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Zusammen getrennt Erst Eltern, dann wieder ein Paar

Zusammen getrennt: Hände liegen übereinander und halten eine Familie aus Papier ausgeschnitten
© sewcream / Adobe Stock
Wenn die Kinder größer werden und die Beziehung in die Jahre kommt, spüren viele Eltern: Die Luft ist raus. Wir mögen, wir respektieren uns, aber vor allem funktionieren wir zusammen.

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Gar nicht so selten ist genau das die Phase, in der einer fremdgeht. Und deshalb fängt unsere Geschichte mit einem Seitensprung an. Denn das, was die Beteiligten – eine getrennt lebende Mutter und ein verheirateter Vater – erzählen, sagt viel aus über das, was in Partnerschaften zu kurz kommt. Vor allem, wenn Kinder da sind und die ganze irre Alltags-Orga. Wie könnte es anders gehen?

Katrin und Leo – gemeinsam frei sein?

Die Geschichte von Katrin

(Katrin*, 40, getrennt lebend, Mutter eines 6-jährigen Sohnes)

Es ist jetzt ein Jahr her, dass ich mich vom Vater meines Sohnes getrennt habe. Wir waren 15 Jahre zusammen. Unser Kind war ein absolutes Wunschkind. Doch als es da war, wurde alles anders. Ich habe mich verloren im Kleinklein zwischen Drogeriemarkt, Haushalt und Spielplatz. Und wir haben uns verloren als Paar. Doch als wir es bemerkten, war es zu spät.

So unabhängig bleiben wie nur möglich

Nach der Trennung habe ich etwas gebraucht, was mich von der Traurigkeit ablenkte: Zerstreuung, Aufmerksamkeit, Aufregung. Aber ich wollte alles in kleinen Dosen, sodass der Alltag mit meinem Kind davon so gut wie gar nicht berührt werden würde. Deshalb meldete ich mich auf einer Dating-Plattform an. Ich schrieb, dass ich eine verbindliche Affäre suche – und definitiv Single bleiben will. Vermutlich wegen dieses zweiten Satzes liefen mir die verheirateten Männer die Bude ein.

Ich nahm ihren Zuspruch dankbar an. Denn der Vorteil bei den meisten verheirateten Männern ist ja: Man muss keine Angst haben, dass sie irgendwann mehr wollen. Das nämlich wäre mir jetzt überhaupt nicht recht. Es würde nicht in das freie und unkomplizierte Leben passen, das ich im Moment führe.

Warum verheiratete Männer betrügen

Manchmal fragte ich die Männer, warum sie ihre Frauen betrügen – oder warum sie vorhaben, es zu tun.

Was sie dann antworteten, überraschte mich nicht: Bei manchen lief im Bett nichts mehr, und sie sehnten sich wieder nach mehr Leidenschaft. Andere hatten noch Sex, aber er war nicht mehr aufregend, oder die Männer hatten sexuelle Wünsche, von denen sie glaubten, sie würden ihre Frauen überfordern. Das Entscheidende aber war: Alle wollten einfach mal wieder gesehen und wertgeschätzt werden. Ich fragte sie oft, warum sie das alles zu Hause nicht einfach mal ansprachen. Doch die meisten schüttelten dann entschieden den Kopf: viel zu kompliziert! Und dass es sicher Streit gäbe. Und überhaupt wären ihre Frauen bestimmt zutiefst verletzt. Ich war dann meistens still. Denn wie kompliziert es in festen Partnerschaften manchmal ist, daran erinnerte ich mich noch gut.

Seit einiger Zeit treffe ich nun Leo. Ihn lernte ich nicht auf einer Dating-Plattform kennen, sondern ganz real auf dem Spielplatz. Er liebt seine Frau und seine Familie. Er hat sein eigenes Leben. Und wahrscheinlich ist das ein Grund, warum wir so gut zusammen funktionieren: Keiner will vom anderen mehr als das, was wir gerade haben. Es geht um Sex. Und der ist großartig. Aber da ist auch noch eine andere Ebene. Wir sind beide Vollzeit arbeitende Eltern mit allem, was da dranhängt. Dass das schlaucht, weiß jeder.

Wir verstehen uns so gut, eben weil wir keine gemeinsamen Kinder haben. Wir müssen uns nicht darüber unterhalten, wer die Kinder ins Bett bringt, den Kita-Antrag ausfüllt oder das Abendessen kocht. Es gibt nichts zu organisieren, abzusprechen oder auszudiskutieren. Wenn wir uns treffen, können wir alles andere ausblenden. Dann gibt es nur uns in einer kleinen, geschützten Blase. Es ist wie abtauchen in eine andere Zeit: eine Zeit, in der wir noch keine Familien hatten und nicht so wahnsinnig viele Dinge auf dem Zettel.

Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen. Ich denke an die Frauen der Männer, die ich treffe. Ich denke auch manchmal daran, was ich für eine Frau war, als ich noch mit dem Vater meines Kindes zusammenlebte. Und ich frage mich, ob ich es wohl bemerkt hätte, wenn mein Mann mich betrogen hätte. Wahrscheinlich nicht, ich war zu müde, zu erschöpft von meinem Alltag mit Kind, Job, Corona, Haushalt. Was bei mir damals auf der Strecke blieb, war Selbstfürsorge. Und heute sind meine Affären für mich genau das: ein kleines Stückchen Leben, in dem es um mich geht, in dem ich mich verlieren kann und abtauchen und alles vergessen.

Wäre es nicht schön, wenn wir das alles auch in unseren festen Partnerschaften haben könnten, frage ich mich dann.

Die Geschichte von Leo

(Leo*, 46, verheiratet, Vater von zwei Kindern)

Manchmal glaube ich, das, was ich mit Katrin habe, ist eher nicht die klassische Affäre. Ich habe sie beispielsweise nicht bewusst gesucht. Etwa, weil ich mit meiner Frau keinen aufregenden Sex hätte. Oder mal was anderes ausprobieren möchte. Das Gegenteil ist der Fall. Ich liebe die Mutter meiner Kinder sehr, und wir haben auch immer noch guten und regelmäßigen Sex. Als die Sache mit Katrin sich vor ein paar Monaten angebahnt hat, habe ich mir deshalb auch sehr genau überlegt, ob ich das mache. Ich will meine Familie auf keinen Fall verlieren. Ich habe auch darüber nachgedacht, was passiert, wenn es rauskommt. Meine Frau wäre verletzt, aber ich denke, wenn ich ihr die Sache erklären würde, würden wir es durchstehen. Es ist also ein Risiko, aber nicht völlig unkalkulierbar. Wenn man mich fragen würde, warum ich dieses Risiko eingegangen bin, wäre die Antwort wohl am ehesten: Ich brauchte Luft. Einen Freiraum. Etwas nur für mich.

Die letzten Jahre waren unglaublich anstrengend. Wir haben einen Neunjährigen und eine Vierjährige. Beide Kinder haben sehr unterschiedliche Bedürfnisse. Corona mit Homeoffice und Homeschooling hat uns wirklich auf dem Zahnfleisch laufen lassen. Als wir eigentlich schon gar nicht mehr konnten, kam noch eine Quarantäne dazu. Ich habe zu Hause keinen Raum und auch eigentlich keine Zeit für mich.

Mit den Kindern ist immer irgendwas. Beide brauchen ständig Hilfe, und wir Eltern rennen den ganzen Tag, um alles unter einen Hut zu bekommen. Dann ist da auch noch der Haushalt – und nicht zuletzt unsere Jobs. Ich habe oft das Gefühl: Wenn ich am Ende des Tages alles erledigt habe, sinke ich ins Bett und keiner fragt, was ich eigentlich jetzt mal brauchen könnte. Meiner Frau geht es ähnlich. Oft finden wir dann im alltäglichen Chaos nicht zueinander.

Eine besondere Affäre

Wenn ich mich mit Katrin treffe, geht es ausnahmsweise mal nur um mich. Der Sex ist natürlich auch ein bisschen leidenschaftlicher als zu Hause, wir haben nur ein kleines Zeitfenster, das wir dann eben sehr gut nutzen. Ich bin ziemlich überzeugt: Jemand anderes hätte mich nicht ins Bett bekommen, das mit Katrin ist schon etwas Besonderes. Ich finde sie spannend, als Person und als Gegenüber. Verliebt bin ich trotzdem nicht. Mir ist bewusst, dass das, was ich tue, nicht okay ist. Dass ich meine Frau betrüge, ist ihr und meiner Familie gegenüber nicht fair. Aber es ist eben der Versuch, mich auch mal um mich zu kümmern, um nicht vollständig auf der Strecke zu bleiben.

Ich merke, dass mir diese paar heimlichen Stunden guttun, ich lange davon zehre. Und es hat noch einen anderen Effekt: Mit meinem schlechten Gewissen meiner Frau gegenüber stellt sich Großzügigkeit ein. Ich gestehe meiner Frau mehr Auszeiten und Freiräume zu. Ich gönne ihr mehr. Weil ich mir eben insgeheim auch was gönne.

