Konkrete Beweise gibt es keine, aber die Indizien sind erdrückend: Niemand isst zum Beispiel immer alle Schokokekse auf und lässt mich dumm dastehen, wenn ich die abends vor dem Fernseher in Ruhe alle alleine essen möchte Gästen etwas anbieten möchte, und Keiner weiß dann, wer das war: nämlich Niemand.
Lina kann glaubhaft versichern, dass sie die nicht gegessen hat, das Kind ist immerhin so dünn, dass sie problemlos neben einem Laternenmast Schatten finden kann.
Die Schokoflecken auf ihrem T-Shirt müssen irgendwie in der Waschmaschine von anderen kontaminierten Kleidungsstücken abgefärbt haben. Und die in ihrem Gesicht? Bestimmt Muttermale. Außerdem habe ich ja mehrfach mahnend darauf hingewiesen, dass gerne Kekse gegessen werden können, ich aber bitteschön darüber informiert werden möchte. So einer Ansage würden sich meine Kinder doch wohl niemals widersetzen. Zudem wissen sie auch genau, dass ich schlimmer als weggemampfte Kekse, liegengelassene leere Verpackungen finde.
Nein, also die Kinder können das nicht sein. Genauso wenig wie die zerschossenen Geranien im Hof. Das war nicht Fritz mit seinem Fußball. Ich habe nämlich genau gehört, wie er, als ich ihn dabei gesehen habe, gesagt hat: „Ich war das nicht!“
Außerdem weiß ich ja genau, woran man Lügner erkennt. Das hat Fritz nämlich im Religionsunterricht gelernt und sein Wissen anschließend gerne mit mir geteilt.
„Weißt Du, Mama. Lügner tippeln nämlich nervös hin und her, oder kneten ihre Finger und können einem nicht in die Augen blicken. Also nicht so wie ich.“
„Aha. Hast du Dir eigentlich heute Morgen die Zähne geputzt?“
„Na klar!“
„Und warum piddelst du Dir jetzt gerade an den Fingern herum und guckst aus dem Fenster?“
Beim Abgehen murmelte er: „Mist, ich hätte es ihr nicht erzählen sollen!“
In solchen Momenten zitiere ich dann gerne Erich Kästners Gedicht „Die Sache mit den Klößen“ und versuche, den Kindern klar zu machen, wie Lügengeschichten enden können. Dann schauen sie mich mit glubschigroßen Augen an und erklären mir, dass sie das ganz bestimmt nie wieder machen werden und ich weiß genau, dass das nicht stimmt. Dann wünsche ich mir, ich könnte selbst ein klein wenig besser lügen. Dann gäb es nicht immer an meinem Geburtstag Streit und beleidigte Gesichter, weil ich dann nämlich glaubhaft versichern könnte, dass die Bratpfanne, die ich geschenkt bekommen habe, wirklich, wirklich das Tollste ist und genau das, was ich mir schon immer gewünscht habe. Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg.
Solange wundere ich mich darüber, wie der gekaute Kaugummi wohl unter das Sofa kommen konnte und stelle diese Frage in die Familienrunde. Und da kommen dann wieder meine beiden Mitbewohner vom Anfang der Geschichte ins Spiel: Keiner macht hier, was ich sage, aber immerhin: Niemanden interessiert es.
Sandkuchen-Geschichten Ich war das nicht

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Bei uns zu Hause wohnen zusätzlich zu unserer Familie und den Kaninchen noch Niemand und Keiner. Gesehen haben wir sie zwar noch nie, aber dass es sie gibt, kann man an vielen Dingen ablesen.