Ein x-beliebiger Wochentag auf dem Spielplatz einer gehobenen Mittelschicht im schönen München: Unsere Tochter ist noch ein wenig müde vom Mittagsschlaf, ließ sich aber dazu überreden, mit ihrem Puppenwagen und ihren zwei liebsten Kuscheltieren zum Spielplatz zu spazieren. Gerade als sie die Rutsche interessant genug findet, um sich zu lösen und zu spielen, schnappt sich ein anderes Kind begeistert ihren Puppenwagen und saust davon. Ihre schönen, großen Augen füllen sich mit dicken Tränen und der Protest beginnt. „Nein! Meins! Das gehört mir!“ … Die Auswahl der Wörter ist lange, die Aussage die gleiche: Das sind meine Sachen und ich will sie dir nicht geben. Teilen fällt unseren Kindern oft nicht leicht.
Ein großes Fragezeichen taucht in meinem Kopf auf. Was nun tun in dieser Situation? Ihr erklären, dass Teilen doch wichtig ist und sie ihre Sachen bestimmt gleich wiederbekommt? Dem anderen Kind, das sicherlich auch nur neugierig war, die Sachen wieder wegnehmen?
Wenn es um das Thema – nein eigentlich den Wert oder die Tugend – des Teilens geht, werden Eltern unsicher. Zu groß ist die Angst, man könnte das eigene Kind zum Egoisten erziehen, der irgendwann ganz ohne Freunde dasteht. Gleichzeitig wissen wir natürlich auch, dass manche Dinge unseren Kindern unheimlich wichtig sind und empfinden dafür auch Empathie.
Natürlich gab es diese Situation auch häufig genau umgekehrt. Dass unsere Tochter beginnt mit einer fremden Schaufel zu spielen, die sie interessant findet und direkt neben uns liegt, ist kein böser Wille. Es ist einfach Teil des Spiels. Ab und an ist das einem anderen Kind auch nicht Recht. Soviel ist klar.
Teilen ist ein unumstrittener Wert in unserer Gesellschaft. Und fast allen Eltern ist es ausnahmslos wichtig, dass die eigenen Kinder lernen ihren Hab und Gut zu teilen. Die Reaktionen, wie auf diese Situationen seitens der Eltern reagiert werden, könnten unterschiedlicher nicht sein. Da wird mal knallhart dem eigenen Kind etwas aus der Hand gerissen: „Stell dich nicht so an, du bekommst es doch wieder!“ oder die Variante: „Komm, mein Schatz! Der Junge hat wohl noch nicht gelernt zu teilen, mit dem Spielen wir nicht mehr!“
Kann man Teilen lernen?
In diesem Artikel möchte ich nun gerne den Fragen nachgehen: Kann man Kindern das Teilen wirklich beibringen? Und wie können wir unsere Kinder in diesen Momenten, die ja durchaus von Verlustängsten, Trauer, Wut und Neugier geprägt sind, begleiten?

Die Evolution
Im Verhalten unserer Kinder stecken viele, viele Jahre knallharte Evolution. Und diese ist so garnicht auf das Teilen ausgerichtet. Früher hatten Familien oft viele Kinder, in manchen war das Essen knapp. Die Natur hat es so eingerichtet, dass der Mensch dazu neigt, Besitz lieber für sich zu behalten, für schlechte Zeiten anzuhäufen und erst einmal an sich selbst zu denken. Der Wert des Teilens hat es also mit unserer Biologie nicht so einfach.
Wenn Kinder Teilen müssen: Die Ängste unserer Kinder verstehen
Stellt euch einfach mal folgende Situation vor: Du läufst mit deinem Fahrrad die Straße entlang und suchst gerade einen guten Platz es abzusperren. Da kommt plötzlich eine fremde Person und sagt: „Boah, cool! Ein tolles Rad, ich fahr mal damit!“, reißt es dir aus der Hand und fährt davon.