Ich denke nicht mehr so oft: "Warum muss ich jetzt wieder den Müll rausbringen?" oder "Jetzt habe ich schon eine Woche lang die Kinder ins Bett gebracht, wann macht sie das endlich mal wieder?" Ich rechne also auch weniger auf. Natürlich klingt es krass und absurd, aber ich würde sogar sagen: Solange die Sache nicht auffliegt, profitiert meine Familie auch von meinem Seitensprung.

*Namen geändert

Interview: Sex und geistige Intimität

Wie wollen wir als Paar mit Kindern leben? Für viele Eltern ist diese Frage heute schwer zu beantworten. Denn es gibt kaum Vorbilder. EF-Autor Udo Brandes sprach mit der Freiburger Paartherapeutin Friederike von Tiedemann über Seitensprünge, Gleichheitsansprüche und ein überstrapaziertes Gefühl

ELTERN Family: Frau von Tiedemann, ist es typisch, was Katrin und Leo erlebt haben – ist das Familienleben ein Liebeskiller?

Friederike von Tiedemann: So würde ich das nicht sagen, aber es ist auf jeden Fall eine enorme Herausforderung für die Beziehung. Ein Paar, das von der Paarphase in die Elternphase wechselt, sollte sich unbedingt schon vorher Gedanken darüber machen, wie die Partner es schaffen können, sich auch in den kommenden, anstrengenden und belastenden Jahren mit Kindern Inseln für ihre Paarbeziehung zu erhalten. Also wie sie es organisieren können, auch mal als Paar ganz für sich allein zu sein.

Nicht einfach. So ein Familienalltag mit mehreren Kindern ist ja meistens ziemlich stressig. Es gibt viel zu managen, lange To-do-Listen, da kommen die Selbstfürsorge des Einzelnen und auch die Paarbeziehung fast immer zu kurz …

Das stimmt: Die ganz große Auszeit, nach der sich viele Paare sehnen, also mal 14 Tage allein zu zweit, das wird mit Kindern im Regelfall nicht mehr möglich sein. Das wurde ja auch sehr schön von Katrin beschrieben. Aber es ist möglich, auch im stressigsten Alltag wenigstens kleine Inseln der Begegnung zu schaffen: gemeinsam morgens in Ruhe einen Cappuccino trinken, sodass man einige Minuten hat, um sich auszutauschen. Oder sich mal intensiv umarmen. Berührungen im Alltag sind wichtig, um die emotionale Verbindung aufrecht zu erhalten.

Also auch Sex?

Sicher. Wenn ich Paaren sage, sie sollen sich gezielt zum Sex verabreden, schaue ich oft in erstaunte oder zweifelnde Gesichter. Denn viele Paare meinen: Sex ist doch etwas Spontanes. Etwas, das situativ entsteht. Sie können sich nicht vorstellen, sich dafür zu verabreden. Aber wie das Beispiel von Katrin und Leo zeigt: Das geht sehr wohl und funktioniert bestens. Und wenn das beim Seitensprung funktioniert: Warum nicht auch innerhalb einer Ehe oder Partnerschaft? Es ist schlicht notwendig, für Intimität Raum und Zeit einzuplanen, wenn Kinder da sind.

Wie muss man sich das konkret vorstellen?

Nehmen wir an, die Tochter eines Paares hat regelmäßig zu bestimmten Zeiten Musikunterricht. Solche und andere Zeitfenster sollten Paare gezielt nutzen, um ungestört Sex haben zu können. Manche Paare mieten sich auch mal ein Zimmer im Hotel.

Und wenn man vor lauter Stress in diesem Moment gar keine Lust mehr hat?

Dazu gibt es ein ganzes Spektrum an Möglichkeiten, wie zum Beispiel, dass man sich längere Zeit nur streichelt, ohne die erogenen Zonen zu berühren. Oder den Kopf auf ein gemeinsames Kissen legt und sich nur in die Augen schaut. Oder – wenn man etwas mehr Zeit hat – dass man Rollenspiele inszeniert und sich zum Beispiel im Café anspricht wie zwei Fremde, die dann anschließend Sex haben. So als wäre es ein One-Night-Stand. Es geht darum, Spannung herzustellen und einander wieder zu begehren.

