
Hier sollten wir uns als Eltern fragen, was ist jetzt wirklich wichtig? Ist es jetzt wirklich wichtig, das Kind in allen Belangen, so sind wir ja leider als Gesellschaft ein bisschen gepolt, zu Perfektion hinzubringen? Alle Hausaufgaben müssen super sein, das muss alles immer perfekt sein und dann kontrollieren wir die Hausaufgaben auch noch und übernehmen den Job des Lehrpersonals, den wir gar nicht übernehmen müssten. Oder sagen wir: Vielleicht ist es in der jetzigen Phase gar nicht so wichtig, dass alles richtig ist, sondern dass wir vor allem eins haben – nämlich Spaß an der ganzen Sache. Und das ist natürlich aktuell überhaupt nicht leicht. Nur ich stelle mir immer die Frage: Was ist die Alternative? So weiter machen, wie es ist und in Stress verfallen? Dann glaube ich, ist es besser, den Stress mal ein bisschen runterzufahren und zu sagen: Ja, du hast jetzt zwar nicht alles perfekt gemacht, aber wir haben es gemeinsam gemacht.
Immer mehr Studien zeigen besorgniserregende Ergebnisse auf, wie es um die mentale Gesundheit von Kindern steht. Im Februar hatte das Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf (UKE) beispielsweise den zweiten Teil seiner COPSY-Studie („Corona und Psyche“) vorgestellt, an der viele Kinder und Eltern teilgenommen haben. Das Ergebnis: Sorgen und Ängste von Kindern haben zugenommen, ebenso depressive Symptome und psychosomatische Beschwerden. Fast jedes dritte Kind leidet demnach unter psychischen Auffälligkeiten. Besonders betroffen sind Kinder aus sozial schwachen Verhältnissen. Aus Familien, bei denen vielleicht schon vor der Pandemie nicht die besten pädagogischen Voraussetzungen gegeben waren.
Ja, das ist ein sehr großes und wichtiges Thema, weil es hier keine schnelle Lösung gibt. Die Frage muss ja sein, wie erreichen wir jetzt sozial schwächere Familien mit Ideen und Impulsen, die sie auch bereit sind umzusetzen – und da muss ich ganz ehrlich sagen, habe ich keine allgemeingültige Lösung. Denn ich bin natürlich auch in keiner Position, in der ich Betroffene flächendeckend erreichen könnte. Es kommt gerade auch in der Corona-Pandemie, obwohl wir uns sozial distanzieren, darauf an, trotzdem ein offenes Ohr füreinander zu haben. Wir haben erlebt, dass sich viele Familien voneinander entfernt haben, weil sie unterschiedliche Meinungen zu Auflagen hatten.
Wir sollten als Gesellschaft wachsam bleiben und Räume öffnen, im Sinne von: Ich höre dir zu. Ich bin für dich da, wenn du etwas brauchst. Wie wir natürlich jetzt die Menschen erreichen, die es am nötigsten brauchen, da muss ich ehrlich sagen, habe ich keine allgemeine Lösung für. Denn ich sitze weder in der Politik noch in den großen Medienanstalten. Wir haben da in unserem Berufsfeld nur eingeschränkte Möglichkeiten.
Manchmal haben ja genau die Menschen, die nicht an den Schaltstellen sitzen, die ganz großen Ideen. Aber was sich gerade ganz dramatisch auswirkt, sind die fehlenden Jugendclubs. Die Sportvereine, die nicht mehr stattfinden.
Genau das ist es. Wo und wie können sich gerade Kinder aus Familien, in denen keine angenehme und liebevolle Kultur herrscht, austauschen? Wo gibt es Stellen, wo sie sich umsonst Hilfe holen können? Die Nummer gegen Kummer, der Kinderschutzbund, JUUUPORT [Beratung bei Cybermobbing, Sexting und Ähnlichem]. Ich glaube, da können wir gar nicht genug probieren, Betroffene zu erreichen. Und wenn nur irgendjemand in irgendeinem Beitrag auf Facebook eine dieser Nummern sieht und Kindern, die sonst nicht darüber Bescheid wissen, darauf aufmerksam macht, dann ist das zumindest ein Anfang.
Kinder sind unsere Zukunft
Und das ist jetzt mehr ein Appell für die Zukunft: die Zahlen, die du gerade nanntest. Dass jedes dritte Kind aktuell unter depressiven Verstimmungen leidet. Bereits im Jahr 2019, vor der Corona-Pandemie, gab es eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, in der rauskam, dass circa jedes dritte Kind in Deutschland unter Mobbing leidet. Im Jahr 2016 war es noch jedes siebte Kind. Die Entwicklung hin zu psychischen Belastungsstörungen bei Kindern und Jugendlichen war schon lange erkennbar. Im besten Fall ist das jetzt der Punkt, an dem die Gesellschaft erkennt: Kinder sind unsere Zukunft und wir müssen reagieren. Wir haben vor diesen Entwicklungen sehr lange die Augen verschlossen. Mein Appell geht also ein bisschen in die Richtung, dass wir sagen: Sobald wir wieder etwas „Normalität“ zurückgewinnen, wann auch immer das sein wird, dann gehen wir nicht einfach zur Tagesordnung über – weder in den Schulen noch in den Kitas noch in den Jugendämtern.
