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Mental Load Mutti macht das schon? Nein danke!

Mental Load: Mutti macht das schon? Nein danke!
© sturti / iStock
Traditionell sind es die Frauen, die in Familiensachen immer alles im Blick haben und deren Arbeitsspeicher stets übervoll ist. In Coronazeiten hat sich das Problem teilweise noch verschärft. Wie wir da rauskommen? Die Psychologin und Bloggerin Patricia Cammarata hat ganz handfeste Tipps. Mit ihr sprach ELTERN-Autorin Sina Teigelkötter.

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Frau Cammarata, wenn man Ihr neues Buch liest, bekommt man den Eindruck, dass Sie eine ganz besonders innige Beziehung zu Ihrem Staubsaugerroboter haben.
Er macht mich sehr glücklich, denn er arbeitet eigenverantwortlich. Man muss ihn nur irgendwo absetzen, dann lernt er nach und nach jede Zimmerecke kennen und weiß bald ganz genau, wo er intensiver putzen muss.

Sie sagen, damit entlaste Sie der selbstverantwortliche Alltagshelfer von „Mental Load“. Vielleicht erklären Sie kurz, was das genau ist.
Die schier unendliche Familien-to-do-Liste im Kopf bei uns Müttern. Dieses pausenlose Rattern: Habe ich auch wirklich an alles gedacht? Als ich vor drei Jahren den Comic der französischen Illustratorin Emma las, die den Begriff bekannt gemacht hat, war das für mich eine Erleuchtung. Endlich gab es einen Namen für das, was mich jahrelang so erschöpft hatte.

Aber nervige To-dos kennen doch eigentlich alle Eltern.
Und viele Paare teilen sich die heute sicher auch schon ganz gut auf. Aber am lautesten rattert es leider immer noch in Frauenköpfen, weil es traditionell Frauen sind, die all diese Prozesse anstoßen, planen und im Auge behalten. Das füllt ihren Arbeitsspeicher enorm.

… bis er irgendwann überlastet ist und alles blockiert.
Nach der Geburt meines dritten Kindes war ich dünnhäutig, dauererschöpft und schlief standardmäßig spätestens um acht beim Kinder-ins-Bett-Bringen ein.

Und Ihr Partner?
Unterstützte mich als moderner, aufgeschlossener Mann geradezu vorbildlich. Trotzdem war ich völlig fertig. Weil da immer dieser wahnsinnige Druck war, alles im Blick haben zu müssen.

Nach dieser Erkenntnis haben Sie sich daran gemacht, Ihren Arbeitsspeicher zu entleeren.
Wer Excel-Tabellen hasst, muss jetzt stark sein, denn um eine detaillierte Bestandsaufnahme kommt man nicht herum, wenn man etwas ändern will.

Was muss da rein, in die Tabelle?
Alle Aufgaben, die im Familienlalltag so anfallen.

Flusensieb im Trockner reinigen, Flüssigseife auffüllen, wissen, wann die nächste Impfung ansteht …
Im nächsten Schritt ordnet man dann zu: Wer denkt immer dran? Wer setzt es um? Wie oft? Wie lange dauert’s? Die erste Frage ist die wichtigste, denn wer initiiert, übernimmt die volle Verantwortung. All diese vielen oft unsichtbaren Aufgaben mal dokumentiert zu sehen – das kann für Paare augenöffend sein.

Gemeinsam Excel zu befüllen ist ja nicht gerade romantisch.
Ich persönlich finde es romantischer, ehrliche Transparenz über die Arbeits- und Verantwortungslast in der Familie zu schaffen, als meine völlig überlastete Partnerin oder meinen Partner weiter auf dem Zahnfleisch gehen zu lassen.

Was fängt man dann mit dieser Tabelle an?
Man macht sich an die gerechte Neuaufteilung.
 

Alles 50:50 zu teilen sorgt nicht automatisch für Zufriedenheit.

Am besten fifty-fifty, oder nicht?
Studien zeigen, dass nicht automatisch die Paare am zufriedensten sind, die alles 50:50 splitten, sondern die Partner, die ihrem Ideal von einer guten Aufteilung am nächsten kommen. Wenn also beide damit zufrieden sind, kann auch 70:30 oder 60:40 „gerecht“ sein.

Aber wie entscheidet man, wer was macht?
Mein Partner und ich setzen uns jeden Sonntag zusammen und besprechen die neue Woche: Welche Themen stehen an, welche To-dos hängen daran? Dann teilen wir das auf, aber keine Einzelaufgaben, sondern wirkliche Verantwortlichkeiten. Das heißt, wer den Essensplan macht, checkt auch die Vorräte, schreibt den Einkaufszettel ...

