Artikelinhalt
Narzissmus ist in aller Munde: Die Persönlichkeitsstörung wird mit einem ungesunden Wunsch nach Bewunderung und einem Mangel an Empathie verbunden. Oberflächlich betrachtet, lassen sich andere Menschen (mitunter auch man selbst) schnell als Narzisst:in betiteln, dabei handelt es sich aber um eine Diagnose, die man medizinischem Personal überlassen sollte.
Fakt ist: Niemand möchte Narzisst:in sein – noch weniger möchte man das eigene Kind zu einem:einer solchen erziehen. Doch: Was bedeutet Narzissmus überhaupt? Wie zeigt er sich? Und wie groß ist die Kontrolle, die Eltern in puncto Erziehung über die Entwicklung einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung überhaupt haben? Neurowissenschaftler Cody Isabel gibt drei wichtige Tipps, die Eltern beherzigen können.
Narzissmus: Mehr als Selbstliebe
Im Grunde haben wir alle narzisstische Anteile in uns – und das ist absolut in Ordnung und sogar sehr wichtig für unser Selbstbewusstsein. Ein gesundes Maß an Selbstbezogenheit sorgt dafür, dass wir unsere eigenen Wünsche und Ziele in den Fokus setzen und uns nicht von anderen Menschen davon abbringen lassen. "Psychologie Heute" beschreibt Eigenschaften wie Durchsetzungsfähigkeit, Erfolgsorientierung, aber auch extreme Kränkbarkeit erst einmal als vollkommen unproblematischen "Persönlichkeitsstil".
Anders sieht es allerdings aus, wenn dieser Stil ein Ausmaß annimmt, das als "normverletzend und sozial unflexibel" vom Magazin beschrieben wird. In so einem Fall spricht man von einer Persönlichkeitsstörung, einer klinischen Diagnose. Doch die kann erst (von medizinischem Personal) gestellt werden, wenn Kriterien erfüllt sind, wie sie Peter Fiedler und Sabine Herpertz in ihrem Buch "Persönlichkeitsstörungen" aufzählen, wie zum Beispiel, dass die Person selbst darunter leidet oder sie "mit Ethik und Recht" in Konflikte gerät.
Wie wird jemand narzisstisch?
Kann Narzissmus anerzogen sein? Hierzu gibt die Forschung einen klaren Hinweis: eher nicht. Wie "Deutschlandfunk Kultur" schreibt, gehe Wissenschaftler Professor Claas-Hinrich Lammers davon aus, dass Persönlichkeitsstörungen zu 70 Prozent genetisch bedingt seien. "Dennoch", betont der Forscher, "ist es so bei den meisten Patienten, die kommen – die leiden ja. Und bei denen kriegt man schon Kindheitsgeschichten raus, wo man den Eindruck bekommt, die Eltern haben sie vernachlässigt und häufig bestraft und nicht ausreichend beachtet."
Ein grandioser Narzissmus (also ein dominantes, mitunter arrogantes Verhalten) kann grundsätzlich schwer erforscht werden – denn den Menschen, die unter dieser Persönlichkeitsstörung "leiden", geht es oftmals gut. Schließlich sind sie tendenziell erfolgreich im Leben. "Ich würde sogar behaupten, dass die durchschnittliche grandios-narzisstische Person wahrscheinlich nicht in Therapie geht", sagt Joshua Miller, Professor für Psychologie an der University of Georgia im Interview mit "Deutschlandfunk Kultur".
Denn entweder laufe für diese Menschen alles wunderbar – oder sie würden die Schuld nicht bei sich suchen, wenn sich Misserfolge häufen. "In der Regel kommen die mit Krisen", sagt Claas-Hinrich Lammers. "Die kommen nicht zu einem und sagen: 'Ich bin ein Narzisst und ich brauche irgendeine Hilfe', sondern sie kommen, weil sich die Frau mal wieder getrennt hat oder weil sie beruflich wieder mal gescheitert sind."
Was können Eltern tun, damit ihr Kind kein Narzisst wird?
Wenn davon ausgegangen wird, dass eine Persönlichkeitsstörung rund 70 Prozent genetisch bedingt ist, was können Eltern dann tun? Tatsächlich spielen wahrscheinlich auch die Kindheitserfahrungen und die Erziehung eine Rolle bei der Entwicklung dieser Störung, schreibt "Psychologie Heute". Es gebe zwar kein gesichertes Wissen, aber verschiedene Theorien, unter anderem die, dass stetiges Loben, ohne dabei die eigentlichen Leistungen des eigenen oder der anderen Kinder zu betrachten, die Entwicklung von narzisstischen Tendenzen begünstigt. Wir haben drei Tipps für dich, die verhindern sollen, dass dein Kind zum Narzissten wird.
