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Offene Gesellschaft Jetzt mal ehrlich!

Offene Gesellschaft: Eine Frau steht neben einem aufgemalten Megaphone und tut so, als ob sie ruft
© olly / Adobe Stock
Vieles, das früher tabu war – von Menstruation bis Depression, von Sexualität bis zu neuen Familienformen – wird heute in Talkshows und auf Twitter verhandelt. Aber leben wir wirklich in einer offenen Gesellschaft oder gibt es neue Tabus?

Wie viel Herz auf der Zunge tut uns gut, und wie halten es Familien ganz privat?

Als ich klein war, habe ich meine Mutter manchmal ganz schön in Verlegenheit gebracht. Auf der Parkbank oder im Zug, ständig erzählte ich Fremden ungefragt meine Lebensgeschichte: dass ich nicht mit Papa und Mama zusammenwohnte, sondern mit Mama und Oma, weil Papa mit einer anderen Frau … Immer wieder erklärte meine Mutter mir, das ginge nicht jeden etwas an, schon gar nicht zufällige Sitznachbarn, aber das wollte nicht in meinen fünfjährigen Kopf. Was war schon dabei, dass bei uns etwas anders war?

Heute, so zumindest der erste Eindruck, sind wir weiter: Patchwork- und Ein-Eltern-Familien sind längst kein Stigma mehr, und auch sonst leuchten wir dunkle Ecken hell aus. Diskutieren über Menstruations-Urlaubstage, podcasten zu polyamoren Familien-WGs und lesen Bücher von Menschen, die sich nicht ihrem biologischen Geschlecht zugehörig fühlen. Es scheint, als gäbe es keine Tabus mehr. Aber stimmt das wirklich – und: Tut es immer gut?

Was hat es auf sich mit der neuen Offenheit?

Dass wir ehrlicher miteinander ins Gespräch kommen, finden viele positiv. Nach einer aktuellen Umfrage des Meinungsinstituts Ipsos unter 1000 deutschsprachigen Personen zwischen 16 und 75 Jahren im Auftrag der "Brigitte" sagen 72 Prozent: Ja, wir sollten noch mehr über persönliche und intime Themen sprechen, und 65 Prozent geben an, dass ihnen ein solcher Austausch guttut. Eine große Mehrheit von 87 Prozent hat den Eindruck, heute werde tatsächlich mehr über vermeintlich Heikles gesprochen – etwa über Krankheiten und psychische Probleme, Sexualität und Geld.

Vor etwa zehn Jahren begann die Trendwende mit mutigen Einzelnen wie Comedien Gaby Köster oder Fußballtrainer Ralf Rangnick, die damals öffentlich über Schlaganfall und Burnout auspackten. Die Autorin Carla Moretti schrieb erfolgreich über erfolglose Kinderwunschbehandlung, die Unternehmerin Anne Koark über den sozialen Abstieg nach einer Firmenpleite, die israelische Soziologin Orna Donath über "regretting motherhood". Heute posten zahllose Menschen auf zahllosen Kanälen über Essstörungen und Körperformen, Outings und Beziehungsexperimente.

Also alles bunt und gut? Jein. Denn schaut man genauer hin, zeigt sich Sprachlosigkeit im Persönlichen. Rund ein Viertel aller Befragten erklärten zum Beispiel, dass sie mit niemandem über ihr Sexleben reden, nur die Hälfte tut es mit dem eigenen Partner oder der eigenen Partnerin. Jede und jeder Fünfte macht ein Geheimnis aus Gehaltsfragen. Auch Themen rund ums Elternsein sind oft noch immer schambehaftet: Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov in Großbritannien von 2020 empfinden es zum Beispiel 90 Prozent aller Frauen als heikel, das Thema Fehlgeburten anzusprechen, zwei Drittel möchten weder über Stillen noch über Verhütung reden.

Ersetzen neue Tabus die alten?

