ErziehungEinzelkinder: Sieben Vorurteile - und die Wahrheit
Einzelkinder sind verzogen, eigenbrötlerisch und können sich nicht durchsetzen - das sind immer noch gängige Klischees über Kinder, die ohne Geschwister groß werden. Ein Überblick über die sieben häufigsten Vorurteile. Plus: Was sagt die Wissenschaft zum Einzelkind?

Laut einer großen amerikanischen Untersuchung aus den 1990er-Jahren haben Einzelkinder kein übersteigertes Selbstwertgefühl: Sie schätzen ihre Persönlichkeit nicht höher als andere ein, kritisieren ihr Äußeres sogar häufiger als Geschwisterkinder und nehmen sich eher als unsportlich und weniger beliebt wahr als Altersgenossen aus Familien mit mehreren Kindern. In Wirklichkeit sind sie zumindest in Deutschland unter Gleichaltrigen ebenso beliebt wie Kinder mit Geschwistern.

Es stimmt: Mütter, die von Anfang an nur ein Kind möchten, küssen, streicheln, wiegen und baden ihr Baby häufiger als Frauen, die noch weitere Kinder planen. Aber: Wäre dies überbehütend, würden die Kinder zu Unselbstständigkeit erzogen - Studien haben jedoch gezeigt, dass derart mit Zuwendung bedachte Einzelkinder als Erwachsene sogar besonders selbstständig waren. Ein möglicher Grund: Einzelkinder werden häufiger als Geschwister schon in den ersten Lebensjahren außerhalb der Familie betreut und lernen dadurch früh, sich selbstständig für ihre Belange einzusetzen.

Viele Studien haben belegt: Einzelkinder kommen gleich gut mit anderen Kindern klar wie Geschwisterkinder, sie weisen gleich hohe soziale Kompetenzen auf, haben ebenso viele Freunde. Sie besitzen genauso viel Feingefühl wie Kinder mit Geschwistern und verhalten sich in Gruppen nicht aggressiver.

Doch - sie müssen es nur lernen, wie alle anderen Kinder auch. Zwar konnte tatsächlich nachgewiesen werden, dass Einzelkinder beim Kindergartenstart größere Probleme mit dem Teilen haben als Geschwisterkinder - einfach, weil die schon besser im Training sind. Aber: Auch bei Treffen mit anderen Kindern lässt sich diese Fähigkeit schulen.

Logisch: Erstgeborene und Einzelkinder richten sich zwangsläufig stärker auf die Eltern aus als Kinder mit Geschwistern. Aber: Haben sie von Anfang an regelmäßigen Kontakt zu anderen Kindern, lernen sie schnell, zwischen den verschiedenen Sprachcodes und Verhaltensweisen zu switchen: redegewandt und ruhig bei den Erwachsenen, kindlich und verspielt mit anderen Kindern.

Zwar tun sich Einzelkinder oft etwas schwerer bei der Eingliederung in die Kita-Gruppe, so eine Studie der University of Ohio. Aber als Teenager haben sie ebenso viele Freunde und sind genauso beliebt wie Kinder mit Geschwistern.

Manche Eltern hatten mit einem Kind noch das Gefühl, ein Paar mit Kind zu sein und erst nach der Geburt des zweiten eine richtige Familie. Andere Eltern fühlen sich mit ihrem Einzelkind ebenso als komplette Familie. Denn macht nicht auch ein einziges Kind aus dem Paar Eltern? Gibt es weniger Liebe, Zusammenhalt, Familiengefühl, wenn nur ein Kind da ist? Deshalb ein Plädoyer für mehr Toleranz: Jede Familie muss selbst entscheiden dürfen, wann sie sich als richtige Familie empfindet.