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Neulich habe ich bei Instagram ein Selfie von mir, meinem Sohn und meinen beiden Nichten gepostet. Eigentlich keine große Sache, da solche Motive täglich millionenfach geteilt werden. Normalerweise entstehen Selfies ohne einen bestimmten Anlass, aber in diesem Fall wollte ich über das Selfie selbst sprechen. Genauer: über die Gesichter der Kinder, die ich ausnahmsweise mit drei lachenden Smileys bedeckt hatte. Ich wollte meine Meinung – samt Unsicherheit – in Sachen „Kinderfotos im Netz“ thematisieren und ahnte nicht, was das auslösen würde.
Der Shitstorm brach mit dem Post einer bekannten Bloggerin los, die mit geradezu missionarischem Eifer Kinderfotos im Netz verbieten will, und ging mit anderen weiter, die leidenschaftlich jedes einzelne meiner Argumente zerpflückten. In meinem Post hatte ich geschrieben, es gebe in der Zukunft sicher noch Entscheidungen, die für meinen Sohn fatalere Folgen haben könnten, als ein Bild von ihm auf Instagram zu zeigen: zum Beispiel einen Kinderyogakurs mit ihm zu besuchen. Das war nur eine kleine sarkastische Spitze meinerseits, die aber für so viel Wut sorgte, dass ich eins ganz sicher niemals tun werde: mit ihm einen Kinderyogakurs besuchen. Vielleicht wäre „Taufe“ das bessere Stichwort gewesen. Die meisten Kinder suchen sich schließlich auch ihre Religion nicht selbst aus. Nächstes Mal ...
Unter dem Post der Bloggerin wie auch unter meinem Beitrag begannen sich bald die unterschiedlichsten Kommentare zum Thema Kinderfotos zu stapeln, und die Mischung der Meinungen deckte sich mit dem, was ich in den sozialen Netzwerken dazu schon vorher entdeckt hatte.
Man kann drei Eltern-Typen unterscheiden:
- die Garnichtzeiger,
- die Emojizeiger,
- und die Alleszeiger.
Während die Garnichtzeiger ihre Kinder aus Angst vor möglichen Konsequenzen in Social Media überhaupt nicht vorkommen lassen, sind die Emojizeiger nicht ganz so streng und zeigen die Kindergesichter anonymisiert – oder sie teilen nur Aufnahmen von oben oder von hinten, manchmal auch nur Details wie die Hand oder den Fuß. Kein schlechtes Konzept, wenn man bedenkt, dass auch die Polizei vorm Missbrauch von Kinderfotos warnt. Eltern, die deshalb gelbe Smileys mit ausgestreckten Zungen vor die Gesichter ihrer Kinder legen, fahren somit um einiges sicherer.
Für mich sind die sozialen Medien immer eine feine Sache gewesen. Wie man sich dort präsentiert, was man über sich preisgibt und wie oft – das ist eine absolute Typsache. Ich verstehe jeden, der viel Wert auf seine Privatsphäre legt oder das Ganze schlicht für Zeitverschwendung hält. Aber ich liebe es nun mal. Tatsächlich fühle ich mich online oft freier und gelöster als in mancher Krabbelgruppe.
Schon lange, bevor ich überhaupt Mutter wurde, habe ich regelmäßig über mich, meinen Alltag und meine Beobachtungen gebloggt. Zusätzlich habe ich meine Leser mit Selfies und anderen wichtigen Momentaufnahmen aus meinem Leben versorgt. Gewarnt wurde ich schon damals. Ist dein Foto erst mal online, kann vieles damit passieren! Die Warnung nehme ich auch heute noch ernst. Deshalb habe ich meine Motive mit Bedacht gewählt, regelmäßig meine Sicherheitseinstellungen gecheckt und hin und wieder ein Foto gelöscht, wenn ich damit nicht mehr einverstanden war.
Die Unsicherheiten bleiben trotzdem

Dann kam mein Sohn. Ihn ganz aus meinem Online-Profil rauszuhalten schien mir keine charmante Option zu sein, zumal ich auch gar nicht gewusst hätte, wie ich es hätte anstellen sollen. Schließlich bestimmte der kleine Mensch fortan jede Minute meines Tages. Ich fotografiere ohnehin kaum noch was anderes. Wegen der Omas, aber auch wegen der Erinnerungen an all die süßen Momente mit ihm. Ich musste mich also entscheiden. Allerdings nicht ob, sondern wie ich mit diesen Fotos umgehen wollte.
Ein Beispiel: Tagelang lief mein einjähriger Sohn zu unserem riesigen Wohnzimmerbild an der Wand. Mutig zerrte und ruckelte er mit seinen kurzen Ärmchen daran, bis es entweder verrutschte oder ganz von der Wand fiel (keine Angst, das Bild ist sehr leicht). Jedes Mal lachte er dabei laut. Über das Bild, aber auch über mein lautstarkes Fluchen, was wiederum mich laut auflachen ließ. Schließlich griff ich nach meinem Handy und machte ein Foto von dem schiefen Bild, inklusive meines neuen Innendesigners. Filter drüber und dazu die lustige Bildunterschrift: „Bis ich Erziehung beherrsche, bin ich sehr offen für Veränderungen.“
Zwar ist mein Sohn auf dem Foto zu sehen, aber er hat eine Hand vor seinem Mund. Er steht relativ weit weg von mir, und ich habe ihn nicht für das Foto dort positioniert. So gesehen poste ich zwischen den Emoji- und den Alleszeigern. Es kommt auch vor, dass ich sein Gesicht zeige, allerdings eher selten, in einer Häufigkeit, die ich persönlich für angemessen halte.
