Haben Kinder schon Vorurteile?
Kinder werden nicht mit Schubladen im Kopf geboren, doch sie beginnen schon mit zwei bis drei Jahren Kategorien zu bilden, um sich in ihrer komplexen Umwelt zurechtzufinden. In diesem Zusammenhang können Merkmale wie Geschlecht, Alter oder Hautfarbe schon früh mit wertenden Zuschreibungen verknüpft sein. Beispielsweise dann, wenn Tim nicht mitspielen darf, weil er in den Augen der anderen Kinder zu klein für das Spiel ist. Oder wenn Anna zu Leo sagt, dass er die Puppe nicht nehmen darf, weil er doch ein Junge ist. Denn auch sehr junge Kinder beobachten und erlernen bereits gesellschaftliche Konstrukte und Kategorien und ziehen Grenzen zwischen sich und anderen.
"Die Kleinen" und "die Großen", Jungssachen und Mädchensachen – oft entstammen diese Kategorien der Erwachsenenkommunikation. Mini-Vorurteile und stereotype Vorstellungen sind in diesem Alter aber noch nicht gefestigt, ihre Etablierung findet Untersuchungen zufolge vor allem durch ständige Wiederholung statt. Kinder nehmen wertende Botschaften ihrer Umgebung auf und binden sie nach und nach in ihr Konzept von der Welt ein. Das Gute daran ist, dass das auch bedeutet, dass Kinder durch ihre Bezugspersonen eben auch positiv beeinflusst und sogar Vorurteile wieder aufgelöst werden können. Was können Eltern also konkret tun, um Akzeptanz beim Kind zu fördern? Zunächst einmal gilt: Jeder Mensch verallgemeinert, niemand ist frei von Vorurteilen. Aber eine grundsätzliche Offenheit für die Unterschiede zwischen uns Menschen und die Bereitschaft, mögliche Vorurteile zu überdenken, kann man lernen.
Offenheit und Akzeptanz vorleben
Ihr wisst ja: Das, was ihr als Eltern vorlebt, hat großen Einfluss auf eure Kinder. Wenn ihr zu Hause respektvoll über unterschiedliche Lebensmodelle, sexuelle Identitäten und Menschen unterschiedlicher Herkunft sprecht, erlebt euer Kind Vielfalt von Anfang an als Bereicherung. Überprüft am besten hin und wieder eure eigenen Kategorien und Vorurteile – auch im Kleinen: Ist euer Kind für euch vielleicht immer der Wildfang, das Prinzesschen, der Traumtänzer oder ein kleines Sensibelchen? Diese Zuschreibungen sind meistens sehr liebevoll gemeint, schließen aber doch viele Aspekte der Persönlichkeit eines Kindes aus. Schließlich kann das wilde Kind auch sensibel sein.
Fähigkeit zur Empathie fördern
Sich in andere hineinzuversetzen zu können, ist eine wichtige Grundlage, um unterschiedliche Ansichten, Lebensmodelle, schlicht andere Menschen anzunehmen. Die Empathiefähigkeit könnt ihr im Alltag durch regelmäßige Gespräche über eure eigenen Gefühle und die eures Kindes fördern. Vielleicht haltet ihr auch Familiensitzungen ab, in denen die Perspektive eines jeden Familienmitgliedes Raum bekommt. Ihr könnt kleinen Kindern außerdem dabei helfen, die Gefühle anderer zu verstehen, indem ihr sie verbalisierst: Papa ist ganz schön sauer, weil wir zu spät zum Treffpunkt gekommen sind. Er wollte pünktlich nach Hause fahren.
Identität stärken
Nur wer sich selbst wertschätzt, kann andere wertschätzen. Wenn Kinder sich auch bei vermeintlichem Fehlverhalten der bedingungslosen Liebe ihrer Eltern sicher sein können und ihre Persönlichkeit anerkannt sowie respektiert wird, verinnerlichen sie, dass sie wertvoll sind. Das ist eine wichtige Basis, um sich gegen Vorurteile und Diskriminierung wehren zu können und auch die Individualität anderer Menschen zu achten.
Gemeinsam Vielfalt erleben
Das beste Mittel gegen Vorurteile? Der Kontakt zu unterschiedlichen Kulturen, Religionen und Lebensmodellen! Vielleicht habt ihr bereits einen sehr vielfältigen Freundeskreis oder ihr besucht beispielsweise einfach mal ein multikulturelles Nachbarschaftsfest. Auch Bücher, in denen unterschiedliche Familienformen thematisiert werden, der Held aus einer anderen Kultur kommt oder alternative Rollenbilder gezeigt werden, helfen dabei, Vielfalt kennenzulernen. Außerdem könnt ihr darauf achten, dass die Spielsachen eures Kindes nicht nur den eigenen soziokulturellen Hintergrund spiegeln.
In den Dialog treten
Damit sich Vorurteile nicht verfestigen und Kinder mit ihren Erfahrungen nicht allein bleiben, ist es wichtig, sie sachlich zu kommentieren und Kinder anzuregen, sich kritisch mit dem jeweiligen Vorurteil zu befassen. Wenn Anna also sagt, dass Leo nicht mit der Puppe spielen darf, weil das nichts für Jungs ist, ändert vielleicht schon die Frage, warum Jungs denn nicht Puppen spielen können, Annas Einstellung. Oft macht auch ein Perspektivwechsel Sinn: Wie würdest du dich fühlen, wenn jemand dir sagt, du darfst nicht mit dem Auto spielen, weil du ein Mädchen bist?
Selbst aktiv werden
Setzt euch als Familie doch mal gemeinsam für andere ein oder ruft eine kleine Aktion gegen eine Ungerechtigkeit ins Leben. Das gibt Kindern die Chance zu erfahren, dass sie selbst etwas bewirken können. Wichtig: Unterstützt ihre Ideen auch dann, wenn sie aus eurer Sicht vielleicht nicht die ganz große Systemänderung herbeiführen. Erfolgserlebnisse sind wichtig!
Verwendete Quellen:
- Bundeszentrale für politische Bildung
- Caroline Ali-Tani – Wie Kinder Vielfalt wahrnehmen: Vorurteile in der frühen Kindheit und die pädagogischen Konsequenzen
- regenbogenfamilien-nrw.de
- fruehe-chancen.de