Noch mal zurück zu Katrin und Leo bzw. zu den außerehelichen Beziehungen. Es gibt ja auch die einvernehmliche Variante des Fremdgehens. Mir fällt dazu das Stichwort "Polyamorie" ein, also dass Menschen offen mit mehr als einem Partner eine (sexuelle) Beziehung führen. Kann das auch eine Lösung sein, wenn es in der Beziehung langweilig geworden ist?

Tatsächlich habe ich vermehrt Paare in der Beratung, bei denen ein Partner polyamor leben will und den anderen zu einer Beratung drängt, mit dem Ziel, diesen davon zu überzeugen. Meistens ist dann über kurz oder lang der Partner davon emotional überfordert. Was auch mit der romantischen Idee von Partnerschaft als etwas Exklusivem zusammenhängt. Aber ich habe auch andere Beispiele in meiner Praxis erlebt, wo die zeitweise Öffnung der Beziehung etwas zum Positiven verändert hat.

Auch Leo beschreibt ja, dass er seine Frau nun mit anderen Augen sieht. Können auch heimliche Seitensprünge Beziehungen neu beleben?

Das ist auf jeden Fall nicht ausgeschlossen. Aber wenn es rauskommt, denkt der hintergangene Partner meistens zu viel darüber nach, was der oder die andere Besseres hat und verliert sich in Vergleichen. Viel wichtiger wäre zu fragen: Was haben wir beide in unserer Partnerschaft vernachlässigt, das in der Begegnung mit der anderen Person plötzlich als dringendes Bedürfnis auftaucht und lebendig geworden ist. Dabei geht es übrigens nicht nur um Sex – sondern auch um eine andere Form von Intimität.

Was meinen Sie damit genau?

Innigkeit und Herzlichkeit, emotionale oder auch intellektuelle Nähe. Intimität durch gemeinsame Erfahrungen, es gibt viele Arten der Intimität. Paare vergessen oft, sich als Eltern von den Kindern abzugrenzen und vernachlässigen die Insel der Nähe und Zweisamkeit. Nur durch klare Abgrenzung können sich Eltern auch als Paar und intime Einheit erleben.

Sind Menschen denn generell überhaupt dazu in der Lage, Jahrzehnte monogam in einer Beziehung zu leben?

Die Idee der Monogamie ist eine Erfindung von Kirche und Gesellschaft, die letztlich ökonomische Hintergründe hatte. Unter anderem ging es dabei um das Erbrecht. Bis heute prägt diese Idee machtvoll die Vorstellungen über Ehe und Partnerschaft und ist als Ideal in den Köpfen der meisten Paare existent. Aber in der Biologie des Menschen ist sie nicht verankert. Seit also diese Klammer der Moral, die Paare durch den äußeren Druck zusammengehalten hat, nicht mehr existiert, und seit Frauen auch ökonomisch unabhängiger sind, seitdem steigt auch die Zahl der Trennungen.

Weil nun allein die Liebe Paare zusammenhalten soll …?

Genau. Die Erwartungen sind da enorm hoch, was die gesamte emotionale Atmosphäre zwischen einem Paar angeht und die Befindlichkeiten, die sie auslöst. Wie fühle ich mich mit dir? Das ist heutzutage ein entscheidender Faktor dafür, zu gehen oder zu bleiben. Das ist ja auch sehr gut an Katrins Beschreibung zu sehen: Sie hat ja manchmal die Männer gefragt, warum sie ihre Frauen betrügen. Unbefriedigende Sexualität spielte eine Rolle. Aber, ich zitiere Katrin: "Das Entscheidende war: Alle wollten mal wieder gesehen und wertgeschätzt werden." Mit anderen Worten: Sie kamen zu dem Ergebnis, es läge an ihrer Partnerin, wenn sie sich nicht so fühlten, wie sie sich gern fühlen würden.

Stimmt das denn nicht?

Nein, der beziehungsweise die andere ist nicht in erster Linie dafür verantwortlich, sondern zuerst bin ich das selbst. Die meisten Paare nehmen ihre Probleme nur als individuelles Versagen wahr. Sie machen sich dann gegenseitig Vorwürfe. Eine ganz wichtige Botschaft, die ich meinen Klienten mitgebe, ist deshalb auch: Eure Probleme sind keineswegs nur "hausgemacht". Das hat auch mit dem gesellschaftlichen Hintergrund zu tun. Und mit der Arbeitswelt.

Mit der Arbeitswelt??