Es gibt deswegen weitere Regeln: Ich achte darauf, dass ich keine peinlichen oder unangemessenen Situationen veröffentliche, Nacktfotos zum Beispiel. Oder das berühmte und vielkritisierte breiverschmierte Gesicht. Ich zeige ihn auch nicht überstilisiert, ziehe ihm nicht extra hübsche Kleidung an oder motiviere ihn für ein süßes Lächeln, während er auf einem Meer von Blütenblättern liegt. Mit diesen Regeln fühle ich mich wohl. Unsicherheiten gibt es bei mir trotzdem. Zum Beispiel, ob auch mein Sohn sich später damit wohlfühlen wird.
Zurück zu dem Post, der den Shitstorm auslöste. Darin ging es mir weniger um meine Regeln als darum, die gängigen Argumente der Garnichtzeiger zu entkräften, die vor allem mit der Angst vieler Eltern spielen.
Deshalb schrieb ich ziemlich selbstbewusst, dass ich mir um Pädophile im Netz nicht so viele Gedanken mache, weil ich davon ausgehe, dass mir und meinem Kind niemand etwas Böses will. Dass dies vielleicht eine naive Sichtweise ist, aber ich Gefahren außerhalb meines Instagram-Profils höher einschätze. Dass pädophile Internetseiten unbedingt bekämpft gehören, Pädophile im Netz für meinen Sohn aber keine körperliche Bedrohung darstellen. Fakt ist: Auch außerhalb der sozialen Netzwerke können Kinder vor indirektem Missbrauch nicht geschützt werden. Wenn ich mit meiner Familie am Strand sitze, halte ich auch nicht ständig Ausschau nach Menschen, die mein Kind in der Badehose heimlich fotografieren könnten. Nein, ich halte Ausschau nach meinem Kind.
Um es vorsichtig auszudrücken: Nicht jeder teilte meine Ansicht. „Erst mal sollte man heutzutage davon ausgehen, dass mir viele Böses wollen“, kommentierte eine empörte Nutzerin. Eine andere schrieb: „Zum Kotzen, diese Naivität.“ Gefolgt von weiteren Beschimpfungen und Belehrungen, die alle zu verdrängen schienen, dass ich eigentlich für einen Austausch offen war, sogar zu einer Diskussion aufrief. Nicht zuletzt mit der eigentlichen Botschaft, dass ich mir sehr wohl Gedanken zu diesem Thema mache. Dass ich mir auch mal unsicher bin. Dass ich aber nun mal gern Fotos von Kindern sehe. So wie ich Kinder liebend gern zusammen mit meinem Sohn auf einem Spielplatz beobachte.
Nicht so einfach, das mit dem Recht am Bild

Wie es unter meinem Post weiterging? Natürlich auch mit Hinweisen auf die juristischen Aspekte von Kinderfotos: „Es ist NICHT okay, und ihr verletzt die Rechte eurer Kinder. So einfach.“ Ein interessanter Kommentar, wie ich finde. Einer, der Richtiges meint, aber sich doch gewaltig irrt. Die Rechtslage ist nämlich überhaupt nicht einfach.
Kinder haben ein Recht am eigenen Bild. Und das ab dem Tag ihrer Geburt. Allerdings können sie nicht selbst über das eigene Foto verfügen. Daher entscheiden die Sorgeberechtigten, ob eine Veröffentlichung erfolgen darf. Und das müssen sie bis zur Volljährigkeit tun. Aber: Ab dem 14. Lebensjahr darf ein Jugendlicher durchaus die Löschung eines Fotos fordern.
Wir Eltern müssen uns immer darüber im Klaren sein, dass ein Kleinkindfoto unserem Nachwuchs im Jugendlichen- oder Erwachsenenalter Probleme bereiten kann. Die Waagschale des Ermessens droht zum Beispiel dann zu kippen, wenn ein viel kommentierter und begeistert geliketer Tollpatsch-Moment des Kindes später nicht mit dem Selbstbild des Jugendlichen übereinstimmt. Da ist Vorsicht geboten.
Mein Shitstorm und die Debatte um Kinderfotos generell zeigen deutlich, dass wir in unserer digitalen Welt noch nicht selbstverständlich zurechtkommen. Geschweige denn eine Ahnung davon haben, wie wir unseren Kindern beibringen sollen, sich darin vernünftig zu bewegen. Fest steht nur, dass sie das viel schneller und vermutlich ausgelassener tun werden, als vielen Eltern lieb ist. Deshalb halten einige sie lieber so lang wie möglich davon fern, statt sie so früh wie möglich darauf vorzubereiten.
Neulich las ich den Artikel einer Mutter, die aus eigener Erfahrung vor Kinderfotos warnte. Ihr 14-jähriger Sohn war beim Googeln seines Namens auf ein Foto von sich im Prinzessinnenkleid gestoßen – seine Mutter hatte es zehn Jahre zuvor bei einem Online-Wettbewerb eingereicht, da ging es um Geschlechterrollen. Der Sohn war über das Foto entsetzt. Und seine Mutter darüber, dass er entsetzt war. Irgendwie verständlich.
Mein Sohn, da bin ich mir wirklich sicher, wird später kein böses Erwachen haben, wenn er unverhofft Kinderfotos von sich im Internet entdeckt. Bis dahin habe ich sie ihm nämlich längst gezeigt und erklärt. Auch das Foto mit ihm und dem schiefen Wohnzimmerbild. Möglicherweise lachen wir beide wieder laut. Wenn nicht, wird es gelöscht.
Mehr Infos ...
... zum Thema findet ihr unter anderem auf den Websites des Deutschen Kinderhilfswerk (www.dkhw.de), bei klicksafe.de, einer EU-Initiative für mehr Sicherheit im Netz, oder bei www.schau-hin.info, einer Initiative für Medienerziehung von Bundesfamilienministerium und öffentlich-rechtlichem Rundfunk