"Was wir für echte Offenheit halten, ist in Wirklichkeit nur demonstrative Offenheit", so analysiert der Psychologe, Autor, Markt- und Gesellschaftsforscher Stephan Grünewald vom Kölner Rheingold-Institut, "wir sind lang nicht so tabulos, wie wir glauben." Tun vordergründig lässig, sind aber schnell mit harten Urteilen bei der Hand. Nicht nur in politischen Diskussionen, auch bei Lebensstilfragen, etwa beim Thema Essen. "Die meisten tun es, aber kaum jemand gibt zu, dass er auch mal fettige Pommes, Wurstwaren oder Süßigkeiten zu sich nimmt", erzählt Grünewald. Genauso, wie es Eltern peinlich ist, wenn ihre Kinder kein Obst mögen, und lieber täglich Apfelschnitze in die Brotbox packen und abends wegwerfen, damit die Erzieherinnen keinen schlechten Eindruck bekommen. Oder im Freundeskreis verschweigen, dass sie die Kleinen am Sonntagmorgen auch mal vor TV oder Spielkonsole parken.

Auch anderes, das dem modernen, woken Familienideal widerspricht, wird lieber schamhaft verschwiegen. Eine Mutter, die drei Jahre aus dem Job aussteigt, um nur für ihr Kind da zu sein? Nicht zu laut sagen, sonst gilt sie als antifeministische Latte-Macchiato-Mutti, die voll in die Kümmerfalle tappt. Sogar für getrennte Elternpaare gibt es neue Benimmregeln, wenn auch unausgesprochen: Okay, wir lieben uns nicht mehr, posten aber herzige Fotos von gemeinsamen Familienfesten und Flohmarktbesuchen auf Instagram, denn Mama und Papa bleiben wir für immer. Offen zugeben, wie viel verletzte Gefühle dabei sind? Darüber spricht man eher nicht.

Sind wir an der falschen Stelle offen?

Katharina Grünewald ist die Frau von Stephan Grünewald, ebenfalls Autorin, Psychologin und Familientherapeutin mit Schwerpunkt Patchwork – eine Situation, die das Paar auch selbst kennt. Sie sagt: "Wenn wir heute als Gesellschaft offener miteinander sprechen, liegt das auch daran, dass wir neue Begriffe haben, etwa für sexuelle und geschlechtliche Identitäten, aber auch für Familienformen." Co-Parenting, Rainbow-Familys, diese Worte machen es leichter, sich zu erklären. Manchmal fast zu leicht, sagt Katharina Grünewald: "Wir verstecken uns hinter bequemen Labels, statt uns wirklich mit Ängsten und Ambivalenzen auseinanderzusetzen. Ein Wort wie Patchwork klingt lässig, freundlich, bunt. Aber in meiner Praxis sitzen trotzdem Mütter und Väter, die sich schuldig fühlen und fürchten, als Eltern versagt zu haben. Und es niemandem sonst anvertrauen."

Sie findet: In der Familie, in der Partnerschaft haben wir Nachholbedarf. Aber wir können einen "Herzensraum" schaffen, so nennt es Grünewald. Einen Raum, in dem wir Anlässe schaffen, um hinzuhören – bei einer regelmäßigen Familienkonferenz oder auf einem Paarspaziergang: Ganz ehrlich, wie fühlt sich das für dich an, wenn die Zwölfjährige sich plötzlich als "non-binär" outet? Wenn der Neunjährige doch keine Empfehlung fürs Gymnasium bekommt? Wenn deine Ex wieder schwanger ist? Auch wenn die Antwort so ist, dass man auf Twitter einen Shitstorm dafür kassieren würde: Im "Herzensraum" könnte es Platz und Erlaubnis geben für ungeordnete, widersprüchliche Gefühle.

Und, apropos Twitter: Social-Media-Kanäle eignen sich zwar gut als Ventil, aber schlecht, um etwas loszuwerden, das eigentlich jemand anderem gilt und nicht anonymen Mitlesern. Etwa wenn Paare in der Krise Instagram nutzen, um sich von den jeweiligen Followern anfeuern zu lassen, als wär’s eine Mini-Version der öffentlichen Schlammschlacht zwischen Amber Heard und Johnny Depp. Oder wenn man in einer Krise – der Kinderarzt stellt eine beängstigende Diagnose, der Großvater wird pflegebedürftig – nur Trost in aufbauenden Kommentaren sucht, von Menschen, die man im Zweifelsfall nur virtuell kennt. Statt sich dort Hilfe zu holen, wo’s konkret wird. Bei der Nachbarin, die auf die Geschwister aufpasst, wenn Mutter und Vater mit dem kranken Kind im OP sind. Bei einem Freund, der mitkommt bei der Pflegeheimbesichtigung.

