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Ein guter Freund von mir erinnert sich bis heute noch an einen Streit zwischen seinen Eltern. Nicht etwa an das Inhaltliche, dafür war er vielleicht auch noch zu jung mit seinen fünf Jahren. Aber an das Wie erinnert er sich noch genau: Seine Eltern schrien sich an, knallten mit den Türen, liefen tobend durch die Wohnung – und er versteckte sich in seinem Zimmer, voller Angst. Dann knallte ein letztes Mal die Tür, dieses Mal von der Wohnung und er hörte nur noch das Schluchzen seiner Mutter.
Diese Erinnerung trug er noch Jahre später mit sich herum und erst in der Therapie wurde ihm klar, was an jenem Tag mit ihm geschah: Er hatte immense Angst. Seine Eltern hatten sich auf destruktivste Weise gestritten, sein Vater stürmte wutentbrannt aus der Wohnung, in diesem Moment konnte er nicht einordnen, ob sein Vater jemals wiederkommen würde. Er tat es, doch die Folgen waren für den Freund erheblich.
Meinungsverschiedenheiten, Diskussionen und Streitereien zwischen Eltern sind absolut normal und auch unseren Kindern möchten wir eine möglichst gesunde Streitkultur nahebringen. Doch wie kann das gelingen?
Es ist nicht von Bedeutung, dass es Konflikte gibt, sondern wie diese ausgetragen werden
Zunächst ist es wichtig, sich darüber klar zu sein, dass Streit zwischen Eltern nicht grundsätzlich eine negative Auswirkung auf das Kind hat. Früher nahm man beispielsweise auch an, dass die Scheidung der Eltern schädliche und dauerhafte Auswirkungen auf viele Kinder hat, doch wie Studienergebnisse zeigen, ist oftmals eher davon auszugehen, dass die (oft emotionalen und destruktiven) Streitereien vor, während und nach der Trennung mehr Schaden anrichten können.
Und auch wenn die Genetik beispielsweise eine entscheidende Rolle darin spielt, wie ein Kind auf Konflikte reagiert, hat auch die Erziehung und das häusliche Umfeld einen sehr wichtigen Stellenwert für das Erlernen von Konfliktfähigkeiten eines Kindes. Kurzum: Wie ein Kind einen Streit erlebt und selbst damit umgeht, kann erlernt sein – und solcherlei Dinge erlernt das Kind besonders häufig durch das Elternhaus. Heißt auch: Worauf es ankommt, ist die Qualität der Beziehung zwischen den Eltern, wie sie mit Konflikten umgehen und nicht etwa, dass es Konflikte gibt.
Wie wir Konflikte vor unseren Kindern austragen können
Noch einmal: Es ist absolut normal, dass Eltern bzw. Betreuer:innen von Kindern in Konflikte geraten. Problematisch wird es dann, wenn die Erziehungsberechtigten häufig, intensiv und destruktiv miteinander streiten und die Konflikte nicht auf eine gesunde Weise gelöst werden. Psychologin und dreifache Mutter Isabel Huttarsch gibt im Rahmen der SWR-Reihe "fühlen wir" ein paar Hinweise darauf, wie man am besten vor den eigenen Kindern streitet – und was man besser vermeidet.
Zunächst einmal seien Konflikte gut, so die Therapeutin, denn sie können dabei helfen "eine unzufriedene Situation neu zu gestalten". Solche Situationen gibt es immer wieder, in jeder Form von Beziehung und es ist unrealistisch, etwas anderes anzustreben, wie die Psycholog:innen Julie Schwartz und John Gottman in ihrem Buch "Eight Dates" schreiben: "Keine Kommunikationspannen in einer Beziehung zu erwarten, ist so, als würde man jedes Mal ein Hole-in-One erwarten, wenn man einen Golfball schlägt."
"Streitet mit Respekt. Das heißt: Hört euch zu und kommuniziert in Ich-Botschaften", ist ein weiterer Hinweis von Huttarsch. "Ich-Botschaften" sollen dazu dienen, die eigenen Bedürfnisse und Wünsche zu verbalisieren. Ziel ist es, bei sich selbst zu bleiben und "Du-Botschaften", die schnell zu Vorwürfen werden können, zu vermeiden.
Wer merkt, dass die Emotionen überkochen, dem:der rät die Therapeutin zu einer Streitpause, in der beide Parteien zur Ruhe kommen und sich räumlich voneinander trennen. Das aber bitte verbalisieren, also beispielsweise mit den Worten: "Können wir später weitersprechen, wenn wir uns beide etwas beruhigt haben? Ich merke, dass ich das Gespräch so wie es mir gerade geht nicht fortführen kann."
Spätestens nach der Lösung des Konflikts ist es an den Eltern, auf die Kinder zuzugehen und ihnen klarzumachen, dass sie die Verantwortung für den Konflikt und dessen Lösung tragen – und nicht etwa der Nachwuchs. So würden die Kinder verstehen: Dieser Streit bedeutet nicht, dass die Familie in Gefahr ist.
Abraten würde die Therapeutin hingegen davon, im Konflikt zu laut zu werden, denn das mache den Kindern Angst. Weiterhin sind Beleidigungen oder körperliche Gewalt absolut tabu. Wichtig sei auch, die Kinder nicht in den Streit hineinzuziehen und sie zu drängen, sich für eine Seite zu entscheiden. Und: Nicht in Wut abrupt aus der Situation fliehen, ohne ein Wort zu sagen, denn "Kinder können nicht verstehen, wann und ob ihr wiederkommt".
Streitkultur lernen unsere Kinder auch von uns
Wir möchten unsere Kinder schützen – auch vor so unangenehmen Situationen wie Streitereien, vor allem, wenn sie uns als Elternteile miteinbeziehen. Doch Kinder sind sehr genaue und wache Beobachter. Wie Studienergebnisse zeigen, wohl bereits ab einem Alter von etwa zwei Jahren, möglicherweise noch früher. Sie bemerken Streit, auch wenn wir versuchen ihn "privat" zu lösen, also unter vier Augen.
Kinder lernen von uns, wie man streitet – wie man für die eigenen Bedürfnisse einsteht und gleichzeitig respektvoll mit den Mitmenschen umgeht. Natürlich wird es im Eifer des Gefechts vielleicht nicht immer gelingen – doch zumindest sollten wir versuchen, Konflikte (nicht nur) vor unseren Kindern offen, respektvoll und lösungsorientiert auszutragen.
Lese-Tipp: Hier erfahrt ihr, wie ihr euch als Eltern bei einer Trennung mit Kindern am besten verhalten könnt.
Verwendete Quellen: bbc.com, papers.ssnrn.com, journals.sagepub.com, instagram.com, choosingtherapy.com, vgb.de, acamh.onlinelibrary.wiley.com