Vor knapp drei Jahren wurden Peter Maffay und Hendrikje Balsmeyer Eltern der kleinen Anouk. Bisher bekam die Öffentlichkeit davon wenig mit, doch seit ein paar Tagen findet sich Anouks Name plötzlich auf den Bestseller-Listen des Landes. Peter Maffay und Hendrikje Balsmeyer haben ihrer Tochter das Kinderbuch "Anouk, die nachts auf Reisen geht" geschrieben und das findet offensichtlich nicht nur ihr eigener Nachwuchs richtig gut.
Hendrikje und Peter, ihr habt ein Einschlaf-Buch für und über eure Tochter geschrieben. Ist das Einschlafen denn ein Thema bei euch zuhause?
Hendrikje Balsmeyer: Ich glaube, dass wirklich alle Kinder und Eltern diese Thematik mit dem Schlafen kennen. Dass das Kind nicht einschläft, abends weint, Ängste hat oder nicht allein sein möchte. Selbst Schulkinder kommen nachts teilweise noch zu ihren Eltern ins Bett. Das kennt wirklich jeder, der Kinder hat. Bei uns war es so, dass in der Corona-Zeit Anouks Schlafrhythmus komplett durcheinander kam. So entstand dann nach und nach diese Geschichte von Anouk, die nachts große Abenteuer erlebt und so den Schlaf und die Nacht liebgewinnt.
Habt Ihr ein Einschlafritual zuhause? Lest ihr vor?
Peter Maffay: Für Anouk ist es abends wichtig, unsere Stimmen zu hören und zu wissen, dass wir in ihrer Nähe sind. Ich glaube, darum geht es ihr vor allem. Wahrscheinlich könnten wir ihr auch das Telefonbuch vorlesen und es wäre ok für sie. Wir verbringen also abends Zeit zusammen und irgendwann entscheidet sie dann: "Ok, jetzt hab ich genug von euch, jetzt kann ich einschlafen!".
Erinnert ihr euch, was euch als Kinder abends in den Schlaf geholfen hat?
Peter Maffay: (lacht) Also ganz ehrlich, das ist wirklich lange her und ich würde schummeln, wenn ich sagen würde, dass ich noch ganz genau weiß, wie das war. Ich erinnere mich nur an ganz wenige Dinge. Wir lebten zu dritt in einem Einraumappartement in Rumänien, in ganz ärmlichen Verhältnissen. Ich hatte ein Bett mit Gitterstäben, durch die ich die flackernden Flammen des Gasofens sehen konnte. Das Feuer hatte eine enorm beruhigende Wirkung auf mich.
Hendrikje Balsmeyer: Ja, Licht brauchte ich auch. Es musste nicht wirklich hell sein, aber Konturen wollte ich erkennen können. Außerdem habe ich, bis ich sieben war, am Daumen genuckelt. Woran ich mich aber besonders gut und gerne erinnere: Abends hat mir meine Oma oft frei erfundene Geschichten erzählt. Meine liebste Geschichte war die von einer Eichhörnchen-Familie. Meine Oma sagt, dass ich eine furchtbar anstrengende Zuhörerin war, weil ich alles bis ins kleinste Detail wissen wollte: Ob die Eichhörnchen Parkett oder Teppich haben, ob sie eine Heizung besitzen… all sowas. Und wehe, am nächsten Tag war ein Detail anders. Dann war ich richtig enttäuscht. Letztens hat sie die Geschichte auch Anouk erzählt und unsere Tochter hat die Geschichte genauso geliebt wie ich früher.
Warum sind Geschichten für Kinder so eindrucksvoll und so wichtig?
Hendrikje Balsmeyer: Geschichten sprechen die kindliche Vorstellungskraft an und vermitteln Werte. Das Schöne an Kindern ist ja, dass sie in Gedanken alles sein können und das mit vollkommener Überzeugung. Anouk erzählt uns oft, dass sie eine gelbe Katze ist oder eine Piratin. Kinder haben auch ein gutes Gespür dafür, was ethisch richtig ist und lieben Geschichten, in denen das Gute eine Rolle spielt. Für Anouk ist Helfen aktuell ein riesiges Thema. Das hat sie als Wert schon verstanden.
Peter Maffay: Deshalb liebt sie auch diese Serie Paw Patrol. Die darf sie abends manchmal schauen. Kann man ja ehrlich sagen. Sowas gibt’s bei uns auch.
Hendrikje Balsmeyer: Ja, ich glaube, die Kombination aus Bild und Worten spricht Kinder ganz besonders an. Deshalb sind wir auch total froh über die wunderschönen Illustrationen, mit denen Joëlle Tourlonias Anouks Abenteuer zum Leben erweckt hat.
Peter Maffay: Die sind wirklich unglaublich, mit so vielen kleinen Details. So zu zeichnen, mit so viel Liebe, das ist schon sehr besonders.
In eurem Buch freut sich Anouk auf ihre nächtlichen Abenteuer. Sie trifft besondere Personen und macht gute Erfahrungen. Manche Kinder haben ja aber auch Angst vor ihren Träumen…
Hendrikje Balsmeyer: Ja, mit bestimmten Themen und dem Wissen darüber kommt natürlich auch die Angst. Ich glaube, ängstliche Kinder haben alle eigentlich auch eine große Stärke: Sie haben viel Phantasie und Vorstellungskraft. Sich vorzustellen, was Schlechtes passieren kann, erfordert ja eine gewisse Auseinandersetzung mit Themen.
