Frau Stamm, viele Mütter wollen heute nicht mehr das Leben ihrer Mütter und Großmütter leben. Und dazu brauchen sie engagierte Väter, die sie zu Hause entlasten. Tun die das denn?
Man muss zunächst festhalten, dass Väter ja keine homogene Gruppe sind, ebenso wenig wie die Frauen oder die Paare. Deswegen kann ich da nur von Durchschnittswerten sprechen, die wir aus schweizerischen, deutschen und österreichischen Studien bezogen haben. Väter engagieren sich heutzutage sehr viel mehr als noch vor 15 Jahren. Auch das Ziel vieler Männer ist es, auf keinen Fall so zu werden wie der eigene, oft nicht besonders präsente Vater. Heißt, die gedankliche Fürsorge ist gewachsen. Im direkt sichtbaren Haushalt hat sich allerdings relativ wenig geändert.
Das bedeutet, dass nach wie vor die Mütter die Spülmaschine ausräumen – obwohl auch sie oft berufstätig sind. Haben sie da nicht den schwereren Brocken zu wuppen?
Diese Glorifizierung der Vereinbarkeitsleistung sehe ich kritisch: Es ist in den vergangenen Jahren in Mode gekommen, dass Frauen betonen, wie sehr sie durch das Nebeneinander von Job und Mutterschaft unter psychischem und physischem Stress leiden. Wir alle wissen, dass das anstrengend ist. Es wird dabei aber vergessen, dass auch Männer Vereinbarkeitsprobleme haben. Frauen werden wahlweise als Heldinnen oder Opfer stilisiert und Männer als diejenigen, die nichts anderes tun müssen, als morgens ins Büro zu spazieren. Aber das ist eine Sichtweise, die so nicht stimmt.

Sondern??
Es gibt auch sehr viele Frauen, die Teilzeit arbeiten, aber ihr Kind trotzdem in die Kita bringen und dadurch Zeit für sich haben. Natürlich: Sie müssen in dieser Zeit den Haushalt machen. Trotzdem können sie mal eine Stunde zum Sport gehen oder sich mit einer Freundin treffen. Das können Männer in der Regel nicht.
Sie finden, den Vätern wird Unrecht getan?
Ich würde sagen, man beurteilt ihre Qualitäten als gute Väter sehr einseitig: Männer werden vor allem an ihrer Präsenz zu Hause gemessen und ob sie Vatermonate nehmen. Dabei gibt es noch viele andere Aufgaben, andere Fürsorgeleistungen, die Väter erfüllen. Auch die Steuererklärung für die Familie zu machen, ist Fürsorge.
Inwiefern?
Weil sie überversorgt werden und es ihre Entwicklung bremst, wenn sie die ganze Zeit kontrolliert und mit Zuneigung überschüttet werden, die sie vielleicht in dem Moment gar nicht so brauchen. Und wenn da jetzt die Väter auch noch mitmachen, haben wir irgendwann völlig überbetreute Kinder, die nie selbstständig werden können. Eltern, Mütter und Väter sollten hinreichend gut sein – das reicht vollauf.
Väter, die mit ihren Frauen zu Hause fifty-fifty machen, sind also nicht zwangsläufig die besseren?
Nehmen wir mal den Vater, der zwei Tage im Homeoffice arbeitet, um zu Hause präsenter zu sein: Der ist doch dadurch nicht automatisch ein besserer Vater. Er ist vielleicht im Stress, hat abends beim Abendessen noch einen Kunden am Telefon … Da hat der Mann, der vielleicht am Freitagnachmittag früher aus dem Büro kommt, unter Umständen mehr Zeit für die Kinder. Deswegen lautet meine Warnung, weder die Gleichstellung noch die Präsenz als Qualitätsmerkmal für einen guten Vater herzunehmen.
Trotzdem sieht man ja immer mehr Väter, die auf dem Weg in die Arbeit ihre Kinder in die Kita bringen oder die nachmittags Buggys durch den Park schieben. Das ist doch gut, oder?
Ja, da verändert sich gerade etwas: Männer sind inzwischen auch mal allein mit ihren Kindern unterwegs und dabei sehr professionell. Aber das ist noch immer nicht die Norm.

Weil das in patriarchalisch aufgebauten Betrieben immer noch als unmännlich gilt, wenn man sagt, man muss früher gehen und das Kind von der Kita holen?
Ja, aber auch, weil Mütter es manchmal nicht wirklich zulassen, dass Väter zu Hause Profis werden. Weil sie sehr überzeugt sind von ihrem Mutterinstinkt und ihrem Partner den Platz an dieser Stelle schwer machen.
Sie sind ja wirklich streng mit uns Müttern! Oft ist es doch so, dass Väter ganz viele Sachen nicht sehen. Die sind da ein bisschen schluffig und nehmen die Familien-Orga zu Hause mit Kita-Fest und Ersatzklamotten einpacken nicht so ernst. Genauso wie das dreckige Bad. Das sehen die nicht. Wir Mütter sind da oft pingeliger. Vielleicht noch ein Erbe aus den Fünfzigern, als der Wert von Müttern an gewischten Fußböden und adretten Kindern gemessen wurde?
Mag sein – aber so kriegen die Männer keine Chance. Ich nenne das mütterliches „Gatekeeping“, denn sie fungieren dabei wie eine Art Türsteher. Wir haben in unserer Väterstudie drei Vätertypen gefunden. Unter ihnen ist ein Typ, der zu Hause relativ passiv und distanziert ist. Und man kann eindeutig nachweisen, dass die Partnerinnen dieser Männer eine ziemlich dominante Stellung einnehmen und dabei auch bestimmen, wie die Familie organisiert wird und Fürsorge für die Kinder funktioniert. Das Resultat ist, dass sich die Väter irgendwann fühlen wie Babysitter, die lange Listen hingelegt bekommen und denen im Haushalt überkritisch hinterhergeputzt wird. Der Vater wird zwar als Teil der Familie akzeptiert, aber nicht als fürsorgliche Person. So verliert er aber definitiv die Motivation, anzupacken.
Aber was machen Mütter und Väter jetzt mit diesen Erkenntnissen? Was raten Sie einem jungen Paar, das kurz vor der Geburt steht und sagt: Wir haben andere Rollenvorstellungen als unsere Eltern. Und andere Bedürfnisse.
Eines ist ganz klar: Frauen, die in den Beruf investieren wollen, müssen noch mehr lernen, loszulassen. Das von ihnen praktizierte Mutterbild passt nicht mehr zu den neuen Gleichstellungsbemühungen. Papa ist nicht Mama, er pflegt das kranke Kind anders als sie – und das ist auch gut so. Väter hingegen muüssen sich noch mehr trauen, in ihren Betrieben Debatten um Vereinbarkeit anzustoßen. Es gibt ja bereits diesen leisen Trend, dass gerade junge Männer in aufstrebenden Positionen in Elternzeit gehen und dann auch darüber reden. Und: Paare sollten sich schon vor der Geburt darüber verständigen, wer wann dran ist mit dem Karrieremachen und wer mal eine Weile zurücksteckt: mal der eine, mal der andere, wie nach einer Art Schaukel-Prinzip. Das ist der richtige Weg.
Margit Stamm
Margit Stamm war bis 2012 Professorin für Erziehungswissenschaft an der Universität Fribourg in der Schweiz. Seit Oktober 2012 ist sie Direktorin des Forschungsinstituts Swiss Education mit Sitz in Aarau. Ihre aktuellen Forschungsschwerpunkte sind die frühkindliche Bildungsforschung; Talententwicklung und Bildungslaufbahnen.