Aber in der Zeit, in der wir all diese To-dos auseinanderklamüsert und uns gegenseitig erklärt haben, ist das doch dreimal erledigt.
Sie meinen, ich hab jetzt keine Zeit, die Gebrauchsanweisung für die Kettensäge zu lesen, weil ich so beschäftigt mit Holzhacken bin? Das ist eine Milchmädchenrechnung. Erst mal ist es mehr Arbeit, ja, später wird es dadurch weniger.

Bei mir rattert es schon jetzt reflexhaft weiter: Ob das jetzt auch alles richtig erledigt wird? Warum fällt es mir so schwer, etwas abzugeben, was mich eigentlich belastet?
Wenn wir bestimmte Aufgaben oft und lange gemacht haben, fällt es uns oft schwer loszulassen. Wir glauben zu wissen, wie es am besten geht. Aber jeder, der eine Aufgabe übernimmt, darf ­seine eigene Lösung entwickeln. Natürlich sollte man über Mindeststandards sprechen, aber dann: laufen lassen. Der Partner interpretiert die Aufgabe „Baby ins Bett bringen“ ganz anders? Vielleicht ist das Baby davon so begeistert, dass es plötzlich viel schneller einschläft.

Dann hat man all die Monate umsonst „Lalelu“ in Endlosschleife gesungen?
Wenn plötzlich etwas fehlt, es aber niemand ­vermisst, kann das sehr schmerzhaft sein. Wir ­erledigen Dinge auch, weil wir vermeintlichen Vorstellungen anderer entsprechen wollen.

Und weil es gesellschaftlich von Frauen erwartet wird.
In Workshops erzählen mir Männer oft: Ich weiß gar nicht, warum sich meine Frau so einen Stress mit dem Aufräumen macht, für mich müsste sie das nicht. Ach nein, und wenn ihr Besuch sich erst mal eine Schneise durch Berge dreckiger Spucktücher schlagen muss? Wem wird dieses Chaos automatisch zugeschrieben? Diese Mechanismen sollten wir uns bewusst machen, damit wir uns leichter lockermachen können.



Haben Sie noch ein paar Ideen, wie das Loslassen besser klappt?
Wenn du deine Aufgaben abgegeben hast: keine Tipps rausgeben, solange du nicht aktiv danach gefragt wirst.

Klingt ein bisschen gemein.
Basiert aber auf Erkenntnissen der Hirnforschung: Aus Effizienzgründen merkt sich unser Gehirn lieber den Ort einer Information als die Information selbst. Wenn ich also permanent Informationen bereitstelle, speichert mein Partner nur ab: Ah, bei Patricia ist immer alles, was ich wissen muss!

Wie kann man diesen Teufelskreis nachhaltig durchbrechen?
Kompetenz ist weniger Talent als Wiederholung. Darum plädiere ich dafür, Aufgaben in regelmäßigen Abständen zu rotieren. Damit am Ende ­jeder von beiden genauso gut Windeln wechseln kann wie Löcher in die Wand bohren. Dabei geht es ja auch um ein gleichberechtigtes Rollenbild, das wir unseren Kindern vorleben wollen.

Kinder, besonders kleine, sind aber Gewohnheitstiere. Was, wenn das Kind doch weiter zuerst nach der Mama verlangt, wenn es was will?
Wenn beide Partner sich einig sind, dass sich das ändern soll, wird es das auch. Wenn das Kind ausnahmsweise mal signalisiert: „Papa soll aber ..!“, sofort zurücktreten, alles fallen lassen – und Papa auch machen lassen. Bewusst auch die „schönen“ To-dos wie das Kuscheln am Abend abgeben. Sich notfalls unverfügbar machen, indem man zur Bettgehzeit eine Runde um den Block geht.

Gerade in den ersten Monaten, in der Stillzeit, ist die Beziehung zum Baby aber noch sehr symbiotisch.
Selbst da kann man sich überlegen, ab und zu abzupumpen und den Vater füttern zu lassen, um etwas mehr Handlungsspielraum zu bekommen und von Anfang an nicht die alleinige Bedürfniserfüllerin zu sein.

Trotzdem, sehr effizient ist das ständige Rotieren von Familienaufgaben nicht, oder?
Die allergrößte Erkenntnis beim Thema Mental Load war für mich: Effizienz bringt uns überhaupt nicht weiter. Natürlich, wenn beide beides machen, muss man erst die Kompetenzen verdoppeln. Am Ende sind da dann aber auch wirklich zwei echte Partner im Austausch miteinander und nicht zwei Außerirdische, die sich von ihren jeweiligen Welten erzählen.