Peter Maffay: Grundsätzlich ist Angst ja aber auch etwas Gutes. Angst ist nichts anderes als ein Korrektiv, das uns vor Fehlern bewahrt. Ich sag mal so: Ein Bergsteiger, der etwas Angst und Respekt vor den Gefahren hat, die das Bergsteigen birgt, wird sicherer ankommen, weil er sich mit den Risiken befasst. Angst ist also etwas sehr Wichtiges.
Ihr habt erzählt, dass ihr mit dem Buch auch Werte vermitteln möchtet. Welche haltet ihr für die wichtigsten, die Erwachsene Kindern mitgeben sollten?
Hendrikje Balsmeyer: Als Lehrerin habe ich jeden Tag erlebt, dass Kinder vielem ausgesetzt sind. Ich war Vertrauenslehrerin und hatte in den Pausen oft mehrere Schüler vor mir sitzen, die aus den unterschiedlichsten Gründen Hilfe suchten. Da war von schlechten Noten über Gewichtsprobleme oder Mobbing bis hin zu schwerem Missbrauch alles dabei. Ich glaube, wir haben alle eine riesige soziale Verantwortung im Leben.
Peter Maffay: Letzten Endes geht es immer um Empathie und Respekt. Wir haben in der letzten Zeit gesehen, wie ganze Gesellschaften erodieren, wenn wir nicht verstehen, wie gewaltig unsere Worte und Handlungen sind. Ich denke, wir leben in einer Zeit, in der wir von einer Verletzung zur nächsten stolpern, oft auch nur aus Unachtsamkeit. Es ist deshalb leider notwendig, dass wir Kinder erziehen, die die Fehler korrigieren, die wir Erwachsenen verbockt haben.
Hendrikje Balsmeyer: Ich merke auch, dass Wertevermittlung gar keine Einbahnstraße ist. Anouk bringt uns zum Beispiel Dinge wieder bei, die wir verlernt hatten. Sie schätzt so sehr die kleinen Dinge, freut sich über ein Blatt oder will Ameisendoktor werden, weil sie auch den kleinsten Lebewesen Respekt entgegenbringt.
Habt ihr Angst, dass sie das wieder verlernen könnte?
Peter Maffay: Angst ist vielleicht das falsche Wort. Jedes Alter bietet ja irgendwie positive Ansätze. Es wäre auch unnatürlich, wenn sie in zehn Jahren noch dieselbe Person wäre wie heute. Wir sehen das auch an meinem Sohn Yaris, der schon 18 ist. Er kommt mit ganz anderen Themen und Dingen daher, die sind aber nicht weniger spannend.
Hendrikje Balsmeyer: Das stimmt. Wobei, diese unbändige Freude an den kleinen Dingen, das versuchen wir ihr schon zu wahren.
Peter Maffay: Ja, aber seien wir ehrlich: Wir sind in dieser Hinsicht nicht frei von Fehlern. Wenn Anouk ein Spielzeug unbedingt haben will, lassen wir uns schon manchmal überreden, auch wenn gerade nicht Weihnachten oder Geburtstag ist. Und sie bekommt auch öfter mal von Freunden oder von der Familie kleine Geschenke zwischendurch, die natürlich gut gemeint sind aber meiner Meinung nach nicht das richtige Signal setzen. In meinen Augen bekommen Kinder heutzutage eh viel zu viel. Die Gefahr, dass sie irgendwann nicht mehr einschätzen können, was wirklich wertvoll ist, ist so sehr groß. Wir versuchen, das einzudämmen, aber es ist schwer.
Hendrikje Balsmeyer: Ich bin auch mit wenig eigenem Besitz aufgewachsen. Sicher nicht ganz so wie Peter, aber Geschenke waren auf jeden Fall so selten, dass sie richtig besonders waren. Ich hatte ein einziges Kuscheltier, Anouk hat eine ganze Armee. Ich versuche manchmal, heimlich auszusortieren, aber das bemerkt sie immer sofort.
Peter Maffay: Trotzdem kommt bestimmt der Zeitpunkt, an dem sie versteht, was in unserer Stiftung passiert. Sie wird mitbekommen, dass viele Kinder mit Defiziten und Mangel aufwachsen, dass sie Zuwendung brauchen und dass es besser ist, wenn man nicht alles nur für sich braucht. Das hat Yaris auch sehr früh verstanden und sich erhalten, worüber ich sehr froh bin.
Was würdet ihr rückblickend sagen, was das Wichtigste für Euch in der Kindheit war?
Hendrikje Balsmeyer: Mein Vater hat sich sehr viel Zeit für mich genommen. Manchmal überkommt mich ein richtig schlechtes Gewissen, wenn ich ihn mit Anouk sehe, weil ich nicht immer diese Ausdauer habe.
Peter Maffay: Dein Vater ist ein Kinderflüsterer. Er ist für jeden Spaß zu haben und so geduldig. Alles, was er mit Kindern tut, fühlt sich so freiwillig an. Wenn er da ist, bin ich komplett abgeschrieben.
Hendrikje Balsmeyer: Peter und ich leben ein Leben auf der Überholspur. Wir haben so viele Projekte und man ertappt sich manchmal dabei, wie froh man ist, wenn das Kind sich alleine beschäftigt. Das beschämt mich immer etwas.
Peter Maffay: Ja, total. Überholspur ist noch wohlwollend ausgedrückt. Wobei ich denke, das ist auch irgendwie der normale familiäre Gang. Großeltern bieten diesen Ruhepol, während die Eltern mit den täglichen Dingen fighten. Ich glaube, so war das schon in den Steinzeit-Sippen. Während Mama und Papa zur Jagd und zum Sammeln loszogen, blieben die Kinder bei den Großeltern und bekamen diese Ruhe und Gelassenheit, die sie brauchen. Großeltern haben nunmal mehr Zeit und ich glaube, das ist auch ok so.