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Trennungskinder "Bei mir machen sie das nicht!"

Trennungskinder: Eine Mutter sitzt neben ihrer Teenager Tochter auf dem Bett
© fizkes / Adobe Stock
Unsere Autorin Andrea Müller ist schon lange vom Vater ihrer Kinder getrennt. IHRE Söhne leben überwiegend bei ihr und benehmen sich zuweilen ziemlich daneben. Sind sie hingegen beim Vater, mutieren SEINE Söhne zu Musterknaben – sagt jedenfalls der Ex-Mann. Das wirft Fragen auf.

Neulich fiel mir auf, dass kein Tageslicht mehr durch das Fenster im Hausflur kommt. Das liegt am neu eingeführten Garderobensystem meines Teenager-Sohnes: Er hat den Fenstersims, wo andere Menschen Topfpflanzen oder Kerzen dekorieren, mit Turnschuhen, diversen Hoodies, Schals und Mützen vollgemüllt. Das letzte Stückchen Himmel wird von seiner Sporttasche mit darauf geknubbeltem, noch feuchtem Handtuch verdunkelt – irgendwo hat er wohl immerhin mal gehört: Nasse Sachen soll man auspacken.

"Räum deinen Müllhaufen von der Fensterbank!", grummle ich und überhaupt: "Warum muss ich das eigentlich 1000-mal sagen!?" Das Chaos meines Sohnes ärgert mich auch deshalb, weil ich damit gezwungen werde, seinem bisweilen im Treppenhaus erscheinenden Vater auch noch die andere Wange feilzubieten – für die verbale Ohrfeige, die etwa so klingt: "Wie sieht es denn bei euch aus?! Also, bei mir machen sie das nicht …"

Logisch. Also, bei ihm, sprich jedes zweite Wochenende oder dienstags zum Dinner, "parieren die Jungs, denn ich kann ja erziehen!", sagt der Ex-Mann explizit. Und die implizite Botschaft an mich lautet: Nichts, aber auch gar nichts hast du im Griff. Weder dein eigenes Leben noch das der Kinder, in dem ich als Vater eigentlich die Strippen im Hintergrund ziehe, eben weil ich es kann.

Söhne + alleinerziehende Mutter = schlechtes Benehmen?

Ich habe mich umgehört: Tatsächlich scheint es sich beim schlechten Benehmen der Kinder bei einem Elternteil um ein "klassisches Trennungskind- Syndrom" zu handeln. Und die Komponenten "männliche Kinder" und "getrennte Eltern" potenzieren sich – wie bei uns – dabei offenbar besonders ungünstig: Vor allem Jungs zollen ihren Vätern mehr Respekt als ihren Müttern. Doch warum tun und lassen meine Söhne bei mir, was sie wollen – obwohl sie bei mir die meiste Zeit verbringen?

Ich frage die Rechtspsychologin Dr. Marianne Kalinowsky-Czech, deren täglich Brot die Erstellung gerichtlicher Gutachten über Trennungskinder ist. Und sie sagt: "Ihre Kinder sind sich der bedingungslosen Zuwendung des Elternteils, bei dem sie sich im Alltag überwiegend aufhalten, sicherer. Wenn sie sich also woanders besser benehmen als bei Ihnen, sehen Sie es als Bestätigung Ihrer Zuwendung zu den Kindern. Je mehr Verhaltensauffälligkeiten sie zeigen, desto mehr geben sie sich, wie sie eben sind, ohne einen Liebesentzug fürchten zu müssen …" Mit anderen Worten: Je wohler und sicherer sich die Kinder fühlen, umso weniger reißen sie sich zusammen.

Na toll! Zwar ist es erleichternd zu wissen, dass ich außerhalb meiner Wohnung von deutlich weniger Verhaltensauffälligkeiten ausgehen kann. Und – anders als zu Hause – keine peinlichen Überreste in Toiletten-Schüsseln befürchten muss, so, als hätten meine Jungs das Wort Klobürste noch nie gehört. Trotzdem will ich ungern dazu beitragen, dass sich derartiges Machotum ungestört in der Welt verbreitet und meine Söhne so tun als habe "Mann" qua Geburt ein Recht darauf, weibliche Mitbewohner für Sauberkeit und Ordnung zuständig zu erklären. Doch warum scheitern all meine Versuche, den Nachwuchs genderneutral zu erziehen? Und vor allem: Was kann ich dagegen tun?