Was können wir denn bereits jetzt ganz praktisch tun, um die mentale Gesundheit unserer Kinder zu stärken?
Erstens: Zuhause weniger diskutieren, mehr umarmen. Nicht jede Kleinigkeit auf die Goldwaage legen. Nicht direkt bei jedem Thema, über das man sich aufregen könnte, ein Fass aufmachen. Sondern fragen: Was ist das Wichtigste, das wir aktuell in den eigenen vier Wänden hinbekommen müssen? Einen sicheren Hafen schaffen, in dem alle Familienmitglieder ihre Energiereserven wieder aufladen können!
Als zweiten Punkt: Rituale etablieren, die den Fokus auf das Gute lenken anstatt auf das Schlechte. Ob das nun gemeinsame Abendrituale sind, in denen überlegt wird, wofür man eigentlich dankbar ist im Leben. Ob es bei älteren Kindern ein Tagebuch ist, in dem nur Dinge aufgeschrieben werden, die gut waren.
Nicht in negativen Phasen verharren
Als dritten Punkt: Stärken-Partys etablieren. Das bedeutet: Den Kindern in gewissen Abständen immer wieder sagen, was man an ihnen wertschätzt, was sie gut können, worin sie super sind. Das Selbstbewusstsein der Kinder stärken, indem man mit ihnen über ihre Gefühle redet. Dabei sollten wir zulassen, dass das schlechte Gefühl da sein darf, wir es auch einmal durchleben dürfen, aber, und das ist zentral, wir nicht darin stecken bleiben. Sondern wir müssen anerkennen: Ja, ich hatte da diese Phase. Mir ging es einfach schlecht. Ich habe ins Kissen geweint und das ist auch genau richtig so. Aber ich habe immer noch fließendes Wasser, ich habe immer noch meine Familie, ich werde morgen, wenn es gut läuft, mit meinen eigenen zwei Beinen aus dem Bett steigen. Das heißt, wir sollten diesen Fokus auf das Positive in all den Hiobsbotschaften nicht verlieren.
Denn der Unterschied zwischen Menschen, die sehr widerstandsfähig durchs Leben gehen und denen, die eher an Schwierigkeiten zerbrechen, ist, die widerstandsfähigen Menschen schaffen es immer wieder, sich auf das Positive zu fokussieren – ohne das Negative zu leugnen. Und Menschen, die eher dazu neigen, an schwierigen Situationen zu zerbrechen, finden auch in den guten Dingen wieder das Schlechte. Kinder sind eigentlich unglaublich widerstandsfähig. Und auch viel anpassungsfähiger als Erwachsene, denn sie haben ja keine Wahl. Sie müssen sich anpassen. Wie soll ich denn als Kind groß werden, wenn ich mich nicht anpasse? Ich lerne ständig etwas Neues, mein Körper verändert sich die ganze Zeit. Deswegen dürfen wir ein bisschen mehr Vertrauen in die Kinder haben und daran glauben, dass sie stark sind und auch mit solchen Dingen umgehen können.
Meine Tochter ist jetzt in der ersten Klasse und sie hat die Schule kaum von innen gesehen – und sie geht super damit um. Letztens wollten wir irgendwo mit dem Bus hinfahren. Und ich war etwas unentschlossen: Ach, ich weiß nicht. Und sie erwiderte: Papa, wir ziehen einfach unsere Masken an und dann passt das schon.
Ich glaube auch, dass Kinder deutlich besser mit dieser Pandemie umgehen könnten, würden wir als Erwachsene es konsequent anders vorleben. Das beobachte ich auch in meinem direkten Umfeld. Die Familien, die nicht nur Stress haben, sondern sich zusätzlich innerlich Stress machen und jeden Zeitungsartikel hoch und runter lesen – in denen sind die Kinder verunsichert. Und in anderen Familien, wo gesagt wird, das ist ein Virus und wir müssen aufeinander achten, aber wir werden jetzt bestimmt nicht den Spaß am Leben verlieren, die gehen alle gut damit um.
Daniel Duddek, 1985 in Hamm geboren, ist staatlich anerkannter Erzieher und Vater von zwei Kindern. Er ist Gründer, Geschäftsführer und Chefausbilder des Fortbildungsinstituts Stark auch ohne Muckis sowie Autor zweier Fachbücher. Seit über einem Jahrzehnt engagiert er sich für Mobbing-Prävention, mentale Stärke von Kindern und mehr Familienharmonie.