Wie finde ich mein richtiges Maß?

"Heute vermischen sich Privates und Öffentliches zunehmend, das ist aber nicht nur positiv", sagt Stephan Grünewald, "denn dadurch geht auch die Familie als Schutzraum verloren." Doch um vorbehaltlos offen sein zu können, braucht es Rückzugsräume, von denen wir wissen, dass nichts nach außen dringt. So wie früher der katholische Beichtstuhl und heute eher die Therapiepraxis. Wir sind aber auch im Alltag angewiesen auf nahe Beziehungen, in denen wir uns verletzlich machen dürfen, ohne Angst, abgewertet zu werden. Und wir brauchen dafür klare Grenzen und Regeln: Darf ich meiner Kollegin erzählen, dass meine Teenagertochter den ersten Sex hatte, ohne dass sie sich verraten fühlt? Wie privat wollen wir uns im Familienblog zeigen? Fragen, auf die es keine allgemeingültigen Antworten gibt und die man immer wieder respektvoll aushandeln muss. Denn jeder hat andere, persönliche Grenzen. Gegenüber Partnern, Kindern, Bekannten, der Netzöffentlichkeit.

Und: Es kann auch mal eine Lösung sein, Dinge allein mit sich auszumachen. Nicht, indem wir sie in uns hineinfressen, sondern im Sinne von Selbstreflexion. Der beste Ausgangspunkt, um uns wiederum anderen zu öffnen. Psychologinnen wie Katharina Grünewald empfehlen, inneren Stimmen Raum zu geben: Was denkt unser Kind-Ich-Anteil, unser verinnerlichtes Eltern-Ich, unser Erwachsenen-Ich? Manchmal bringt schon dieser offene, innere Dialog Klarheit. Ganz ohne dass jemand mithört.

Belustigt

Schatz, lass uns reden – nach diesem Motto gestalten der Berliner Publizist Hajo Schumacher und seine Frau Suse Schumacher, Psychologin und Coachin, ihren regelmäßigen "Mutmacher-Podcast" (morgenpost.de/podcast/wir-arbeit-liebe-leben). Ob Sex und Körperflüssigkeiten, aktuelle Politik oder Familie – vom tabulosen Talk der beiden kann man sich als Paar eine Scheibe abschneiden.

Belastet

Affären, Schulden, psychische Krankheiten: Wir tragen oft schwer an dem, was wir verheimlichen. Wie schwer, dazu gibt es ein interessantes Experiment des amerikanischen Psychologen Michael Slepian von der Columbia University, New York: Er und seine Kollegen ließen Probanden das Gefälle eines Hügels einschätzen, nachdem sie aufgefordert wurden, sich an ein wichtiges persönliches Geheimnis zu erinnern. Der Zusammenhang war erstaunlich: Je gewichtiger das Verschwiegene eingeschätzt wurde und je höher der Leidensdruck, desto steiler schätzten sie den Hügel ein.

"Geheimnisse ziehen einen Graben zwischen Eltern und Kindern"

Anna von Senger ist psychologische Einzel-, Paar- und Familienberaterin in Zürich. Sie sagt: Auch heute noch gibt es Themen mit Sprengkraft – aber es gibt Wege, sie zu entschärfen

Eltern family: "Darüber spricht man nicht" – dieser Satz hat viele heutige Eltern noch durch ihre Kindheit begleitet. Aber gibt es überhaupt noch so etwas wie belastende Familiengeheimnisse, wenn gesellschaftliche Tabus schwinden?

Anna von Senger: Noch immer herrscht oft große Sprachlosigkeit, wenn es ans Eingemachte geht, an Leben und Tod, Traumata. Etwa die biologische Herkunft, wenn ein Kind einen anderen Vater hat als auf dem Papier. Aber auch Missbrauch, Suizide, Suchterkrankungen oder Abtreibungen sind noch immer vielfach sehr schambehaftet. Bei anderen Themen sind Tabus individueller.

Zum Beispiel?

