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Experten-Interview "Die ersten Monate können frustrierend sein"

Vater kuschelt mit Baby
© fotostorm / iStock
Es gibt nicht viele Frauen, die über Männer so gut Bescheid wissen wie Anna Machin. Sie ist evolutionäre Anthropologin an der Universität Oxford und forscht seit zehn Jahren intensiv zum Thema Vaterschaft. ELTERN-Autorin Dörte Nohrden sprach mit ihr.

In Ihrem Buch "Life of Dad" haben Sie Forschungsergebnisse zum Thema Vaterschaft gesammelt. Woher kommt Ihr Interesse?
Die Geburt meines ersten Kindes mündete in einen Notfall, ich verlor sehr viel Blut und wurde ohnmächtig. In der Hektik sprach niemand mit meinem Mann, der wirklich dachte, ich sei tot. Noch Jahre später war er traumatisiert. Mir wurde Unterstützung angeboten, ihm nicht. Ich fand befremdlich, wie wenig man sich um die Väter sorgt. Ich habe dann nach Studien gesucht – und war schockiert. Bis auf einen Aufsatz drehte sich alles um abwesende Väter und Negativbeispiele von Vaterschaft.
 
Erstaunlich...
Allerdings, weltweit werden 80 Prozent aller Männer im Laufe ihres Lebens Väter. Nichts über sie zu wissen ist ziemlich merkwürdig. Vor allem für sie selbst. Sie sollten wissen, was mit ihnen passiert, wenn sie Väter werden.
 
Was passiert denn?
Ich habe unter anderem verschiedene Hormone im Blut untersucht. Überraschend ist, dass mit der Geburt des ersten Babys der Testosteron-Level sinkt, und zwar dauerhaft. Dies ist ein weltweites Phänomen, unabhängig von Kultur und sozialen Gruppen.
 
Warum ist das so? Was hat es für Konsequenzen?
Die Motivation der Männer verändert sich. Statt nach weiteren Partnern Ausschau zu halten, werden sie sensibler und familienorientierter. Das hat evolutionäre Gründe. Weil Babys so lange von ihren Eltern abhängig sind, sichert ein anwesender Vater ihr Überleben. Männer mit sehr hohem Testosteron-Level erfahren übrigens einen besonders starken Abfall.
 
Das ist schätzungsweise nichts, was die Herren gern lesen...
Aber sie werden anderweitig belohnt, denn es verstärkt sich der Effekt von zwei anderen Stoffe, die auf das Belohnungszentrum wirken: Oxytocin und Dopamin. Sie verschaffen jungen Vätern echte Hochgefühle und stärken die Bindung zum Kind. Schon während der Schwangerschaft synchronisiert sich übrigens der Oxytocin-Level eines zusammenlebenden Paares.
 
Trotzdem: Eine Frau kann durch die Schwangerschaft ganz direkt eine Bindung zum Baby aufbauen, erlebt die Geburt und kann das Kind stillen. Was können Väter tun?
Sie können sich ihr Baby zum Beispiel in den ersten Stunden nach der Geburt auf die Brust legen. Durch den direkten Hautkontakt wird Oxytocin ausgeschüttet, was Bindung schafft. Allerdings zeigen Studien, dass vor allem die ersten sechs Monate eine schwierige, frustrierende Zeit für junge Väter sein können.
 
Warum genau?
Mütter haben es leichter, sie schaffen die Verbindung durchs Stillen, durchs Versorgen. Bei Vätern entsteht sie vor allem durch Interaktion, insbesondere durch Spielen, das sogenannte "rough and tumble play", also herumtoben, rennen, kichern, sich durchkitzeln. Dabei werden drei wichtige Bindungshormone ausgeschüttet – und zwar bei Vater und Kind gleichermaßen: neben Oxytocin und Dopamin auch Beta-Endorphin, ein besonders wirkungsvoller Botenstoff, der euphorische Gefühle erzeugt und Menschen verbindet.
 
Ist das auch ein weltweites Phänomen?
Das intensive Spielen eher ist typisch für die Industrieländer, weil jobbedingt – zumindest in einer klassischen Rollenverteilung – meist wenig Zeit für das Kind bleibt und das Toben innerhalb kürzester Zeit Nähe schafft. Viele Väter gleichen den Zeitmangel also instinktiv dadurch aus. Doch es dauert natürlich, bis ein Kind überhaupt reagieren kann, daher: Habt Geduld! Alternativ ist Baby-Massage eine wunderbare Sache. Vater und Baby werden mit Oxytocin und Beta-Endorphin geflutet, das schafft Bindung und hilft gegen den Babyblues, der auch viele Väter trifft.
 
