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Drama vorm Kleiderschrank Als meine Kinder nie das anziehen wollten, was sie sollten

Kolumne: Lieber echt als perfekt - Drama vorm Kleiderschrank
© Anna Kraynova/shutterstock
Auch als Mutter kann man bockig werden, wenn man seinen Willen nicht durchkriegt. Das erging unserer Autorin Lea Kästner so, als ihre Kinder auf einmal selbst darüber entscheiden wollten, was sie anziehen.

Während meiner Schwangerschaften war es eine große Freude für mich, niedliche kleine Hosen, Hemdchen und Kleider für meine Kinder auszusuchen. Auch wenn es vielleicht etwas oberflächlich klingt: Ich hatte eine genaue Vorstellung davon, wie meine Kleinen aussehen sollten, wenn wir Oma und Opa besuchten oder ins Kindertheater gingen, was sie beim Fototermin in der Kita tragen sollten oder Heiligabend, wenn die ganze Familie zusammenkam. Ich selbst war mit der allgemeinen Ansicht aufgewachsen, sich zu bestimmten Anlässen ordentlich herauszuputzen – mit der weißen, faltenfreien Bluse oder dem dunkelblauen Samtkleid mit Bubikragen und den „guten Schuhen“. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass ich damals jemals dagegen rebelliert hätte.

Totalverweigerung am Kleiderschrank

In den ersten Jahren klappte das auch mit meinen Kindern ganz gut, denn kleine Babys können sich schlecht wehren und haben glücklicherweise noch keine gefestigte Meinung zu Glitzerstrumpfhosen und süßen Mini-Hosenträgern. Doch nach und nach wurde es brenzlig vorm Kleiderschrank. Mit steigendem Alter der Kinder stieg nämlich auch ihr Wille nach Selbstbestimmung. Die von mir zurechtgelegten Hosen waren wahlweise zu schlabberig oder zu eng, das Kleid kratzte, das Hemd war zu blau, zu rot oder zu grün. Oder die mit Liebe und Vorfreude ausgesuchten Klamotten wurden ohne halbwegs gute Argumente in die Ecke gepfeffert. Totalverweigerung.

Mit einem gewissen Schamgefühl kann ich mich noch gut daran erinnern, wie ich einmal sonntagmorgens, bevor wir zu einer Taufe mussten, eine halbe Stunde zeternd und mahnend hinter meinem vierjährigen Sohn herlief, weil ich unbedingt wollte, dass er eine bestimmte Jacke anzieht. Erst lachte er, später weinte er. Die gewünschte Jacke trug er. Diesbezüglich war ich zufrieden ­– hach, was sah er süß aus –, aber es fühlte sich irgendwie trotzdem nicht gut an.

Tränen und Geschrei

Immer öfter kam es morgens zum Drama am Kleiderschrank, weil die von mir rausgelegten Sachen nicht dem ständig wechselnden Geschmack der Kinder entsprachen. Während ich Wert darauf legte, dass die Teile farblich einigermaßen zueinander passten, zog meine Tochter wilde Farbzusammenstellungen aus dem Schrank, die mir morgens um sieben Uhr regelrechte Augenbeschwerden bereiteten. Meine Vorschläge fand sie alle doof und letztlich war sie auch noch zutiefst verunsichert, weil ich ihre Auswahl nicht mochte und damit nicht hinterm Berg hielt. Ich war selbst bockig wie ein kleines Kind. Oft gab es Tränen und Geschrei auf beiden Seiten und ich war gestresst, wenn wir es aufgrund des Schrank-Kampfes nicht pünktlich in die Kita schafften.

Warum tu ich mir das an?

Wenn ich das so aufschreibe, klingt es irre. Und heute frage ich mich ernsthaft, warum ich so lange versucht habe, meinen Kindern tagtäglich meinen Klamottengeschmack aufzuzwängen. Was hatte ich davon – außer Ärger und Missmut? Wollte ich mir oder anderen damit vielleicht beweisen, dass ich alles im Griff hatte? Brauchte ich es für mein Ego, dass meine Kinder so aussahen? Es dauerte einige Zeit, bis die Erleuchtung kam und ich einsah, dass ich es nicht brauchte und dass die ständige Diskussion am Schrank Verschwendung von Lebenszeit und vor allem -energie war. Ich ging dazu über, Kleidung gemeinsam mit den Kindern einzukaufen und sie morgens beim Anziehen einfach in Ruhe zu lassen. Auf einmal hatte ich am Morgen herrlich viel Zeit, entspannt einen Kaffee zu trinken und wir waren alle besser gelaunt.

Okay, die ersten Tage war es noch hart für mich, aus meinem Muster herauszutreten. Denn in was meine Kinder da teilweise gehüllt waren, wenn sie nach dem Anziehen die Treppe runterkamen, war nichts für schwache Nerven. Heute denke ich mir dann nur noch schmunzelnd, wie mutig sie doch sind. Solange alles ausreichend warm verpackt ist und nicht gerade das mit Tomatensauce verschmierte Shirt vom Vortag dabei ist, bleibt alles so, wie es ist.

Mittlerweile haben sie ihren ganz eigenen Klamottenstil entwickelt und bekommen nach und nach ein immer besseres Gefühl dafür, was sie gut finden und in was sie sich wohlfühlen. Und darum geht es doch schließlich, oder?! Nicht darum, dass Mama zufrieden ist, weil die Farben von Strumpfhose und Shirt so schön harmonieren.

Sicherlich wird es trotzdem noch Situationen geben, in denen eingegriffen werden muss – spätestens im Teenageralter, wenn es vielleicht mit dem bauchfreien Top in die Kirche gehen soll. Aber bis zu solchen Totalausfällen, lehne ich mich in meiner verwohnten Jogginghose jetzt erstmal zurück.

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