Früher haben sich Menschen in Unternehmen aufgehobener und zugehöriger gefühlt als heute. Da war der Arbeitsplatz auch ein Stück Heimat, der Halt und Sicherheit gab. Heute müssen Menschen in der Arbeitswelt hochgradig flexibel sein. Ich höre von meinen Klienten immer wieder, in welch kurzer Zeit heute Unternehmen umgebaut und selbst gut funktionierende Teams auseinandergerissen werden. Da kann ich nur sagen: Mit diesem Tempo kommt die Seele nicht mehr mit. Wir Menschen sind soziale Wesen und brauchen das Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit.

Und das ist dann eine zusätzliche Bürde für die Partnerschaft, die wegen des romantischen Ideals ohnehin schon mit hohen Erwartungen befrachtet ist?

Je unsicherer und herausfordernder die äußere Welt, desto mehr soll die Partnerschaft ein Hafen der Sicherheit sein. Und das führt zu Ansprüchen an den Partner, die nicht mehr erfüllbar sind.

Gibt es da noch mehr gesellschaftliche Aspekte, die Paare herausfordern?

Ja, jungen Paaren mit Kindern wird es nicht leicht gemacht, Beruf, Familie und Karriere zu vereinbaren. Und die hohe Trennungsquote belegt, dass das Modell "Familie" zurzeit nicht wirklich erfolgreich ist. Die Scheu, mit kleinen Kindern auseinander zu gehen, ist heute deutlich geringer geworden. Ebenso die Fähigkeit, Spannungen auszuhalten. Da macht sich unsere Konsumgesellschaft bemerkbar, die uns auf die sofortige Bedürfnisbefriedigung konditioniert. Es gibt ja jetzt sogar schon Lieferdienste mit dem Versprechen: Lieferung in zehn Minuten. So ein gesellschaftliches Klima wirkt sich auch auf Beziehungen aus.

Wie ist es mit der Arbeitsteilung? Mütter fühlen sich häufig mehr verantwortlich für die Orga im Familienalltag. Sie machen nachweislich auch mehr. Stichwort "Mental Load". Ist Ihrer Erfahrung nach Haus- und Familienarbeit ein Thema, das zu Konflikten führt?

Früher, in der traditionellen konservativen Partnerschaft, war ganz klar, wer für was zuständig war. Da gab es nicht so viele oder gar keine Diskussionen darüber. Heute hingegen haben wir es mit der Idee der Gleichheit in Partnerschaften zu tun. Oft wird Gleichheit dann mit gerecht gleichgesetzt – und dann heißt es: "Du musst genauso viel von einer Sache machen wie ich. Ich wickele das Kind 20-mal, dann musst du es auch 20-mal wickeln. Ich wasche zehnmal ab, dann musst du auch zehnmal abspülen. Ich kaufe Geschenke, dann musst du das auch."

Sie sagen, dieser Gleichheitsanspruch strapaziert die Beziehungen enorm …

Weil er im Grunde uneinlösbar ist und zu vielen Diskussionen führt. Die Partnerschaften der Eltern können dafür im Regelfall nicht als Vorbild dienen, eben weil sie meistens nach traditionellen Rollenmodellen organisiert waren. Deshalb müssen moderne Paare heute quasi alles neu erfinden. Und aushandeln. Es wäre viel leichter, wenn Paare lernten, Unterschiede als Ressource zu sehen. Es kann ja in einer Beziehung auch sehr dienlich sein, wenn der eine sich um die Wartung des Computers kümmert, weil er technisch versiert ist, und der andere sich mehr um die Pflege sozialer Kontakte kümmert, weil er das gut kann. Unterschiedlichkeit ist nicht automatisch ungerecht.

Ganz abgesehen davon kann gerade Unterschiedlichkeit auch Spannung erzeugen.

Ja – und zwar durchaus auch positive Spannung, die wiederum ein wichtiger Schlüssel dafür ist, dass eine Partnerschaft auch mit Kindern über Jahre inspirierend bleibt.

Friederike von Tiedemann

Friederike von Tiedemann ist Diplom-Psychologin und approbierte Psychotherapeutin mit eigener Praxis. Sie leitet das Hans Jellouschek Institut Freiburg/Hamburg (HJI) für Systemisch-Integrative Paartherapie, bildet seit 25 Jahren Paartherapeuten und -therapeutinnen aus und ist Autorin:

Für Paare, die an ihrer Partnerschaft arbeiten möchten, hat sie ihre Erfahrungen in einem Buch zusammengefasst: "Das Geheimnis des dauerhaften Glücks. Leitsterne für Paare" (Kreuz-Verlag, 14,95 Euro).

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