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Corona-Tagebuch einer Mutter Lockdown mit Kindern: Ich bin nicht nur Mutter, verdammt!

Schild am Badezimmer: "Zutritt verboten", darauf eine Zeichnung der badenden Mutter. Baby drückt die Türklinke runter.
© Marie Stadler
Unsere Autorin ist müde. Sie ist Mutter. Nur Mutter. Immer nur Mutter. Und das 24/7.

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Ich bin eine Mama, wahrscheinlich eine ganz passable. Mal die beste, mal die gemeinste der Welt, also Standard, würde ich sagen. Aber das ist natürlich nicht alles, was mich ausmacht. Eigentlich bin ich außerdem eine Freundin, eine Kollegin, eine Ehefrau, eine Ehrgeizige, eine Konzertbesucherin, eine Diskussionsfreudige, eine, die manchmal ein bisschen zu gemeine Witze reißt und eine, die auf Partys besonders laut lacht. Ich bin meine Geschichten, die ich erzähle und die Ratschläge, die ich gebe. Ich bin die Tränen, die ich mich traue, vor meinen Freundinnen zu weinen und der Größenwahnsinn, der sich nach zwei Gläsern Merlot einstellt. Wenn ich all das bin, dann fühle ich mich zwar kein bisschen perfekt, aber dafür fühle ich mich ganz und heile. Dann fühle ich mich einfach wie ICH.

Lockdown mit Kindern

Seit März gibt es da ein kleines Problem: Ich bin MUTTER. Das wars. Alle anderen Puzzleteile liegen vor mir und finden meist keinen passenden Platz mehr. Keine Partys, keine Freunde treffen, keine Ehemann-Dates im Restaurant, weil kein Babysitter (und erst recht kein Restaurant), die Kinder immer zuhause statt bei Freunden, auf dem Bolzplatz, bei Oma und Opa oder in der Schule. Die Nerven des Ehemanns und meine: irgendwo am Boden zerstreut zwischen Lego-Steinen und den zerknüllten Mathe-Zusatzaufgaben. Erst hab ich mir noch große Mühe gegeben, mich weiter heile zu fühlen, habe Online-Wein mit Freunden getrunken, alleine beim Putzen eine One-Woman-Disco veranstaltet und mit dem Mann Konzerte auf Netflix angeschaut. Aber so richtig funktioniert hat das nicht, meine Laune wanderte Stufe um Stufe weiter in den Keller und Kellerlaune macht träge.

„Mamaaaaaaaa“

Ja, man kann mich kritisieren, dass ich mich nicht weiter angestrengt habe, all die Facetten meines Ichs beieinander zu halten. Ich würde es vielleicht auch selbst tun, wenn ich nicht so müde wäre. Davon, dass im Lockdown überall und rund um die Uhr ein „Mamaaaaaa!“ lauert. Abends, wenn man sich mal zu zweit ein schönes Menü kocht und dann die Kinder wegen ihrer Albträume auf dem Sofa danebenliegen. Morgens um 6 Uhr, wenn sich ein Erstklässler in die Yoga-Übungen einreiht und statt Hund und Sonnengruß den T-Rex und den höchst populären Yoga-Popoknaller lernen will. Sehr entspannend. Nicht. Am Vormittag, wenn ich keine Verhandlungen mehr um mein Gehalt oder mit Kunden führe, sondern stattdessen um die maximal akzeptable Nutellamenge auf einem Vollkorntoast und Gerichtssitzungen zum Thema „Wer hat zuerst gehauen?“ führe, obwohl es weder Zeugen noch Beweise gibt. Das „Mamaaaaa!“ lauert echt jederzeit und überall. Nicht mal auf der Toilette ist man sicher. „Aber diesmal hat er ECHT zuerst gehauen!!!!“ Und das ist ja wohl wirklich mal ein Grund, gegen die Badezimmertür zu trommeln...

Die Puzzleteile sind nicht kaputt

Was mich etwas tröstet: Es ist alles noch da. Ein kaputtes Puzzle ist eigentlich nie wirklich kaputt, es ist nur in Einzelteile zerlegt, die gerade nicht gebraucht werden. Es kostet halt nur Mühe, es wieder zusammenzusetzen. Müde Menschen puzzeln leider nicht. Aber eines Tages, Freunde der Nacht, da fange ich an. Da setze ich Stück für Stück wieder zusammen, das könnte ich mit geschlossenen Augen. Ich weiß nämlich noch ganz genau, wie dieses Ich-Puzzle aussieht, wo welches Teil hingehört. Es ist nicht immer schön, das Gesamtbild, aber es ist etwas Ganzes. Ich bin mir sicher, dass auch ein paar Teile dazugekommen sind, die das Bild am Ende abrunden werden. Da wäre das Puzzleteil der Klarheit, die man braucht, um Kinder auch noch an Lockdowntag 29 für die Schulaufgaben zu motivieren und diese große Dankbarkeit, die mein Mann und ich füreinander entwickelt haben. Da sind all die Erinnerungen an unsere kreativen Ideen, mit denen wir als Familie Spaß hatten und die Gewissheit, dass wir zusammen alles schaffen. Wenn man weiß, dass man nicht wirklich kaputt ist, sondern dass alles, was fehlt, nur Teile sind, die nur wieder zusammengefügt werden müssen, dann hält man so einiges aus. Ich glaube, sogar das nächste, übernächste und überübernächste „Mamaaaaaaaaa!“...

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