Denken Sie an frühere Liebesbeziehungen der Eltern, vor allem der Mutter, oder Homosexualität: Ob und wie darüber geredet wird, ist in religiösen Familien anders als in liberalen, auf dem Land anders als in der Stadt, hat mit Herkunftskultur genauso zu tun wie mit individueller Familienkultur.

Wenn Eltern etwas Gewichtiges vor den Kindern verheimlichen: Was passiert dann, psychologisch gesehen?

Ein Geheimnis schafft einen Graben zwischen beiden Seiten. Kinder haben ein besonders feines Gespür: Da stimmt etwas nicht, da gibt es Lügen oder Halbwahrheiten … Bekommen sie keine befriedigende Antwort, kann das dazu führen, dass sie dauerhaft im Stress sind, sich allein gelassen fühlen, zurückziehen, ihren Eltern nicht mehr wirklich vertrauen. Aber auch der Geheimnisträger leidet: Er oder sie hat Schuldgefühle und verhält sich unauthentisch.

Und Kinder beziehen die angespannte Stimmung möglicherweise auf sich selbst: Habe ich was falsch gemacht, bin ich schuld daran? Oder malen sich Dinge aus, die schlimmer sind als die Wirklichkeit. Aber wie Sie schon sagen: Es gibt auch Tragödien, da ist es wirklich schwierig, sie kindgerecht zu vermitteln, ohne das Kind über Gebühr zu belasten. Nehmen wir an, jemand in der Familie hat Suizid begangen: Wie erkläre ich das einem Dreijährigen?

Bringen Sie es auf den einfachsten Nenner: Lassen Sie die schlimmen Details weg, seien Sie kindgerecht, aber bleiben Sie in der Sache korrekt. Wenn ein Dreijähriger verstehen kann, wie ein Baby entsteht, wie Leben beginnt, hat er auch einen Begriff vom Tod. Man könnte zum Beispiel sagen: Der Onkel war so traurig, dass er es auf der Welt nicht mehr ausgehalten hat und selbst in den Himmel gefahren ist. Je länger ich als Erwachsener etwas verschweige, desto schwerer wird später die Wahrheit.

Und irgendwann ist es zu spät dafür?

Grundsätzlich nicht. Wenn ich von einem Ereignis traumatisiert bin, sollte ich mir auch therapeutische Hilfe holen, damit ich selbst besser damit umgehen kann, ehe ich mich öffne. Man muss aber auch respektieren, wenn jemand diesen Schritt nicht schafft – aber er oder sie sollte sich immer fragen, was für eine Wirkung das Verschweigen auf die eigenen Nachkommen hat.

Möglicherweise lernen diese, wenn auch unbewusst: Wir können nur gut miteinander leben, wenn wir bestimmte Themen nicht anrühren?

Ja, und diese Schonhaltung übernehmen Kinder manchmal. Etwa, das sie ihren Eltern nicht sagen, wenn sie leiden, zum Beispiel in der Klasse gemobbt werden, um sie nicht zu beunruhigen. Das tut niemandem gut. Das heißt aber umgekehrt nicht, dass in einer Familie alle alles voneinander wissen müssen: Es ist ein Zeichen von Respekt, wenn Eltern wie Kinder gegenseitig ihre Intimsphäre wahren, zum Beispiel nicht heimlich in einem Tagebuch lesen. Und einander dennoch gleichzeitig vermitteln: Ich bin für dich da.

Wie viel Offenheit tut gut?

Wann es sich lohnt, Erlebnisse und Gefühle mit anderen zu teilen und welche Geheimnisse besser im stillen Kämmerlein bleiben – zwei Kinder, eine Mutter und ein Vater erzählen

"Im Netz werde ich nicht alles preisgeben"

"Bald werde ich zwölf, und dann darf ich Instagram ausprobieren. Ein bisschen kenne ich es, weil mir Freundinnen an der Bushaltestelle manchmal Videos zeigen. Ich bin neugierig, weil ich endlich selbst wissen will, wie das funktioniert mit Social Media. Aber meinen vollen Namen will ich nicht preisgeben. Oft genug haben wir gehört, dass es im Internet auch Gefahren gibt und man vorsichtig sein soll. Da bin ich froh, dass meine Freundinnen und ich andere, wichtigere Hobbys haben. Wenn wir uns verabreden, sprechen wir am liebsten über unsere Kaninchen und spielen mit ihnen."

