Kinderarmut - im reichen Deutschland ein Thema?
Auch in Deutschland gehören Armut und damit auch Kinderarmut zu den drängenden Themen der Zeit. So belegt der aktuelle Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, dass 13 Prozent der Bundesbürger als arm gelten. Als arm gilt dabei jemand, der weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens zur Verfügung hat. Weitere 13 Prozent der in Deutschland lebenden Menschen würden nur durch Sozialtransfers wie Kindergeld und Arbeitslosengeld II vor dem Abrutschen in die Armut bewahrt. Rechnet man das zusammen, so ist mittlerweile jeder vierte Bundesbürger von Armut betroffen oder muss durch staatliche Leistungen vor ihr bewahrt werden.
Wie viele Minderjährige sind von der Kinderarmut betroffen?
Eine bittere Erkenntnis des Armutsberichts: Neben Langzeitarbeitslosen sind es vor allem Alleinerziehende und ihre Kinder, bei denen es vorne und hinten nicht reicht. So seien im europäischen Vergleich 2005 zwölf Prozent der deutschen Kinder von Armut bedroht gewesen.
Ebenfalls im vergangenen Jahr kam das vom Bundesfamilienministerium beauftrage Prognos-Institut in einem weiteren Bericht über Kinderarmut auf noch erschreckendere Zahlen: Die Wissenschaftler wiesen im Jahre 2006 für 17,34 Prozent der hier lebenden Kinder und Jugendlichen ein hohes Risiko auf, in die Kinderarmut abzurutzschen. 9,6 Prozent der 0 bis 17-Jährigen lebten tatsächlich in ärmlichen Verhältnissen.
Welche Ursachen gibt es für die wachsende Kinderarmut?
Die größten Risikogruppen für Kinderarmut sind auch nach Erkenntnissen des Prognos-Instituts Alleinerziehende mit ihren Kindern sowie Familien mit Migrationshintergrund: 40 Prozent der Alleinerziehenden und ihre Kinder müssen mit einem hohen Armutsrisiko leben, bei den Migranten sind es 30 Prozent. Und: Je älter die Kinder sind, umso schwieriger wird es für die Familien, wirtschaftlich Schritt zu halten - das größte Armutsrisiko haben hier Familien mit Kindern zwischen sechs und 15 Jahren.
Als Ursache für Kinderamut nennen die Experten neben der schwierigen Lage auf dem Arbeitsmarkt und dem nur geringen Anstieg der Löhne bei gleichzeitig explodierenden Lebenshaltungskosten auch die in Deutschland noch immer relativ niedrige Zahl von berufstätigen Müttern. Denn: Arbeiten beide Eltern, so reduziert sich das Armutsrisiko nach Einschätzung der Forscher auf etwa vier Prozent - und damit auch das ihres Nachwuchses, in Kinderarmut leben zu müssen.
Deswegen plädieren auch die Fachleute des Prognos-Instituts unter anderem für einen weiteren Ausbau der Kinderbetreuung, um gerade Müttern die Aufnahme einer Arbeit zu erleichtern. Neben der bereits beschlossenen Ausweitung des Kinderzuschlags fordern sie aber vor allem eine stärkere Würdigung des Kindergeldes. Denn diese vielfach gescholtene familienpolitische Leistung leistet offenbar einen weitaus größeren Beitrag bei der Bekämpfung der Kinderarmut als oftmals angenommen. So hätte beispielsweise eine alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern ohne das Kindergeld ein nochmals um 20 Prozent höheres Risiko, als arm zu gelten, als sie sowieso schon aufweist. Das Kindergeld (154 Euro pro Monat und Kind, ab dem vierten Kind 179 Euro) macht hier circa 20 Prozent ihres Einkommens aus.
Selbst bei einem Paarhaushalt mit einem Kind könnte nach Ansicht der Experten das Kindergeld die Gefahr, in die Kinderarmut abzurutschen, um fast fünf Prozent verringern. Doch auch kinderreiche Familien profitierten stark von dieser Unterstützung: Haben sie drei Kinder, so trägt das Kindergeld im Schnitt 15 Prozent zu ihrem Einkommen bei. Deshalb erneuerten die Wissenschaftler die Forderung nach einer stärkeren Staffelung des Kindergeldes bereits ab dem dritten Kind.
Kann das Kindergeld die wachsende Kinderarmut eindämmen?
Als Reaktion auf das UNICEF-Papier forderte der Präsident des Sozialverbandes VDK, Walter Hirrlinger eine Anhebung des Hartz IV-Regelsatzes für Kinder. Dieser müsse von derzeit 208 auf 250 Euro pro Monat steigen, "damit betroffene Kinder nicht Gefahr laufen, dauerhaft ausgegrenzt zu werden", sagte Hirrlinger.
Allerdings zeigen die Untersuchungen der beiden Ministerien ja eindeutig, dass Kinderarmut nicht mehr nur ein Problem von Hartz IV-Empfängern ist, sondern längst auch die so genannte Mittelschicht erreicht hat. Deshalb möchten wir von Ihnen wissen, ob das vom Prognos-Institut so gelobte Kindergeld tatsächlich ihre finanzielle Situation entschärft. Machen Sie mit bei unserer Umfrage zum Thema "Kinderarmut":
Auf der folgenden Seite erfahren Sie, warum eine weitere Studie auch das deutsche Bildungssystem mit für die wachsende Kinderarmut verantwortlich macht.
Was hat das Schulsystem mit der wachsenden Kinderarmut zu tun?
Auch wenn die Politik sich erst seit kurzem intensiver mit Familien, die am Rande des Existenzminimums leben, sowie der wachsenden Kinderarmut beschäftigt - Sozialverbände legen schon lange den Finger in die Wunde. So wurde zeitgleich mit dem Bericht des Familienministeriums auch der "UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland" veröffentlicht. Und auch diese Untersuchung wartete wieder mit alarmierenden Zahlen auf:
Besonders von Kinderarmut betroffen: Die Kinder Alleinerziehender
Zwei Drittel der Kinder von Alleinerziehenden leben UNICEF zufolge mindestens ein Jahr lang in Verhältnissen, die der Definition von Kinderarmut entsprechen. Jedes zehnte Kind, das nur bei einem Elternteil aufwächst, ist sogar dauerhaft von Kinderarmut betroffen - die Daten der jeweiligen Berichte ähneln sich, die Schicksale dahinter bleiben schlimm.
Die Studie von UNICEF spart darüber hinaus jedoch auch nicht mit Kritik am deutschen Bildungssystem, das nach Meinung der Fachleute Kinder aus weniger gebildeten Familien nicht genug fördere. So wachse die Kluft zwischen arm und reich auch bei den Kleinsten immer stärker. Und im internationalen Vergleich von 21 Ländern liegt Deutschland bei der Schaffung von guten Rahmenbedingungen zum Aufwachsen von Kindern gerade mal auf Platz Elf - also gerade mal Mittelmaß!