Nachhaltigkeit liegt mir am Herzen, aber ich muss feststellen: Das reicht nicht, und man macht sich unbeliebt damit. Ich rede, schreibe und podcaste zwar viel darüber, aber richtig ist auch: Von einem wirklich durch und durch nachhaltigen Leben bin ich so weit entfernt wie ein klapperdürrer Eisbär auf einer treibenden Scholle vom arktischen Festland. Und das hat natürlich auch damit zu tun, dass ich nicht allein lebe, sondern eine Familie habe und Kinder. Ganz normale Kinder bzw. Teenies, die Gewohnheiten und Wünsche haben. Viele Wünsche, um genau zu sein – und das nicht nur zu Weihnachten. Denn Konsum ist nun mal gar nicht lustig fürs Klima. Und Fleischkonsum schon gar nicht. Auch wenn ein Clownsgesicht drauf ist, auf der Wurst.
Während ich also gelernt habe, Kohlrabi-Suppen mit Beluga-Linsen lecker zu finden (ja, echt), beißt meine Familie weiterhin herzhaft und gern in Döner, Schnitzel und Chicken Nuggets. Sie loben mich, weil sie gut finden, dass sich "jemand" ums Klima kümmert, doch wenn ich sage: "Ich möchte eure Schnitzel aber zukünftig weder bezahlen noch panieren", verdrehen sie die Augen. Und als wir neulich 16 Stunden aus England nach Hause gefahren sind (immerhin nicht geflogen, aber eben doch mit dem Dieselbus durch die Natur gegurkt), ging’s dann – gegen meinen erklärten Willen – zu McDonald’s, nachdem die belegten (Bio-)Brote weginhaliert waren. Ich wurde einfach überstimmt. Demokratie hat eben auch ihre Schattenseiten – und nachdem ich erst widerwillig einen labbrigen Süßkartoffelburger in mich und dann den Müllberg in die Mülltonne gezwängt hatte, schimpfte ich wie ein Rohrspatz und schadete damit auch dem Klima, diesmal dem familiären.
Die Kinder wiederum kriegen schlechte Laune, wenn sie jedes Sneaker-Paar, das sie "neu" haben wollen, erst auf Secondhand-Plattformen suchen sollen oder noch schlimmer: sich jahrelang mit "uralten", "rumspackenden Handys" rumschlagen müssen, während ALLE anderen schon das neue XYZ12hastdunichgesehen-Phone haben. "Mach das Licht aus, mach die Geräte GANZ aus, nimm das Fahrrad – und kannst du auf dem Weg zum Fußball noch im Unverpackt-Laden vorbeifahren?" – all das sind nicht gerade Messages, mit denen man sich in Kinder-, geschweige denn Teenagerherzen spielt.
Marotten für die Apfelernte
Oder Immo. Er findet ja theoretisch richtig, was ich in dieser Hinsicht so anleiere. Beispiel Einkaufen: Trotz hoher Inflation hat er verstanden, und wir führen endlich keine Diskussionen mehr, warum ich nahezu alles Bio kaufe. Praktisch ist bei ihm aber Luft nach oben: Dass er von sich aus eine moderne Heizung und Solar in Auftrag gibt oder mir bei der Hochbeetbepflanzung hilft, darauf werde ich wohl noch lange warten müssen (Ernten mag er allerdings). Ebenso wenig werde ich eine Bolo mit veganem Hack in ich hineinbekommen. Und auch mein – zugegebenermaßen etwas gewöhnungsbedürftiger – Versuch, das Wasser in einem Eimer aufzufangen, bis es beim Duschen warm wird, fiel bei ihm lange in die Abteilung: Na ja, jeder hat so seine Marotten …
Aber neulich, da hatte Immo vor mir geduscht – und der Eimer: Er war voll! Erst freute ich mich, dann der Wassermangel-geplagte Apfelbaum im Garten!
Apropos Ressourcen: Auch für Unternehmungen versuche ich mehr und mehr, auf die Bahn umzusteigen. Im Sommer zum Beispiel: Smilla hatte Karten für die Pferdetage auf dem mecklenburgischen Landesgestüt Redefin geschenkt bekommen. Ich dachte: Das probieren wir jetzt mal mit dem Zug. Aber als Immo hörte, dass wir mit der Bahn zweieinhalb statt eine Stunde brauchen würden, weil man das letzte Stück mit dem "Rufbus" aus Ludwiglust fahren müsste, streikte er. Also: wieder ins Auto gestiegen. Als wir ankamen, war die Veranstaltung kurz vorher abgesagt worden – wegen katastrophalen Starkregens am Vortag.
"Gott sei Dank haben wir das Auto genommen, sonst hätten wir jetzt stundenlang umsonst in der Bahn gesessen", triumphierte Immo.
"Na ja", erlaubte ich mir zu bemerken, "wären wir früher mehr Bahn statt Auto gefahren, gäbe es nicht solche Wetterextreme."
"Mami, du nervst richtig!", schluchzte Smilla, deren Tag natürlich längst im Eimer war. Was gab’s zum Trost? Richtig: ’ne Bratwurst am verwaisten Grillstand.
Was sagt der Hund dazu?
Bleibt noch der Hund! Zwar nimmt Flocke es im kulinarischen Bereich nicht so genau: Was unbeachtet auf dem Küchentresen steht, wird gefressen – notfalls auch vegan. Aber auch sie ist in Bezug auf meine nachhaltigen Bestrebungen genervt. Früher durfte sie ins klimatisierte Auto springen, wurde sanft in den Wald kutschiert, wo sie sich austoben konnte, und dann ging’s wieder heim unter den Esstisch. Jetzt aber muss sie sich in eine ungemütliche E-Bike Kiste zwängen, die wackelt und scheppert, um in den Wald zu gelangen. Wenn wir ankommen, sieht sie mich vorwurfsvoll an, als wollte sie sagen: "Na toll, deinetwegen hab ich jetzt Rücken." "Ja", sage ich dann, "aber dafür hast du auch Wald – und zwar einen, der noch grün ist und in dem du rumtollen kannst."
Ist so: Recht haben hat was, aber lustig ist so ein Dasein als Spaßbremse nicht. Find ich doof.
Ich wünsch mir einfach, dass wir mehr an unseren Kindern und an der Zukunft hängen als an alten Klimakiller-Gewohnheiten. Und ich bin überzeugt, dass wir auch ohne Grillwürstchen noch was zu lachen haben werden. Gerade dann! Und zwar nicht nur morgen, sondern auch übermorgen.
Und wer weiß, vielleicht werde ich es ja noch erleben: Veggiedöner im Zug Richtung Ludwigslust mit Kind, Mann und Hund. Und alle haben Lust drauf. Nicht nur Ludwig.
Julia Schmidt-Jortzig, 48, hat zwei Söhne (Juri, 16, Matti, 15), eine Tochter (Smilla, 10), einen Mann (Immo), einen Hund (Flocke), einen Job und ein Haus in der schleswig-holsteinischen Provinz. Was dabei im Alltag herauskommt, erzählt sie uns hier alle zwei Monate im Wechsel mit Joachim Brandl, Vater von zwei kleinen Töchtern aus Wien.