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Sauerstoffmangel bei der Geburt Marlene kann nicht sprechen, aber viel sagen

Marlene
© Knud Eggers
Unsere Kollegin Julia Schmidt-Jortzig hat Marlenes Familie mehrfach besucht. Und erlebte erst drei, dann vier Menschen, denen es gut geht.

Als ich Marlenes Mutter Amelie das erste Mal traf, war die kleine Marlene ein knappes Jahr alt. Ich stand – damals wartete ich noch auf einen Kameramann – vor ihrem Haus, und mir klopfte das Herz bis zum Hals. Wie würde es sein, ein so massiv behindertes Kind zu sehen? Seit ich selbst Mutter bin, kann ich Leid, das Kleine trifft, kaum aushalten.
Aber dann geschah etwas. Während ich da stand und wartete, sah ich Marlenes Mutter Amelie auf ihrem kleinen Balkon sitzen. Sie hatte sich ein Frühstück gemacht, die Füße auf dem Geländer der Sonne entgegengestreckt. Ihr Mann Markus brachte gerade Kaffee: gestohlene, ruhige Minuten. Ich erzähle das, weil es genau diese Fähigkeit ist, die den beiden hilft, das, was andere – wohlgemerkt nicht sie selbst – einen „Schicksalsschlag“ nennen würden, so gut zu tragen. Sie geben acht auf sich, so gut es eben geht. Und sie halten zusammen.

Marlene hat Freunde und Freude und Kummer wie andere Kinder auch.

Dann führten wir ein Interview darüber, wie es war, als Ärztin ein Kind zu bekommen und plötzlich das Wort „Notkaiserschnitt“ zu hören. „Ah, okay, dachte ich“, sagte Amelie mir. „Dann eben ein Kaiserschnitt, auch gut.“ Erst als sie aus der Narkose erwachte und Markus sagte: „Das Kind lebt“, wurde ihr klar, dass nichts einfach nur „gut“ sein würde. Nichts würde so sein, wie Amelie es sich mit Kind vorgestellt hatte: kein wackeliges und so stolzes Laufenlernen, kein magisches erstes „Mama“. Denn es war sofort klar: Marlene würde niemals sitzen, laufen, sprechen können.
Aus ungeklärter Ursache hatte sie unter der Geburt einen akuten Sauerstoffmangel erlitten. Amelie: „Markus und ich spürten sofort: Marlene ist zwar mehrfach behindert, aber dumm ist sie nicht, sie versteht jedes Wort, das wir sagen.“
Heute ist Marlene drei Jahre alt, sie geht in den integrativen Kindergarten, in dem ihr alles nur Erdenkliche ermöglicht wird – wenn auch festgeschnallt in technischen Hilfsmitteln.
Sie hat Freunde und Freude und Kummer wie andere Kinder auch. „Und ebenso ist es bei uns“, sagt Amelie. „Es ist nicht immer leicht, aber es ist auch nicht immer schwer. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen, also ist es bei uns gar nicht so anders als bei anderen Eltern.“

„Wir wollten einfach noch ein Kind“, sagt Amelie

Als ich sie jetzt (für die Aufnahme des ­ELTERN-Podcasts) wieder besuchte, arbeitete Markus im Homeoffice nebenan, um tagsüber mit anfassen zu können. Vor allem aber schlief ein Zimmer weiter Leonard – Amelies kleiner Bruder, der vor einem Dreivierteljahr gesund geboren wurde. „Wir wollten einfach noch ein Kind“, sagt Amelie. „Nicht trotzdem oder extra, sondern einfach so.“
Und Marlene? Kann jetzt übrigens doch Mama sagen – mithilfe eines Sprachcomputers: Wenn sie das Bild nur lange genug fixiert, spricht eine Kinderstimme für sie aus, was sie denkt. Da sitzt sie dann, wie eine herzzerreißend hübsche Ausgabe von Stephen Hawking, und freut sich ihres kleinen Lebens.

Zuhören


ELTERNgespräch heißt der Podcast, den ELTERN- Redakteurin Julia Schmidt-Jortzig für euch macht. Hier könnt ihr Marlenes Mutter im Gespräch mit unserer Kollegin hören. Nicht versäumen! Voller Rührung und spannend.

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