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Tipps von der Medienpädagogin "Fragt euer Kind doch mal, ob es euch TikTok erklärt"

Eltern schauen mit Tochter ins Smartphone
© insta_photos / Adobe Stock
Verstehen ist besser als Verbieten. Die Medienpädagogin Iren Schulz gibt Tipps, wie ihr eure Kinder im Umgang mit Medien kompetent begleiten könnt. Was dazu gehört? Eigenes Unwissen eingestehen – und Offline-Vorbild sein!

Ihr wollt eurem Kind die Nutzung von Smartphone, Apps und Internet beibringen, aber verzweifelt regelmäßig an der Umsetzung? Ihr fragt euch, was ihr erlauben könnt und wann ihr einschreiten solltet? Kein Wunder, das Thema Medienerziehung ist komplex. Zum Glück gibt es Unterstützungsangebote für Familien. Medienpädagogin Iren Schulz findet, "man kann Eltern mit dem Thema nicht mehr alleine lassen." Sie ist unter anderem als Mediencoach für die Initiative "SCHAU HIN! Was Dein Kind mit Medien macht" tätig. Im Interview gibt sie Tipps, wie ihr euer Kind kompetent begleitet.

ELTERN: Was sind Ihre wichtigsten Hinweise für Eltern zum Thema Medienerziehung?
Iren Schulz: In unserer westlichen Gesellschaft begegnen wir unseren Kindern auf Augenhöhe. Dieses vertrauensbasierte Erziehungsmodell ist sinnvoll. Wenn wir alles kontrollieren und verbieten, lernen die Kinder nicht, mit Medien umzugehen. Sobald sie alt genug sind, holen sie alles nach, was verboten war. Das ist wie bei Schokolade: Wer die nie essen durfte und plötzlich Taschengeld bekommt, überfrisst sich auf jeden Fall. Ich empfehle: besprechen und begleiten. Es braucht verbindliche Regeln und Routinen, die transparent sind. Dazu gehören medienfreie Zeiten, und zwar auch für Eltern. Denn die können mit ihrem Vorbild viel bewirken. Wenn ich jeden Tag Pommes hole, aber meinem Kind sage, dass Fast Food totaler Mist ist, ist das nicht glaubhaft. Genauso ist es in der Medienerziehung.

Viele Eltern sind unsicher, wie sie die Mediennutzung begleiten. Sie fühlen sich nicht kompetent. Ist das überängstlich?
Je größer die Alterskluft zwischen Eltern und Kindern ist, desto weiter sind die Lebenswelten voneinander entfernt. Die Eltern fühlen sich unsicher, weil sie nicht mit diesen Technologien aufgewachsen sind. Entweder ist ihre Methode dann, den Kopf in den Sand zu stecken und alles geschehen zu lassen. Oder sie versuchen, strikt zu kontrollieren. Beides ist nicht sinnvoll.

Was empfehlen Sie?
Viele Kinder erleben sich als kompetenter in der Computernutzung als ihre Eltern. Man kann darüber schmunzeln, aber wenn Erwachsene das anerkennen, ist es eine Chance: Kinder in ihrer Expertise ernst zu nehmen. Wenn man das Kind fragt, ob es einem TikTok zeigen kann, bekommt man selbst ein besseres Gefühl dafür, um was es eigentlich geht. Indem man das Kind erklären lässt, was es daran gut findet und wem es gerne folgt,hat man eine Gesprächsgrundlage. Dann kann man fragen: "Kommt dir das realistisch vor? Findest du, dass man wirklich so aussehen kann wie die:der in dem Video?" Die meisten Kinder wissen das Interesse zu schätzen. Ich rate: Behaltet den Draht zum Kind, ohne es auszuspionieren. Das ist ein Balanceakt.

Und wie sieht es mit der Begrenzung der Bildschirmzeiten aus?
Viele Eltern hätten am liebsten genaue Vorgaben, wie viele Minuten pro Tag ein Kind in welchem Alter Medien nutzen darf. Sie suchen einen roten Faden, das ist verständlich. Dafür gibt es die Zeitempfehlungen der WHO. Aber man muss sich nicht strikt daran halten. Es kommt auch darauf an, was das Kind am Bildschirm macht. Es ist ein Unterschied, ob es eine kreative Lern-App nutzt oder passiv konsumiert. Aber je jünger das Kind ist, desto klarer sollten die Regeln sein, auch dazu, welche Inhalte erlaubt sind. Um die Nutzungsdauer zu begrenzen, gibt es technische Hilfsmittel. Es gibt Apps zur Regelung der Bildschirmzeiten, oder man stellt den Router ein. Wichtig ist, das immer mit den Kindern zu besprechen.

Wie schützt man Kinder vor Reizüberflutung?
Kinder sind unterschiedlich sensibel, deshalb sind die Altersempfehlungen so schwierig. Manche Kinder sind nach einer Stunde Bildschirmzeit total hibbelig und ihnen ist alles zu viel. Gerade Kinofilme, die eigentlich eine FSK 0 Freigabe haben, sind oft zu laut und mit einer Laufzeit von eineinhalb Stunden plus Werbung zu lang. Mein Rat: Ihr Eltern kennt euer Kind am besten. Ihr habt ein Gefühl dafür, wann es eine Auszeit braucht. Es tut gut, diese zu setzen.

Wir Erwachsenen merken selbst, wie schwer es uns fällt, den Bildschirm wegzulegen und wie unruhig wir werden, wenn unterwegs das Handy leer ist. Zuerst ist das beängstigend. Aber bewusst gesetzt, kann es richtig schön sein. Ich finde es für Familien wichtig, medienfreie Zeiten zu definieren, weil wir sonst die Handys nicht weglegen. Es gibt Studien, in denen die Kinder sagen: “Mich nervt, dass Mama und Papa immer nur mit halbem Ohr zuhören und mit der anderen Hälfte am Handy hängen.“

Sehen Sie die Verantwortung dafür, Medienwissen zu vermitteln, bei den Eltern oder bei den Schulen?
Man kann Eltern mit diesem hochkomplexen Medienthema nicht mehr alleine lassen. Digitale Räume für Kinder sicherer zu machen, ist eine Aufgabe, die eine Familie nicht mehr schafft. Auch Kitas, Schulen, die Politik und die Medienanbieter müssen in die Verantwortung genommen werden. Ich finde, wenn das Ziel von Schule ist, Kinder auf das Leben vorzubereiten, kann man nicht einfach alle Smartphones verbieten. Wir brauchen gute Konzepte, um Medien zum Lernen einzusetzen und gleichzeitig über sie aufzuklären.

Wie unterstützen Sie mit Ihrer Initiative “SCHAU HIN! Was Dein Kind mit Medien macht”?
Wir richten uns mit der Initiative speziell an Eltern. Wir haben verschiedene Formate etabliert und können so einen niedrigschwelligen Zugang ermöglichen. Eltern können uns, meine Kollegin und mich, als Mediencoaches einfach per E-Mail anschreiben. Das nutzen wirklich viele und für uns ist es spannend, mitzubekommen, was Eltern bewegt. Außerdem bieten wir digitale Elternabende an und versenden einen Newsletter, der auch sehr gefragt ist.

Vielen Dank für das Gespräch!

ELTERN

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