Pädagogische Sofortmaßnahmen

Meine Feldforschungen zeigen: Jungs-Mütter (getrennt oder nicht) fühlen sich bei schlechtem Benehmen insgesamt eher zu restriktiven pädagogischen Sofortmaßnahmen genötigt, weil sie sonst eben kein Bein auf den Boden bekommen. So propagiert eine Jungsmutter aus meinem Freundeskreis beleidigtes Schweigen: Eingesetzt über mehrere Tage sei es "absolut zielführend" bei verhaltensbedingten Fehltritten. Eine andere hat mir in puncto Sohn Nummer eins einmal geraten, ihm seine Kackwurst aufs Kopfkissen zu legen – sollte er noch mal vergessen, die Toilettenspülung zu betätigen. Beides ist nicht so mein Ding.

Ich beherrsche da schon eher das nicht minder fragwürdige und pädagogisch grenzwertige System von verbaler Bestechung und Erpressung. Etwa: Wenn ihr das (nicht) macht, gibt’s kein Taschengeld, fällt Fußball aus, das Segelcamp, Hugos Halloween-Party, das WLAN, ja, die Sommerferien! Ist so: Jungsmütter wissen, wo es wehtut. "Klar Mama, überhaupt mein ganzes Leben … fällt aus", sagt Sohn Nummer eins dann sarkastisch. Und ich: "Und wenn du bis Freitag nicht aufräumst, stelle ich dein Zimmer Geflüchteten aus der Ukraine zur Verfügung. Und du ziehst zu Papa."

Haben wir einen Loyalitätskonflikt?

In solchen Situationen könnte ich heulen. Weil meine Kinder mich dazu bringen, so was Gemeines zu sagen. Aber auch, weil ich weiß: Bei seinem Vater befüllt Sohn Nummer eins eben nicht die Fensterluke im Treppenhaus mit Klamotten, und sein Bett erinnert dort auch nicht an das Innenleben eines LKWs von der Stadtreinigung.

Ja, ich weiß, auch Söhne (und Töchter!) von zusammenlebenden Eltern neigen in der Pubertät bisweilen zu Schlamperei. Bei Trennungskindern stecke dahinter aber mitunter auch ein Loyalitätskonflikt, sagt Marianne Kalinowsky-Czech. Sie empfiehlt Paaren mit Trennungswunsch deshalb, sich frühzeitig beraten zu lassen, damit sich derartige Probleme nicht wie Kaugummi durch das Restleben aller Beteiligten ziehen. Denn schlechtes Benehmen bei einem Elternteil "aus Protest" sei genauso belastend wie vorbildliches Benehmen beim anderen "aus Überanpassung". Als Mutter könne man da kaum gegensteuern, wenn das System erst einmal eingefahren sei, meint die Rechtspsychologin, und: "Die Kinder können solches Verhalten meist erst dann ablegen, wenn sie fühlen, dass zwischen beiden Eltern alles in Ordnung ist. Das sollten Sie Ihren Kindern unbedingt vermitteln."

Gott sei Dank gelingt nicht wenigen Eltern nach Trennungen die neutrale oder sogar fast freundschaftliche Kommunikation. Trotzdem werden sie manchmal auch Jahre später noch von uralten verhassten Verhaltensweisen des anderen getriggert. Und darauf reagieren dann eben auch die Kinder – zum Beispiel mit emotionaler Verunsicherung und "ungünstigem Bewältigungsverhalten" wie etwa Schlamperei.

Das ist MEIN Sohn

Apropos: Erst letzte Woche "verlor" Sohn Nummer eins sein drittes Fahrrad in nur einem Jahr. "Wie soll er das auch lernen!", schrieb sein Vater in unserem Familienchat. "Es bringt ihm ja keiner bei, dass man Räder anschließt" Komisch, denk ich dann, noch nicht mal ein Vater? Manchmal gibt es auch Beiträge in der digitalen Familiengruppe, von denen ich auf den ersten Blick denke: Upsi, der muss sich vertippt haben – etwa bei Einsen in Mathe oder Latein, guten Ergebnissen in Marathons, Fußballturnieren oder Segelregatten. In solchen Momenten verzeihe ich alle nicht gespülten Toiletteninhalte und beantworte die frohe Botschaft brennend stolz mit Feuerwerks- oder Herzchen-Smileys.

Ihr Vater hingegen kommentiert sie bis heute beharrlich und vollkommen ernst gemeint mit dem immer gleichen Dreiwortsatz: "Eben MEIN Sohn!"

Und wo leben die Kinder?

Obwohl sich immer mehr Eltern nach einer Trennung auf Modelle einigen, bei denen sie sich gleichberechtigt um die Kinder kümmern können (z. B. Wechselmodell oder Nestmodell), ist das noch nicht die Regel.

Das in Deutschland am häufigsten praktizierte Modell ist das Residenzmodell: Das heißt, das Kind lebt überwiegend bei einem Elternteil (in neun von zehn Fällen ist das die Mutter) und verbringt einige Tage im Monat bei dem anderen Elternteil.

ELTERN

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