Ist die Vaterrolle "angeboren" – oder erlernt?
Durch die hormonellen Veränderungen werden junge Väter auf die neue Rolle genauso vorbereitet wie Mütter. Sogar bestimmte Hirnregionen verändern sich. Insofern ist sie von Natur aus da. Trotzdem müssen beide Eltern gleichermaßen in die neue Rolle hineinwachsen. Frauen brauchen im Schnitt neun Monate, Männer hingegen rund zwei Jahre, bis sie sich in der neuen Rolle sicher fühlen.
 
Sie schreiben, dass Frauen und Männer auch instinktiv unterschiedlich erziehen.
Ja, Mütter sind vor allem auf die Versorgung und Sicherheit des Babys fokussiert. Väter natürlich auch, aber sie fordern ihr Kind stärker heraus, ermutigen es, Risiken einzugehen, Niederlagen einzustecken, unabhängig zu werden. Die zwei Grundpfeiler der Vaterrolle – Lehren und Beschützen ("teaching and protection") – haben einen evolutionären Hintergrund. Deswegen finden wir sie über alle Ländergrenzen hinweg. Es waren immer die Väter, die überlebenswichtiges Wissen weitergegeben haben.
 
Was macht denn einen guten Vater generell aus?
Die Frage kann und möchte ich nicht beantworten. Elternschaft ist eine komplizierte Angelegenheit. Wer hier ein guter Vater ist, mag andernorts ein schlechter sein. Bei den Kipsigis in Kenia etwa kümmert sich der Vater erst ab dem Alter von elf Jahren um seine Kinder, vorher hält er sie nicht einmal im Arm. Wir würden ihn als Rabenvater bezeichnen, die Männer dort sehen sich aber traditionell als Ernährer, sie schonen ihre Ressourcen für die Tee-Ernte. Vaterschaft ist eben immer vom Umfeld abhängig.
 
Es gibt folglich auch keinen Goldstandard?
Genau. Meine Empfehlung wäre: Achte auf dein Bauchgefühl statt auf kluge Ratschläge, die du womöglich nicht erfüllen kannst. Instinktiv weißt du, was für dich und dein Kind das Beste ist, du verstehst es besser als irgendjemand anderes.
 
Gibt es Zeiten, in denen ein Vater besonders wichtig ist?
Im Kindergartenalter und in der Teenagerzeit brauchen Kinder ihren Papa ganz besonders, weil er das Kind auf die Welt außerhalb der Familie vorbereitet. Etwa, indem er erklärt, wie man teilt und kooperiert. Teenager scheinen einen Großteil ihres Selbstbewusstseins interessanterweise durch ihren Vater zu bekommen. Auch für die Ausbildung der Geschlechtsidentität sind sie enorm wichtig.
 
Was kann ein Vater noch tun, um die Familie als Ganzes zu stärken?
Offen, unterstützend, emotional erreichbar sein. Und bedenken: Die wichtigste Beziehung ist die der Eltern. Sie schaffen die Umgebung und die Stimmung, in der das Kind aufwächst. Unstabile Elternbeziehungen stressen Kinder enorm.
 
Was ist abschließend Ihre Botschaft an junge Väter?
Väter fühlen sich oft zweitrangig. Aber sie sind genauso wichtig wie Mütter. Die Evolution hat sie darauf bestens vorbereitet. Außerdem sollten Paare die Erziehungsrollen schon während der Schwangerschaft diskutieren, später ist kaum noch Zeit dafür.
 

Experten-Interview: "Die ersten Monate können frustrierend sein"
© Knight Ayton Management

Dr. Anna Machin, 45, ist Autorin und evolutionäre Anthropologin an der Universität Oxford. Sie forscht zu menschlichen Beziehungen wie Liebe, Freundschaft und Familie – und widmet sich seit vielen Jahren dem Thema Vaterschaft. In künftigen Studien möchte sie untersuchen, ob hormonelle Veränderungen auch bei Adoptiv- und Stiefvätern greifen.

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