„Wart mal ab, bis das Trotzalter losgeht“, das hört man oft von Eltern mit Kleinkinderfahrung. Der Satz wird dabei meist von imaginärem Schweißabwischen, tiefen Seufzen und hysterischem Lachen begleitet.
Ach, das kann doch gar nicht so schlimm sein, dachte ich – bis Fips das erste Mal über eine halbe Stunde laut kreischend, brüllend und rotzblasenblubbernd eskalierte.
Der Grund? Es war eine Rispe mit Johannisbeeren, die wohl zu krumm geraten war. Oder zu klein? Ich konnte es dem undefinierbaren Geschrei nicht entnehmen.
Und was viel schlimmer war: Ich konnte zum ersten Mal nicht trösten. Nach zehn Minuten wischte ich echten Schweiß von der Stirn, nach zwanzig Minuten war ich selbst kurz vor einem hysterischen Anfall. Als wir uns nach dreißig Minuten an die frische Luft retteten und Fips dort endlich Frieden fand, konnte ich gar nicht mehr aufhören zu seufzen.
Puh. Das war heftig. Für uns beide. Was war nur plötzlich los mit meinem friedlichen, ausgeglichenen Waage-Fips?
Von Harmonie zum Haare raufen
Ich hatte das Glück (oder das Pech?!) ein Kind zu haben, das als Säugling kaum geweint hat und immer sehr zufrieden mit der Welt war – vorausgesetzt, es wurde so ziemlich rund um die Uhr Körperkontakt gewährleistet.
Wieso ich das Glück (bzw. Pech) nenne?
Nun, die ersten anderthalb Jahre waren eine ziemlich harmonische Zeit. Wenn Fips nah bei mir sein konnte, hat in unserem Zusammenleben eigentlich immer alles funktioniert. An schlechten Tagen bzw. bei Wachstumsschüben haben wir die Dosis an Körperkontakt einfach verdoppelt, und dann haben wir auch das hinbekommen. Mutter und Muttermilch, das war unser Erfolgsrezept.
Ziemlich easy, wenn ich das so aus der Distanz betrachte (so easy-peasy kam es mir damals allerdings nicht vor ... denn da waren auch die manchmal wunden Brustwarzen vom Dauerstillen und die Monate, in denen ich den Raum nicht einmal für drei Sekunden verlassen durfte).
Anyway. Diese intensive, aber insgesamt ruhige Zeit hat mich so absolut gar nicht auf die Temperamentsausbrüche der „Terrible Two“ vorbereitet. Anders gesagt: Ich muss Verhalten bei Nicht-Kooperation so was von üben.
Alle mitmachen, bitte!
Nicht-Kooperation? Ja. Dieses Wort fasst mein Hauptproblem im Alltag mit Kind wohl am besten zusammen.
Leben mit Kind bedeutet: immer eine Menge zu tun haben. Von Anziehen über Nähren und Pflegen bis Einschlafen ist der Tag eigentlich voll, sogar wenn alles reibungslos klappt. Wenn Reibung dazu kommt, wenn das Kind anders möchte als ich, wenn die Kooperation nicht möglich ist, wird es schwierig. Verdammt schwierig.
Ich werde ungeduldig, die Nerven liegen blank, und Fips verzweifelt doppelt. Denn während ich „nur“ mit dem kämpfe, was ich will und Fips nicht, spürt Fips auch noch Mamas Stimmung umschlagen und reagiert entsprechend darauf.
Das Ergebnis: zwei wacklige Seelen am Rande des Abgrunds.
Also muss ich mich selber zur Ordnung rufen: Stopp! Stehenbleiben! Keinen Schritt weiter!
Trotz oder Autonomie?
Zuerst musste ich mich von der Vorstellung unserer Elterngeneration freimachen – denn die ist in der Regel der Meinung, dass Zweijährige uns mit ihren Aktionen manipulieren wollen.