Der Optimierungszwang führt also direkt in die Mental-Load-Falle?
Wir fragen uns zu oft: Wie erledige ich dieses oder jenes noch schneller, noch besser? Statt: Warum mache ich es überhaupt? Braucht mein Zweijähriges wirklich den aufwendigsten Geburtstags­kuchen der Welt, oder möchte ich ihn, weil er maximal Instagram-tauglich ist?

Wann sollte man sich als Paar denn idealerweise mit dem Thema Mental Load auseinandersetzen?
An allen neuralgischen Punkten der Familienbiografie: Wenn zwei zusammenziehen, sich das ­ erste Kind ankündigt, Elternzeiten beginnen und enden … Aber auch sonst sollte man alle zwei, drei Monate überprüfen, ob die Aufteilung grund­sätzlich noch für beide okay ist. Das kann sich schnell ändern. Während der Corona-Krise war ich sehr froh, dass mein Partner und ich diese Gesprächs-Routine hatten.

Noch wird ja diskutiert, ob es einen generellen Geschlechter-Rollback gab oder nicht ...
Den Reflex, unbezahlte Arbeit automatisch Frauen zuzuschieben, nach dem Motto „Mutti macht das schon“, gab es auf jeden Fall. Diese Selbstverständlichkeit, mit der das noch nicht mal diskutiert wurde, hat mich schockiert. Noch ein Grund mehr, Mental Load endlich gerecht zu verteilen.

Doch keine Rückkehr an den Herd? Es scheint in der Krise gerechter zugegangen sein, als von vielen befürchtet. Laut Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) haben sich Männer in der Lockdown-Phase stärker als zuvor an der Hausarbeit beteiligt.
Ihr Anteil an der Familienarbeit stieg auf 41 Prozent. Besonders viel trugen Väter in Kurzarbeit und im Homeoffice bei. Ob das Mehrengagement auch nach Corona anhalten wird? „Alles 50:50 zu teilen sorgt nicht automatisch für Zufriedenheit.“

Unsere Gesprächspartnerin

Mental Load: Mutti macht das schon? Nein danke!
© Marcus Richter

Patricia Cammarata ist Diplom-Psychologin, Projektmanagerin und bekannte Bloggerin: Als „dasnuf“ beschäftigt sie sich mit gesellschaftlichen und politischen Familien­themen. Ebenso in ihrem aktuellen Buch „Raus aus der Mental Load Falle. Wie gerechte Arbeitsteilung in der Familie gelingt“ (224 Seiten, Beltz, 17,95 Euro). Mit ihren Kindern und ihrem Partner lebt sie in Berlin. Stöbern in der Buchhandlung: ein Vergnügen, das nur funktioniert, wenn der Partner öfter übernimmt.

Wo stehen wir?

Im „Mental Load-Selbsttest für Eltern“ kann man ankreuzen, wer was macht und wie oft, dafür gibt’s Punkte. Maximal 200 – wer die erreicht, hat nicht gewonnen, sondern sollte schleunigst ein paar Zuständigkeiten abgeben.

Mental Load? Rolle vorwärts!

Mental Load: Mutti macht das schon? Nein danke!
© ELTERN

„Das Schulkind darf auch trotz der Lockerungen lediglich jeden zweiten Tag zur Schule? Natürlich kümmert sich die Mutter darum, wer sonst. Sie erledigt ihren Erwerbsjob einfach am Familienesstisch, während sie gleichzeitig Division mit Rest erklärt. (...) Kein Problem für die Superheldin. Schnell neben der Arbeit noch ein Bilderbuch anschauen, dann mal kurz eine möglichst gesunde Mahlzeit zaubern für die hungrigen Kinder und den Mann, Homeschooling-­Aufgaben kontrollieren, Wutausbrüche hierzu tolerieren, total bedürfnisorientiert stumm vor eigener Wut vibrieren und noch vieles, vieles mehr …“

Dies ist ein Ausschnitt aus dem Blog von Mutter Rabenherz. Wie sie und andere Familien-Blogger*innen (Sonjaschreibt, Große Köpfe, BloggerMomof3Boys, bizzidad) ganz persönlich mit Homeoffice, Homeschooling, Homework zurechtkommen und was sie über Mental Load und Rolle rückwärts denken, könnt ihr bei uns auf eltern.de lesen unter www.eltern.de/familie-urlaub/familienleben/rolle-rueckwaerts-ohne-uns-blogs.

Mental Load: Mutti macht das schon? Nein danke!

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