Richtig. Du wärst geschockt. „Was soll das denn, das gehört doch mir!“ Und hättest vielleicht auch Angst: „Bekomme ich es überhaupt zurück?“
Unsere Kinder durchleben das gleiche Unverständnis. Und ab und an stellen wir fest, dass sie unter anderen Umständen sehr gut ihre Sachen kurz hergeben können. Zum Beispiel, wenn vorab gefragt wird, ein „nein“ auch mal ok ist und versichert wurde, dass das Spielzeug auch wieder zurück gebracht wird.
Teilen wollen: Empathiefähigkeit als Voraussetzung bei Kindern
Empathie ist die Fähigkeit sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Es ist wissenschaftlich belegt, dass das kindliche Gehirn dazu erst in einem Alter ab circa 4-5 Jahren in der Lage ist. Es hilft also kaum an ein Zweijähriges Kind zu appellieren: „Schau mal, sie ist so traurig, Teil doch mal mit ihr!“
Manche Kinder haben bereits in diesem Alter „gelernt“ dass sie teilen sollen. Sie befolgen dann eine Regel. Und das machen sie dann vielleicht auch aus einer Art Automatismus heraus. Mit einem Empathieempfinden wie wir es verstehen darf man das aber nicht verwechseln.
Was wir aber tun können ist, unsere eigenen Emotionen zu zeigen. Also bewusst zu sagen: „Ich bin traurig, ich bin froh, ich bin wütend.“ etc. So lernen unsere Kinder von uns. Vielleicht ist euch das schon mal aufgefallen: Die Kleinen beobachten unsere Mimik in diesen Momenten ganz genau, versuchen sogar manchmal, diese zu imitieren. Man kann auch das Kind unterstützen und seine Emotionen in einem gefühlvollen Moment verbalisieren. Also zB.: Schade, du darst nicht mitspielen. Bist du traurig?“ Auf diese Art lernen Kinder sich selbst und ihre Gefühle kennen.
In der emotionalen Entwicklung geht es dann vom „ich“ zum „du“. Das meint: Die eigenen Gefühle erleben und benennen können bildet die Grundvoraussetzung, um später Empathie empfinden zu können. Diese Empathie wiederum macht soziale Werte, wie zum Beispiel Rücksichtnahme oder das Teilen erst möglich.
Beim Teilen unseren Kindern ein Vorbild sein
Vorbild sein. Wissen wir eigentlich alle. Aber eben nur eigentlich. Denn mal ganz ehrlich die Hand aufs Herz: Wann habt ihr das letzte Mal etwas geteilt? So ganz freiwillig, ohne eine Gegenleistung? Mein Freund, der Papa unserer Tochter, ist so ein Kandidat der gerne teilt. Wir laufen kaum an einem Obdachlosen vorbei, ohne dass er bereitwillig etwas gibt. Trinkgeld gibt er auch immer reichlich und er ist ein Fan von anonymen Spenden. Ich kenne wirklich niemand, der so großzügig ist und so gerne teilt. Das macht mich zwar ab und an auch verrückt, aber er lebt unserer Tochter den Wert des Teilens wirklich aufrichtig selbst vor. Viel mehr, als ich es im Alltag tue. Ich denke auch, dass Kinder sehr wohl merken, ob man den letzten Schokokeks nur teilt, um das teilen zu demonstrieren (also aus Erziehungsgründen) oder ob man das aus Empathie heraus aufrichtig gerne tut, obwohl man ihn vielleicht selbst gerne gegessen hätte.
Also ja, ich denke da müssen wir uns alle wirklich nochmal an der eigenen Nase packen. Die Werte die wir vertreten können wir unseren Kindern nicht einfach anlernen. Wir müssen sie stattdessen authentisch vorleben.
Mein Fazit – Müssen Kinder teilen können?
Teilen muss man nicht lernen. Es ist ein Entwicklungsschritt, der die Fähigkeit der Empathie voraussetzt. Förderlich dafür ist es, das Teilen als Wert vorzuleben und selbst emphatisch mit dem Kind umzugehen.
Gleichaltrige Kinder entwickeln meist von selbst eine eigene Tausch- und Teilkultur. Daher sollte man als Bezugsperson so wenig wie möglich eingreifen – höchstens um das Kind bei der Verteidigung seines Eigentums feinfühlig zu unterstützen.