Aber Manipulation kann nur geschehen, wenn jemand den Rahmen seiner Handlung genau einschätzen und kalkulieren kann. Das ist wohl doch etwas viel für einen Zweijährigen. Was dagegen tatsächlich stattfindet, sind die ersten Begegnungen mit dem eigenen Willen und dem totalen Frust, wenn der nicht durchgesetzt werden kann. Denn natürlich will auch ein Zweijähriger seinen Kopf durchsetzen – wie wir alle, oder? Mit zwei Jahren kennt man nur die feine, englische Art der rhetorisch ausgeklügelten Zielerreichung noch nicht. Also wird mit dem emotionalen Holzhammer losgeschlagen.
Mit Trotz hat das nichts zu tun, wohl aber mit einer noch nicht abgeschlossenen Entwicklung.
Theoretisch war mir das klar. Praktisch stand ich Fips’ Ausbrüchen gerade am Anfang völlig hilflos gegenüber. Ich konnte nicht mehr unterscheiden zwischen einem echten Bedürfnis, einem kurzfristigen Wunsch und einem chaotischen Ich-will-Ausbruch. Jedes Weinen habe ich gleich gewertet.
Was sollte ich nun machen? Alles erfüllen? Echt? Nee, oder? Denn was soll ich bitte tun, wenn die Johannisbeerrispe zu krumm und zu klein ist?!
Das Beispiel klingt vielleicht albern, aber es passt tatsächlich ganz gut. Denn ich kann Fips nicht alle Wünsche erfüllen. Und das ist sogar richtig so. Denn auch Frust muss man lernen.
Kleine Frustzwerge begleiten
Bei Anfällen versuche ich nun tief durchzuatmen und zunächst einmal die Grundbedürfnisse abzuklopfen, so wie ich es auch damals beim Fips-Baby gemacht habe: Könnten Hunger oder Müdigkeit der Auslöser sein? Dann her mit dem Lieblings-Snack (ja, auch kurz vorm Abendbrot, ist mir egal) und her mit der Entspannungseinheit.
Das Kind ist satt und ausgeschlafen und es nähert sich trotzdem ein Tsunami der Gefühle? Dann schnell überlegen, was der Grund sein könnte. Ich selber vielleicht? Bin ich gestresst, genervt und uneinsichtig? Kann ich das ändern?
Okay, es gibt auch (jede Menge) Situationen, in denen sich der Frustanfall nicht so einfach abwenden lässt. Mit Gelassenheit wird vieles leichter, aber nichtsdestotrotz (haha) muss die emotionale Entwicklung ja stattfinden.
Und dann hilft nichts als atmen, Kiefer entspannen (statt Zähne zusammenbeißen) und präsent bleiben. „Ich hab dich lieb, immer-immer-immer“, sage ich zu Fips und das sage ich auch und erst recht in Chaossituationen. Wenn ich nichts tun kann, dann will ich uns beide wenigstens daran erinnern, dass es zwischen uns beiden auch im tiefsten Sturm alles okay ist. Manchmal hilft es. Und manchmal helfen neue Regeln.
Ich bekenne: Ich mach mir jetzt manchmal das Leben leicht.
„Nein, wir machen das jetzt so wie ICH es sage! Ich will, dass du DIESEN Pullover anziehst! Ich will, dass wir die Zähne WIE IMMER am Waschbecken putzen! Ich will, dass du ERST dein Brot aufisst!“ Boah, Mamasein kann so anstrengend sein! Besonders, wenn ICH mich in der Trotzphase befinde und alles nach meiner Vorstellung durchziehen will.
Manchmal ist es so viel leichter, nur die Ziele zu setzen, und dann Fips den Weg dorthin selbst gehen zu lassen. Ein Pullover muss sein – aber welcher, das ist eigentlich egal. Zähne müssen geputzt werden – aber ob im Bad oder im Bett, ist doch schnurz.
Entspann dich, Mama. Wir haben doch immer alles hingekriegt, oder? Und zur Not drehen wir noch ’ne Runde an der frischen Luft.