Laura, 11 Jahre

"Mit Geheimnissen muss man wirklich aufpassen"

"Bei uns in der Klasse ist mal ein Geheimnis rausgekommen. Lilli hatte Finja erzählt, in wen sie verliebt ist. Eine Zeit lang hat Finja es für sich behalten, aber irgendwann ist es rausgekommen. Jetzt wissen alle, dass Lilli in Mattis verknallt ist. Da war Lilli echt sauer. Jemandem ein Geheimnis zu erzählen heißt ja, einem anderen wirklich zu vertrauen. Finja hat viel mit Lilli gespielt, damit sie wieder gute Freundinnen werden. Mattis selbst hat sich nichts anmerken lassen. Mit dem Verliebtsein ist es irgendwie komisch. Wenn alle ein Geheimnis daraus machen, wie soll man dann überhaupt erfahren, dass jemand anderes einen toll findet? Denn eigentlich ist das ja was Schönes."

Charlotte, 9 Jahre

"Über unser totes Kind rede ich ganz offen"

"Unser erstes Kind ist 2016 zur Welt gekommen und nach zwölf Wochen gestorben. Es war schon vor der Geburt klar, dass Tristan schwer krank ist. Das Ganze war furchtbar. Die Trauer und der Schmerz sind heute noch da. Trotzdem rede ich offen über seinen Tod, auch mit Fremden. Ich möchte mein Kind nicht verstecken, Tristan gehört zu uns. Die meisten Leute sind überfordert, wenn sie hören, dass wir ein Kind verloren haben. Sie gucken erschrocken und wissen nicht, was sie sagen sollen. Das verstehe ich, und das ist okay. Mit dem Gegenteil kann ich eher schlecht umgehen: Wenn mir jemand aus lauter Mitgefühl weinend um den Hals fällt. Das ist dann zu viel für mich.

Unser zweiter Sohn Aaron ist jetzt fünf Jahre alt, und er weiß, dass er ein kleiner Bruder ist. Die Babyfotos von Tristan hängen in unserem Schlafzimmer. Darauf hat er eine Beatmungsmaske im Gesicht. Wir haben Aaron erklärt, dass sein Bruder schlecht Luft bekam und Unterstützung beim Atmen brauchte. Das ist natürlich hart, sorgt aber für Klarheit. Ich möchte in dieser Hinsicht mit gutem Beispiel vorangehen: dass es keine Tabus geben muss. So viele Frauen machen Fehlgeburten durch und haben das Gefühl, nicht darüber sprechen zu können. Indem ich offen über unseren Verlust rede, möchte ich anderen Mut machen."

Julia Müller, 31 Jahre

"Wir haben als Co-Eltern eine Rundmail geschrieben"

"Eine gute Freundin und ich haben uns entschieden, als Co-Eltern miteinander ein Kind zu bekommen. Unsere Tochter ist jetzt drei Jahre alt. Als sie geboren wurde, haben wir unser Glück in einer Rundmail mit Freunden und Bekannten geteilt. Es war uns wichtig zu berichten, dass wir eine Co-Elternschaft leben und kein Liebespaar sind. Das Schreiben war humorvoll, mit FAQs nach dem offiziellen Teil. Da haben wir auch erzählt, wie unser Kind gezeugt wurde, nämlich mit der Bechermethode. Interessiert jeden, aber kaum einer traut sich zu fragen.

Unsere Familien und Freunde finden unser Modell überwiegend gut. Vielleicht ist unser Umfeld auch beispielhaft für Offenheit: Wir leben in einer queeren WG mit insgesamt neun Leuten. Persönliche Entfaltung ist bei uns ein wichtiges Thema.

Meistens begegnen uns Menschen aufgeschlossen und neugierig, wenn wir von unserer Art, Familie zu leben, berichten. Es gibt aber auch Situationen, da habe ich das Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen. Viele tun sich doch schwer damit, Familie 'anders' zu denken.

Ich möchte meine Tochter so erziehen, dass sie selbstbewusst genug ist, um sich nicht verunsichern zu lassen. Und wenn es mal blöde Sprüche auf dem Schulhof gibt, dann wünsche ich ihr Menschen, mit denen sie offen darüber sprechen kann.

Daniel, 40 Jahre

ELTERN

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