1. Reflektiere deine eigenen negativen Verhaltensweisen
Dein Kind lernt, indem es dich beobachtet und nachahmt – und dabei auch solche Verhaltensweisen wiederholt, die du vielleicht selbst eher als negativ einordnen würdest. Neurowissenschaftler Cody Isabel nennt hierfür ein Beispiel: "Nehmen wir an, ein Kellner bringt Ihre Bestellung durcheinander. Anstatt diese Situation mit Fassung zu tragen, demütigen Sie den Kellner und schreien ihn an. Ihr Kind sieht zu und findet Ihre Reaktion in Ordnung."
Es sei wichtig, so der Wissenschaftler, dass man Kindern emotionale Intelligenz vorlebe und vor allem Empathie. Hierbei sei es ein guter Anfang, deinem Kind dabei zu helfen, die eigenen Emotionen zu erkennen und zu beschreiben, indem du es zum Beispiel fragst: "Fühlst du dich verletzt oder enttäuscht von dem, was dein Freund getan hat?" So fällt es deinem Nachwuchs mit der Zeit immer leichter, die eigenen Gefühle auszudrücken und auch darauf zu achten wie andere Menschen sich fühlen.
2. Spiegel die Emotionen deines Kindes und gib ihm das Gefühl, dass diese ihren Platz haben dürfen
"Studien haben ergeben, dass Scham, Unsicherheit und Angst die Ursache für das innere Selbst des Narzissten sind", erklärt Isabel. Deswegen sei es wichtig, die Gefühle von deinem:deiner Kleinen nicht zu beschämen, abzulenken oder gar zu ignorieren. Denn so würde ein Kind lernen, dass seine Gefühle falsch seien. "Infolgedessen wird es dem Kind schwer fallen, das eigene Verhalten zu regulieren, was zu einer Reihe von Problemen führen kann", erklärt der Neurowissenschaftler.
Beim Spiegeln der Emotionen hilfst du deinem Kind dabei, die eigenen Gefühle zu benennen und indem du die Gefühle bestätigst, zeigst du ihm, dass es in Ordnung ist, das Gefühl in diesem Moment zu empfinden. "Ich kann verstehen, dass du wütend bist", ist ein guter, möglicher Weg, auf ein Kind zu reagieren, dass dir gerade von einem furchtbar anstrengenden Schultag erzählt hat.
3. Benenne etwaige narzisstische Tendenzen als solche
Wenn dein Kind einen Wutanfall hat, weil es nicht den eigenen Willen durchsetzen kann, rät der Wissenschaftler dazu, solche Situationen nicht einfach hinzunehmen. Hierbei solle es allerdings auch nicht darum gehen, das Kind zu beschämen, sondern auf den Nachwuchs zuzugehen und ihn aus dieser Situation herauszuholen.
"Was ist passiert? Wie fühlst du dich? Was glaubst du, wie sich andere Menschen durch deine Reaktionen fühlen?" Damit hilfst du deinem Kind, das eigene Einfühlungsvermögen, das soziale Bewusstsein und die Fähigkeiten der Emotionsregulierung zu trainieren.
"Narzissmus" ist ein sehr beliebtes Wort und wird gerne anderen Menschen unterstellt. Dabei handelt es sich um eine komplexe Persönlichkeitsstörung, die nur von medizinischem Personal diagnostiziert werden sollte. Möglicherweise ist eine Persönlichkeitsstörung wie Narzissmus stark genetisch bedingt, möglicherweise können Eltern aber auch einiges tun, um ihr Kind zu einem glücklichen sozialen Menschen zu erziehen – ziemlich sicher sogar. Die Tipps von Neurowissenschaftler Isabel sind als Hinweis zu verstehen. Solltest du wirklich Bedenken haben, dass dein Kind narzisstische Tendenzen aufweist, ist es in jedem Fall ratsam, mit Therapeut:innen oder Beratungsstellen zu sprechen. Isabel macht deutlich, dass nichts in Stein gemeißelt ist:
Verwendete Quellen: cnbc.com, psychologie-heute.de, deutschlandfunkkultur.de, focus.de, spektrum.de