Wenn ein Mensch stirbt, hinterlässt das eine Lücke im Leben aller Zurückgebliebenen. Stirbt ein Elternteil, verliert ein Kind eine wichtige Stütze für den Rest seines Lebens. Um so einen Verlust trauern Kinder auf andere Weise als die Erwachsenen, weiß die Trauerrednerin Christina Kommer. Mit ihr sprach ELTERN über die Art und Weise, wie Kinder trauern und wie man ihnen helfen kann, den Tod zu verarbeiten.
ELTERN: Frau Kommer, wie unterscheidet sich die Art und Weise, wie Kindern den Tod eines Elternteils verarbeiten, von der der Erwachsenen?
Christina Kommer: Zunächst einmal trauern Kinder anders als Erwachsene. Kinder betreten den wackligen und unebenen Untergrund der Trauer nur schritt- und phasenweise. Ihre Trauer zeigt sich dann ganz plötzlich und unerwartet durch beispielsweise starkes Weinen und ist dann aber genauso plötzlich wieder scheinbar vorbei. Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht trauern. Auf Erwachsene wirkt dieses Verhalten oft zunächst irritierend. Kinder brauchen aber noch mehr als Erwachsene das Gefühl, sich auf dem sicheren Boden des gewohnten Alltags und eines gewohnten Familienlebens zu bewegen.
Wie kann man einem Kind helfen, mit dem Tod eines Elternteils umzugehen?
Im Prinzip brauchen Kinder zunächst das gleiche wie Erwachsene, die in Trauer sind: Geduld und Verständnis. Kinder beschäftigen sich eben nicht permanent mit dem Tod und der Trauer. Aber wenn sie das tun, also beispielsweise Fragen haben, weinen, Nähe suchen, dann sollten Erwachsene mit viel Feingefühl und Aufmerksamkeit für die Kinder da sein. Darüber hinaus sind Sicherheit und Stabilität für Kinder wichtig.
Es ist wichtig, ihnen dieses Gefühl weiterhin zu vermitteln, auch wenn es wahnsinnig viel Kraft erfordert.
Auf welche Fragen werden sich Erwachsene in diesem Prozess einstellen müssen?
Die Fragen der Kinder werden sich im Lauf der Zeit ändern. Ein Grundschulkind wird andere Fragen zum Tod des Elternteils stellen als ein pubertierender Jugendlicher. Aber all diesen Fragen sollte mit Verständnis und Vertrauen begegnet werden. Kinder müssen ihren Zugang zum Verlust und zur Trauer entwickeln – und weiterentwickeln. Die Familie kann dabei unterstützen.
Besonders wichtig ist auch der Umgang mit dem Thema Schuld: Kinder empfinden beim Tod eines engen Familienmitglieds schnell Schuldgefühle. Sie verstehen den Verlust als Bestrafung und fühlen sich verantwortlich. Besonders schwierig ist es, wenn vor dem Tod eines Elternteils ein Streit mit dem Kind vorausgegangen ist oder ein ungeklärter Konflikt zurückbleibt. Insbesondere wenn ein Suizid in der Familie vorgefallen ist, kommen schwere Selbstvorwürfe hinzu.
Welche Rolle spielen Sie als Trauerrednerin in dieser Zeit?
Im Trauergespräch bitte ich die Kinder oft, ein Bild für das verstorbene Elternteil zu malen und im Anschluss zu beschreiben, was das Bild ausdrücken soll. Kinder tun sich nämlich schwer, ihre Gefühle und Gedanken in Worte zu fassen. Sich kreativ auszudrücken hilft den Kindern, ihre Gedanken zu sortieren. Diese Gedanken und manchmal auch das Bild nutze ich später dann auch in der Trauerfeier oder in der Rede.
Grundsätzlich ist es aber so, dass ich die Kinder im Trauergespräch nicht unter Druck setze. Gerade ältere Kinder und Jugendliche ziehen sich im Trauergespräch lieber zurück als sich zu beteiligen. Auch das ist vollkommen in Ordnung. Ich beobachte dann ihre Reaktionen auf das Gesagte und schaue ganz genau hin, wann ich ein Lächeln, eine Träne oder ein Zeichen der Verunsicherung bemerke und gehe gezielt auf das Gesagte ein.
In Vorbereitung auf die Trauerfeier schlage ich der Familie Trauerrituale vor, die die Kinder einbeziehen. Das kann das gemeinsame Bemalen des Sarges oder der Urne sein. Das kann ein selbstgemaltes Bild sein, das dem Sarg oder dem Grab beigelegt wird. Das kann aber auch das Anzünden einer selbst gestalteten Kerze während der Trauerfeier sein.
Ich versuche immer, den Blick auf das zu richten, was bleiben darf – egal ob ich zu Kindern oder zu Erwachsenen spreche. Der Verlust und das unendlich große Fehlen eines geliebten Menschen trifft die ganze Familie und jede und jeder Einzelne sehnt sich nach Hoffnung und Trost. Diesen Trost zu schenken, wenn auch nur für einen kurzen Moment, sehe ich als meine Aufgabe als Trauerrednerin.
Wie können Eltern und Familienmitglieder des verstorbenen Elternteils das Kind in der Trauerzeit unterstützen und begleiten, ohne dabei ihre eigene Trauer zu vernachlässigen?
Hier kann ich natürlich nur von meinen Erfahrungen als Trauerrednerin ausgehen. Da bemerke ich immer wieder, dass sich Kinder nach Schutz und Sicherheit sehnen. Ein geregelter Alltag, eine Alltagsstruktur sind dafür sehr hilfreich. Und genau darin besteht auch die große Herausforderung:
Darin besteht auch die Aufgabe der Trauerarbeit: Stück für Stück einen Alltag wieder aufzubauen, neu aufzubauen. Das ist für sich genommen schon eine schwere Aufgabe. Das hinterbliebene Elternteil muss diesen Alltag aber nicht nur für sich selbst, sondern eben auch und gerade für das Kind oder die Kinder wiederherstellen.
Hier sind Familienmitglieder gefragt, die ganz praktisch helfen, beispielsweise den Einkauf übernehmen, im Haushalt aufräumen, Fahrten erledigen usw. So hat das hinterbliebene Elternteil mehr Kraft, um sich um das Kind zu kümmern. Gemeinsames Erinnern, Erzählen, aber auch Weinen verbindet und hilft, der eigenen Trauer zu begegnen. Die Trauer darf und soll Ausdruck finden.
Bei Kindern ist das anders als bei Erwachsenen. Viele Erwachsene schreiben in der Zeit der Trauer vieles auf, um ihre Gedanken zu sortieren. Kinder malen, spielen Situationen nach oder stellen viele Fragen, um dem Verlust zu begegnen. Die Trauer sollte ihren Raum bekommen – egal ob es die der Kinder oder der Eltern ist. Ein offener Umgang mit Trauerschmerz und Tränen ist wichtig und schweißt zusammen. Wichtig ist, dem Kind zu zeigen: Du bist nicht schuld an meiner Trauer und ich bin immer für dich da – hab keine Angst.